Schauspielerin bestreitet im ZDF „Massensterben“ durch Corona, dann geht's um die „Meinungsfreiheit“

Im ZDF-Film „Was darf man noch sagen? - Wut und Wahrheit nach Corona“ diskutieren Prominente über die Pandemie-Folgen für Diskurs und Meinungsfreiheit. (Bild: ZDF / Kathrin Spirk)

Im ZDF-Film „Was darf man noch sagen? - Wut und Wahrheit nach Corona“ diskutieren Prominente über die Pandemie-Folgen für Diskurs und Meinungsfreiheit. (Bild: ZDF / Kathrin Spirk)

Als „krasseste Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik“, bezeichnet eine Rechtsexpertin des ZDF das, was während der Pandemie passiert ist. Was vor allem darunter gelitten haben soll: die Meinungsfreiheit. Für einen neuen Film ließ das ZDF vier Prominente über „Wut und Wahrheit nach Corona“ diskutieren.

Fünf Jahre ist die Pandemie schon her - doch versöhnlicher ist es in unserer Gesellschaft keineswegs geworden. Für seinen neuen Film „Was darf man noch sagen? - Wut und Wahrheit nach Corona“ hat das ZDF rund um Moderatorin Eva Schulz vier Gäste zu einem Gespräch eingeladen. Am runden Tisch versammelt: „Focus“- und BR-Journalistin Julia Ruhs, Satiriker Florian Schroeder, Schauspielerin Eva Herzig und Intensivpfleger Ricardo Lange.

Sie trafen sich zur großen Pandemie-Aussprache fürs ZDF, von links: Ricardo Lange, Julia Ruhs, Moderatorin Eva Schulz, Eva Herzig und Florian Schroeder. (Bild: ZDF / Kathrin Spirk)

Sie trafen sich zur großen Pandemie-Aussprache fürs ZDF, von links: Ricardo Lange, Julia Ruhs, Moderatorin Eva Schulz, Eva Herzig und Florian Schroeder. (Bild: ZDF / Kathrin Spirk)

Es gibt Aufschnitt und Brotsticks, Weingläser werden aneinandergestoßen - ein friedliches Aufeinandertreffen. Bis es an die großen Fragen geht. Fragen, auf die wohl alle Zuschauerinnen und Zuschauer nach einem halben Jahrzehnt sehnlichst Antworten suchen: Was hat Corona mit uns als Gesellschaft gemacht? Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit? Und vor allem: Wie können wir als Gesellschaft wieder produktiv streiten - statt extremen Positionen die feinen Zwischentöne finden?

Leichenkeller in den Kliniken war immer voll

„Das wahre Gesicht einer Gesellschaft zeigt sich in Krisen“, ist sich Pfleger Ricardo Lange sicher und stößt damit die Diskussion an. Seit 13 Jahren arbeitet er auf der Intensivstation verschiedener Kliniken in Berlin. Während Corona sei ihm wortwörtlich „der Schweiß die Ar...ritze runtergelaufen“, der Leichenkeller in den Kliniken sei immer voll gewesen.

Schauspielerin Eva Herzig ist überzeugt: „Wir wurden ganz schnell über Medien in Angst getrieben.“ (Bild: ZDF / Sebastian Wagner)

Schauspielerin Eva Herzig ist überzeugt: „Wir wurden ganz schnell über Medien in Angst getrieben.“ (Bild: ZDF / Sebastian Wagner)

Bei etlichen TV-Sendern war Lange zu Gast, sein Instagram-Kanal ging während der Pandemie durch die Decke, zählt heute knapp 170.000 Follower. Die österreichische Schauspielerin Eva Herzig sieht das ganz anders. Ein „Massensterben“ hätte es während der Pandemie keines gegeben: „Wir wurden ganz schnell über Medien in Angst getrieben“, ist sie überzeugt.

Ausschnitte aus alten Nachrichtensendungen werden eingespielt - hinterlegt von hipper Techno-Musik - Bilder von sich stapelnden Särgen in Italien, wo Corona besonders viele ältere Menschen das Leben kostete. Und von Querdenker-Demonstrationen vor dem Brandenburger Tor. Auch Herzig war bei einer derartigen Demo dabei, erzählt sie: „Das sind Menschen, die um ihre Grundrechte kämpfen.“ Bis heute hätte das Folgen.

Viele Jahre habe sie erfolgreich als Schauspielerin gearbeitet - seit vier Jahren bekomme sie keine Angebote mehr. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit? „Seine Meinung kann man zwar offen aussprechen, aber es hat Konsequenzen“, ist Herzig überzeugt: „Ich dachte, wir leben in einer freien Welt.“

Befragung zeigt: Nur noch 40 Prozent glauben, „man kann seine Meinung frei äußern“

Intensivpfleger Ricardo Lange erinnert sich, der Leichenkeller in den Kliniken sei immer voll gewesen. (Bild: ZDF / Jonny Müller-Goldenstedt)

Intensivpfleger Ricardo Lange erinnert sich, der Leichenkeller in den Kliniken sei immer voll gewesen. (Bild: ZDF / Jonny Müller-Goldenstedt)

Damit ist sie nicht allein. Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) waren 2017 noch 63 Prozent der Befragten der Meinung, „man kann seine Meinung frei äußern“ - sechs Jahre später nur noch 40 Prozent. Die Zahlen, die der Film einblendet, spiegeln die Verunsicherung in unserer Gesellschaft heute wider.

