„An den Weichteilen gepackt“Schlager-Legende Michael Holm: So lief das mit dem Welthit „Mendocino“

Michael Holm im September 2022 in München

Blickt gelassen auf ein turbulentes, glückliches Leben zurück: Schlagerstar Michael Holm, aufgenommen im September 2022 in München..

Schlagerstar Michael Holm hat mit EXPRESS über Hits wie „Mendocino“ und schräge Kleidermode in den 70ern gesprochen. Und er spricht darüber, ob „Fiesta Mexicana“ wirklich kulturelle Aneignung ist.

von Horst Stellmacher  (sm)

Hits pflastern seinen Weg: Michael Holm sang von „Mendocino“ und wusste „Tränen lügen nicht“. Er schrieb „Fiesta Mexicana“ und „Ein Lied kann eine Brücke sein“, produzierte Guildo Horn. Kein Wunder, dass an seinem 80. Geburtstag am 29. Juli 2023 die Schlagerwelt kopfsteht.

Natürlich gibt es dazu Persönliches vom Meister selbst: Seine Memoiren „Rückkehr nach Mendocino“ (Verlag Hoffmann und Campe, 25 Euro) und das Best-of-Album „Holm 80“ mit runderneuerten Songs und besonderen Promi-Gästen. Im ausführlichen EXPRESS-Gespräch zieht er eine ganz private Hit-Bilanz.

Michael Holm: Berührende Kindheitserinnerung am Krankenbett

Zum 80. veröffentlichen Sie Ihre Memoiren und ein Album mit frischen alten Hits. Was ist wichtiger?

Michael Holm: Da gibt es keine Rangfolge, beides ist gleich wichtig. Bei den Memoiren habe ich auf das Drängen und liebevolle Ermahnungen meiner Umgebung gehört. Man meinte, so ein Buch sei interessant für viele. Und wir kamen zur Überzeugung, dass ein Album mit den großen Erfolgen dazugehört.

Beim Rückblick auf Ihr Leben – was hat Sie am meisten berührt?

Michael Holm: Meine Erinnerungen an Weihnachten 1951. Meine Mama war kurz vorm Fest an Hepatitis erkrankt, so versammelte sich Heiligabend die Familie im Krankenhaus. Wir haben uns um ihr Bett gestellt und sangen ihr, angeführt von der Geige des Herrn Papa, Weihnachtslieder vor.

Klingt sehr bewegend …

Michael Holm: War es auch. Denn plötzlich waren wir nicht mehr allein. Ärzte, Krankenschwestern, Patienten und Angehörige kamen auf die Gänge, hörten zu, sangen mit, heulten vor Rührung. Einer rief: ‚Die Engel singen!‘ Mir kommen jetzt noch die Tränen, wenn ich daran denke.

Man merkt, dass Sie aus einer musikalischen Familie kommen. Wurden bei Ihnen auch Schlager gespielt?

Michael Holm: Nein. Wir sind ausschließlich mit der Hochkultur aufgewachsen, die Trivialkultur musste ich mir selber erarbeiten.

Wie hat der Papa reagiert?

Michael Holm: Er war entsetzt und klagte: ‚Jetzt habe ich all die Jahre versucht, dir die Hochkultur nahezubringen. Wie kann es kommen, dass du so abstürzt?‘ Weil er mir natürlich keine Gitarre schenken wollte, habe ich sie mir selbst erarbeitet. Ich war 14 Jahre alt, arbeitete fünf Wochen auf einem Bauernhof, bekam dafür 70 Mark, kaufte mir für 50 Mark eine Framus und für zehn Mark ein Heft Gitarre spielen in 10 Stunden.

Wenn nur ein Lied von Ihnen erhalten bleiben könnte – welches sollte es sein?

Michael Holm: Besonders zufrieden bin ich mit dem Text ‚Ein Lied kann eine Brücke sein‘, den ich für Joy Fleming geschrieben habe. Obwohl wir damit beim ESC total abgestunken sind, ist es eine wunderbare Nummer, die heute noch gern gespielt und gehört wird. ‚Tränen Lügen‘ nicht sollte dabei sein, das immer eine Ballade für jemanden bleiben wird, der seine Gefühle ausdrücken will. Und natürlich ‚Mendocino‘, das hat schon einen Volksmusikcharakter.

Michael Holm: So lief das damals mit „Mendocino“

„Mendocino“ war Ihr erster Riesenhit. Wie kam es dazu?

Michael Holm: Ich war mit dem genialen Musiker Giorgio Moroder aus Südtirol befreundet. Der hatte als Giorgio gerade den Hit ‚Looky Looky‘, bei dem ich – was kaum einer wusste – den Refrain gesungen habe. Eines Tages rief Giorgio in Berlin an: ‚Michael, du muscht nach München kommen! Wir haben einen Hit, den kannscht nur du singen!‘

Und das war „Mendocino“?

Michael Holm: Genau. Das war damals ein Riesenhit des amerikanischen Sir Douglas Quintet, und ich wollte unbedingt den deutschen Text schreiben. Singen war nicht geplant, ich fühlte mich mit 27 zu alt fürs Hitparaden-Geschäft. Doch Giorgio wollte auch meine Stimme, die Plattenfirma drohte: ‚Wenn du nicht singst, hast du bei uns keine Chance mehr als Autor.‘ Damit hatten sie mich, wie man heute salopp sagen würde, an den Weichteilen gepackt, und ich habe gesungen.

