Hans und Helga, Else Kling und Carsten Flöter: Viele Figuren genießen bis heute Kultcharakter. Die erste Soap im deutschen Fernsehen provozierte mit Tabubrüchen und Diskussionen über aktuelle Themen.
Berühmteste Küche der NationVor fünf Jahren endete in Köln ein Stück TV-Geschichte: Würde das heute noch funktionieren?
Sonntags, 18.50 Uhr: Bei vielen TV-Zuschauern ist dieser Termin fest eingebrannt - auch heute noch, fünf Jahre nach dem Ende der „Lindenstraße“.
Eine gefühlte Ewigkeit war die ARD-Kultserie eine feste Konstante - doch am 29. März 2020 lief die letzte Folge. Nach fast 35 Jahren hieß es für die Fans Abschied nehmen von Mutter Beimer und den anderen „Lindenstraße“-Bewohnerinnen und Bewohnern. Damit endete auch ein Stück TV-Geschichte.
Gedreht wurde in Köln-Bocklemünd: Geschichten von Liebe, Streit, Krankheit oder Tod
Die von Produzent Hans W. Geißendörfer erfundene Serie drehte sich von ihrer Grundidee her um den Alltag in einer Nachbarschaft. Die Handlung spielte in München, gedreht wurde in Köln-Bocklemünd. Geschichten von Liebe, Streit, Krankheit oder Tod griff die „Lindenstraße“ in unzähligen Varianten auf.
Und: Sie führte die einzelnen Stränge konsequent fort. So zeigte sie beispielsweise das tägliche Leben von Menschen mit einer Behinderung oder Erkrankung - und trug so dazu bei, diesen Themen mehr Öffentlichkeit zu verschaffen.
Figuren wie „Hansemann“ oder Else Kling haben Kultstatus
Die Folge Nummer eins lief am 8. Dezember 1985 - mit weihnachtlicher Hausmusik bei Familie Beimer. Einige Hauptfiguren der ersten Stunde genießen bis heute regelrechten Kultcharakter: Helga Beimer (Marie-Luise Marjan) natürlich und ihr „Hansemann“ (Joachim Hermann Luger), deren Kinder Benny (Christian Kahrmann) und Klausi (Moritz A. Sachs), aber auch die zänkische Hausmeisterin Else Kling (Annemarie Wendl) oder der griechische Wirt Vasily Sarikakis (Hermes Hodolides).
Was meint ihr: Würde die „Lindenstraße“ heute noch funktionieren? An welche TV-Momente erinnert ihr euch bis heute? Schreibt uns an: koeln@express.de
In den Anfangsjahren, als es erst wenige TV-Programme gab, schalteten jede Woche durchschnittlich zwölf Millionen Menschen die Sendung ein. Die Ereignisse der jüngsten Folge waren am nächsten Tag oft Pausengespräch am Arbeitsplatz oder auf dem Schulhof.
„Diese Soap-Erzählstruktur mit Cliffhanger und Zopfdramaturgie - also dass man drei Geschichten parallel erzählt und miteinander verflechtet - das gab es vorher nicht im deutschen Fernsehen“, sagt der Medienwissenschaftler Sven Grampp von der Universität Erlangen-Nürnberg. „Dieses Format dann noch zu verknüpfen mit der Idee, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen und durchzuspielen - das war schon sehr innovativ.“
Schwulen-Kuss war ein Tabubruch im deutschen TV
Gerade in den ersten Jahren sorgte die „Lindenstraße“ immer wieder für gesellschaftlichen Zündstoff. Der Schwulen-Kuss zwischen Carsten Flöter (Georg Uecker) und Robert Engel (Martin Armknecht) galt damals als Skandal. Die „Lindenstraße“ war auch die erste deutsche TV-Serie, die Aids thematisierte und in der zwei Schwule heirateten.

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Die Schauspieler Hüseyin Ekici (Orkan Kortuglu, v.l.), Marie-Luise Marjan (Helga Beimer), der Produzent der Fernsehserie „Lindenstraße“, Hans W. Geißendörfer, und die Schauspielerinnen Daniela Bette (Angelina Buchstab) und Clara Dolny (Josi Stadler) sitzen im Museum Wilhelmsbau am Technik Museum in der Originalkulisse der Wohnküche der „Lindenstraße“-Hausmeisterin Else Kling.
Solche Tabubrüche gelangen ihr später angesichts der zahlreichen TV-Reality-Formate zwar nur noch selten. Die Serie blieb aber bis zuletzt ihrem Anspruch treu brisante Themen aufzugreifen - etwa Flüchtlinge, Rechtsextremismus oder die Legalisierung von Cannabis.
Dank eines einfachen Kniffs war die „Lindenstraße“ zudem Woche für Woche ganz nah am Puls der Zeit. In den weit im Voraus gedrehten Folgen blieb stets ein Platzhalter frei, der erst kurz vor der Ausstrahlung gefüllt wurde - mit einem Dialog zu einem nahezu tagesaktuellen Thema.
Bei Wahlen wurden die Hochrechnungen kommentiert
„Diese Parallelisierung der Lebenswelten der TV-Zuschauer und der Bewohner war wirklich etwas sehr Besonderes“, sagt Grampp. Bei Bundestagswahlen wurden sogar die zeitgleich ermittelten Hochrechnungen eingeblendet und von „Lindenstraße“-Bewohnern kommentiert.
Für Grampp ist die „Lindenstraße“ auch ein Phänomen der 1980er-Jahre. „Sie war nicht nur ein Publikumsmagnet, sondern man wusste einfach generations- und schichtübergreifend, was gerade in der „Lindenstraße“ los war“, sagt er. „Die „Lindenstraße“ war zu ihrer Zeit ein geeignetes Forum. Das wäre es heutzutage überhaupt nicht mehr wegen der unterschiedlichen Nutzungspraktiken.“
Denn inzwischen gibt es unzählige TV-Sender und Streamingdienste, Sendungen sind jederzeit abrufbar. Immer seltener sitzen ganze Familien gemeinsam vor dem Fernseher. Dass die Serie vor fünf Jahren eingestellt wurde, sei rückblickend betrachtet daher nicht überraschend, meint der Medienwissenschaftler: „Die ,Lindenstraße ‘würde heute nicht mehr funktionieren.“