Satiriker Florian Schroeder findet: „Die Meinungsfreiheit ist riesig, sie ist überhaupt nicht gefährdet, aber es gibt eine furchtbare Enge.“ (Bild: ZDF / Sebastian Wagner)

Satiriker Florian Schroeder findet: „Die Meinungsfreiheit ist riesig, sie ist überhaupt nicht gefährdet, aber es gibt eine furchtbare Enge.“ (Bild: ZDF / Sebastian Wagner)

Journalist Korbinian Frenzel, der als Experte hinzugeschaltet wird, spricht von „Team Freiheit versus Team Sicherheit“. Zwei gesellschaftliche Extreme, die beide auf Polarisierung aufbauen würden. „Können nicht zwei Wahrheiten parallel existieren?“, stellt Moderatorin Eva Schulze die Frage in die Runde.

Wäre Deutschland eine Diktatur mit Meinungszensur, wie viele Bürger es beschreiben, dürfe er hier gar nicht sprechen, bringt Satiriker und Autor Florian Schroeder ins Gespräch ein. Während der Pandemie trat Schroeder vor Menschen in Stuttgart auf, die gegen die damaligen Corona-Maßnahmen protestierten - und stellte sie bloß. Lange hält dagegen: „Wenn du nicht die Meinung vertrittst, die die Mehrheit hat, wirst du in eine Ecke gestellt.“ Wer heute zum Beispiel sage, er wolle keinen Krieg, sei automatisch ein Putin-Freund. Das sei doch viel zu apokalyptisch, kontert Schroeder: „Die Meinungsfreiheit ist riesig, sie ist überhaupt nicht gefährdet, aber es gibt eine furchtbare Enge.“

„Der Mittelweg ist nicht mehr akzeptiert“

Journalistin Julia Ruhs klagt: „Der Mittelweg ist nicht mehr akzeptiert.“ (Bild: ZDF / Florian Lengert)

Journalistin Julia Ruhs klagt: „Der Mittelweg ist nicht mehr akzeptiert.“ (Bild: ZDF / Florian Lengert)

Diese Enge, damit beschreibt Schroeder den fehlenden Mittelweg. Der ausbleibende Kompromiss, das Verstehenwollen, Zuhören und Aufeinanderzugehen. Die Hälfte der Sendung ist vorbei, da bringt sich die Journalistin des Bayerischen Rundfunks und „Focus“-Kolumnistin Julia Ruhs zum ersten Mal in die Diskussion ein. Ruhs bezeichnet sich selbst als konservativ, mitte-rechts - etwas, das man ihrer Meinung nach nur noch selten in der woken Medienbranche finde.

„Der Mittelweg ist nicht mehr akzeptiert“, sagt sie, wir sollten aufhören so „hoch moralisch“ zu diskutieren. In der Vergangenheit habe Ruhs deshalb mit Hasskommentaren auf Social Media zu kämpfen gehabt - das „braune Julchen“. Dabei habe sie eine „ganz normale Meinung“, denn nicht alles, das anecke, sei gleich menschenfeindlich oder rassistisch. Schroeder stimmt ihr teilweise zu: „Moralismus ist oft brutaler als das Recht.“ Aber die Grenze sei immer noch das Grundgesetz.

„Den anderen reden lassen - auch, wenn die Meinung unangenehm ist“

Weiter geht's im Fragenkatalog. Themen werden angerissen, von Genderdebatte, Cancel-Culture bis zur Corona-Impfung. Was ist das richtige Maß an Zensur? Wie viel Fact-Checking braucht es? Wie viel Verantwortung kann man dem Einzelnen zumuten? „Wir sind überfordert“, findet Herzig, Schroeder ergänzt, der Einzelne müsse heute schon fast journalistische Kompetenzen haben, um „die Wahrheit“ herauszufinden.

Argumente werden ausgetauscht, mal wird der Kopf geschüttelt, mal zustimmend genickt - zu einer hitzigen Diskussion kommt es nicht. Abschließend steht die Frage im Raum: Und jetzt? „Wie können wir mit Verunsicherung umgehen und uns trotzdem sicher fühlen?“, fragt Moderatorin Eva Schulz. Schroeder: „Es gibt eine Form der produktiven Verunsicherung, das, was wir heute Abend betreiben. Wir verunsichern uns gegenseitig, man kommt aus sich selbst heraus.“

Herzig spricht sich für folgenden Ansatz aus: „Offen zuhören, den anderen reden lassen - auch, wenn dir die Meinung unangenehm ist.“ Die Kamera schwenkt von einem Gast zum nächsten. Nachdenkliche Gesichter. Dann stoßen alle zusammen ein letztes Mal an.

„5 Jahre Corona - Was darf man noch sagen?“ läuft am Dienstag, 18. März, 20.15 Uhr, im ZDF und vorab in der ZDF-Mediathek. (tsch)