Schlagersänger Michael Holm bei einem Auftritt in der ZDF-Hitparade in den 1970-er Jahren.

Schick in Schale mit bunten Farben und Trompetenärmeln: Michael Holm in den 70ern (genaues Aufnahmedatum unbekannt) in der „ZDF-Hitparade“.

Es ist heute gewöhnungsbedürftig, wie Künstler damals aussahen – Frisuren, Klamotten. Sie waren keine Ausnahme ...

Michael Holm: Ja, es war makaber. Es war der Lebensfreude und der Originalität des Interpreten überlassen, ob er da übertrieben hat. Mein Glanzstück war ein goldener Satin-Anzug, den ich für meinen ZDF-Hitparade-Auftritt 1973 mit ‚Baby, du bist nicht allein‘ gekauft hatte. Ein Wahnsinns-Teil, kitschig, peinlich, geschmacklos. Aber herausragend und unheimlich stark.

Einer Ihrer erfolgreichsten Titel ist die von Rex Gildo besungene „Fiesta Mexicana“, die gerade unruhige Zeiten erlebt: Sie bereitet Laiengruppen Probleme, die das Lied gern als wie sie meinen Mexikaner verkleidet vortragen und dann kritisiert werden, es sei „kulturelle Aneignung“. Wie sehen Sie das?

Michael Holm: Lächerlich und intolerant. Kulturell steht die ganze Welt immer auf den Schultern von irgendjemanden. Wir reden von Globalisierung und Verstehen, und dann darf man so etwas nicht machen? Das ist doch eine vollkommen abstruse Denke. Die Herrschaften, die sich da als ‚ganz bewusst‘ darstellen, sind in Wirklichkeit ganz enge provinzielle Geister. Kultur lebt von Austausch und beeinflusst sich gegenseitig, das hat nichts mit Aneignung zu tun!

Lust auf noch mehr Musik? Dann schnell an der EXPRESS-Umfrage teilnehmen:

Zu Ihrem musikalischen Leben gehört die Zusammenarbeit mit Guildo Horn, dessen Album „Danke“ Sie vor rund 25 Jahren produziert haben. Wie war die Begegnung von Alt und Neu?

Michael Holm: Das Besondere an Guildo und seinen Orthopädischen Strümpfen war, dass er Respekt vor den alten Schlagern, und sich nie darüber lustig gemacht hatte. Er hat sie nur genial verrockt! Hören Sie mal auf dem Album ‚Wunder gibt es immer wieder‘ – eine gigantisch, tolle Version vom alten Katja-Ebstein-Hit.

Wer Sie sieht, sieht einen Mann, dem man die 80 nicht anmerkt. Wie halten Sie sich fit?

Michael Holm: Indem ich ganz normal lebe – und mich vor allem jeden Tag bewege. Bewegung ist wichtig. Ich bin überzeugt, dass es jedem Menschen guttut, jeden Tag irgendwas zu machen. Und bei mir muss das Essen stimmen: Ich bin zwar weder Veganer noch Vegetarier, esse aber bewusst – und lecker muss es sein.

Schlagersänger Michael Holm und Ehefrau Beate am 9. September 2012 in Hamburg.

Michael Holm und seine Frau Beate, genannt „Bimbi“, 201 in Hamburg.

Wie geht's weiter – noch ein finales Album und eine Abschieds-Tour?

Michael Holm: Ich lasse das auf mich zukommen und ausklingen. Ich werde nicht sagen: Das ist meine letzte Platte. Ich habe mit meiner Plattenfirma einen Künstlervertrag – ich bin vertraglich verpflichtet, immer weiterzumachen. Zurzeit schreibe ich mit Michael Kernbach, dem Co-Autor meiner Memoiren, ein Musical über die Hitparaden-Zeit.

Worum geht's?

Michael Holm: Sorry, aber das verrate ich keinem – nicht mal dem EXPRESS.

Michael Holm: Vom Jura-Studenten zum Liebling der Hitparaden

Michael Holm (geboren am 29. Juli 1943 in Stettin als Lothar Bernhard Walter), aufgewachsen in Erlangen. Er brach sein Jura-Studium nach den ersten musikalischen Erfolgen ab, bildete von 1961 bis 1965 mit Boy Berger (Albert Schützenberger; 2021) das Duo „Die Missouris“. 1969 sein erster Hit „Mendocino“. 1970 folgte „Barfuß im Regen“, 1971 „Ein verrückter Tag“, 1974 dann „Tränen lügen nicht“ und „Musst du jetzt gerade gehen, Lucille?“ 1979 überzeugte er mit „El Lute“. Gründete Ende der 70er mit Kristian Schultze das Projekt „Cusco“.

Er schrieb auch „Ich sprenge alle Ketten“ (für Ricky Shane), „Ich geb mir selbst ne Party“ (Howard Carpendale), „Arizona Man“ (Mary Roos) und „Fiesta Mexicana“ (Rex Gildo). 1998 produzierte er das Guildo-Horn-Album „Danke!“. Seit 1991 in zweiter Ehe mit Beate verheiratet. Das Paar hat Sohn Max und Tochter Anna, lebt in Weilheim (Oberbayern).