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Interview

Schlagerstar Nicole„Der Krebs hat meinen Blick auf das Leben verändert!“

Schlagersängerin Nicole hat über ihr neues Album, ihre lange Karriere und ihre nach überstandene Brustkrebserkrankung gesprochen. Und über den ESC, der ihr so nicht mehr gefällt.

von Horst Stellmacher  (sm)

Den Kampf gegen eine schwere Krankheit gewinnen und danach als fast neuer Mensch durchstarten: Diesen Weg ist Schlagerstar Nicole (gerade 60 geworden) gegangen. 2020 war sie mit der schrecklichen Diagnose Brustkrebs konfrontiert worden. Sie hat danach nicht aufgegeben, sondern begann, um ihr Leben zu kämpfen. Jetzt weiß sie, dass sie den Krebs besiegt hat.

Das gibt ihr Kraft für ihr neues Album „Carpe diem“ (erscheint am 15. November) und die dazugehörige Tournee. Über ihre Musik und ihr neues Leben hat die beliebte Sängerin ausführlich mit dem EXPRESS gesprochen

Nicole ermuntert ihre Fans, das Leben zu genießen

Ihr neues Album wird „Carpe diem“ heißen, also „Genieße den Tag“. Warum dieser Titel?

Nicole: Ich möchte damit die Menschen ermuntern, das Heute zu genießen und sich Sachen zu gönnen, die ihnen guttun. Denn „Carpe diem“ bedeutet ja auch, dass wir heute nicht wissen, was morgen ist, was sich leider viele Menschen nicht klarmachen. Sie leben in den Tag hinein, und sehen nicht, dass in der nächsten Sekunde schon alles anders sein kann: eine Krankheit, ein Unfall, ihnen kann gleich ein Ziegel auf den Kopf fallen – alles ist möglich.

Seit wann leben Sie so bewusst?

Nicole: Das kam mit meiner Krebs-Krankheit. Die hat meinen Blick aufs Leben verändert, sie war der Einschnitt. Ich habe meine Genesung als Chance gesehen, Dinge zu ändern, die mir nicht guttaten.

Sie sind vor eineinhalb Wochen 60 Jahre alt geworden. Wie war es, als Ihnen diese Zahl bewusst wurde, was haben Sie gedacht?

Nicole: Dass es nicht selbstverständlich ist, dass man 60 wird, und dass jeder Tag ein Geschenk ist. Ansonsten hat mich das nicht so sehr berührt. Da hatte sich ja nur eine Zahl geändert. Da steht jetzt eine 6 vorn. Doch ich bin immer noch die Nicole, die ich immer war.

Die 17-jährige deutsche Sängerin Nicole Hohloch gewinnt mit ihrem Lied "Ein bisschen Frieden" am 24.04.1982 den Europäischen Schlagerwettbewerb Grand Prix d'Eurovison de la Chanson

Nicole beim Europäischen Schlagerwettbewerb Grand Prix d'Eurovison de la Chanson in Harrogate/Großbritannien im Jahr 1982. Die damals 17-Jährige gewann mit „Ein bisschen Frieden“.

Die aktuelle Single aus dem Album heißt „Ich gratulier' mir!“ Wozu gratulieren Sie sich selbst?

Nicole: Ich gratuliere mir zu dem, was ich in über vier Jahrzehnten auf der Bühne geleistet habe. Ich bin sehr stolz, dass ich mithilfe meiner Familie, meiner Freunde und meines Publikums so weit gekommen bin. Ich habe das geschafft, von dem ich mal geträumt habe – und das ohne Skandale und irgendwelche versteckte Leichen im Keller.

Wenn Sie zurückblicken – gibt es Zeiten, an die Sie sich nicht so gern erinnern?

Nicole: Ich kann mich da nicht beschweren. Bis die Krankheit bei mir entdeckt wurde, habe ich nur Glück gehabt. Ich konnte beruflich wie privat meine Pläne verwirklichen, meine Träume sind wahr geworden: mein Grand-Prix-Erfolg, die erfolgreichste Hitparaden-Sängerin aller Zeiten, viele, viele Auszeichnungen wie elf Stimmgabeln, die Europa, der Echo – nur das Bambi fehlt noch. Aber vielleicht bekomme ich das ja zum 70. für mein Lebenswerk (lacht).

Zu Ihrem Leben gehört aber auch, dass Sie nicht immer so erfolgreich waren. Hat Sie das geärgert?

Nicole: Mir war immer klar, dass man nicht immer Erste sein kann, das würde ja auch zu Größenwahn führen. Ich habe nie was gemacht, nur weil es gerade trendy war. Wichtiger war mir immer, Lieder zu singen, die nicht dem deutschen Schlager-Klischee entsprechen. Ich habe mich in meiner Karriere in viele andere Gebiete gewagt.

Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Nicole: 1998 habe ich mal die Welt retten wollen und das Album namens „Abrakadabra“ veröffentlicht. Da ging es um Themen wie Gewalt in der Ehe, Drogenmissbrauch, Intoleranz Homosexuellen gegenüber. Wenn Marius Müller-Westernhagen dieses Album gemacht hätte, hätte es Millionen verkauft. Doch bei mir wurde es das am schlechtesten verkaufte meiner Karriere. Die Radio-Redakteure sagten: „Das können wir nicht spielen. Das ist viel zu ernst und problemlastig. Das will keiner hören“. Ich habe es auf meinen Konzerten trotzdem gespielt.

Und wie war die Reaktion?

Nicole: Danach kamen immer viele Leute, die sich bedankten: „Wir haben uns in den Liedern wiedererkannt!“ Da merkte ich, dass ich nicht nur dafür da bin, den Leuten zu gefallen, sondern auch, um sie ein Stück weit an die Hand zu nehmen und ihnen zu sagen: „Ich kenne dein Problem“. In dem Moment wurde ich zum Seelsorger.

„Ein bisschen Frieden“ war gleich zu Beginn Ihrer Karriere. Alles, was danach kam, stand in seinem Schatten. Hat das manchmal genervt?

Nicole: Nie! Es ist doch schön, mit einem Jahrhundertlied in Verbindung gebracht zu werden. Der Name Nicole ist dadurch zu einem Begriff rund um die Welt geworden. Das ist auch heute noch so: Wenn der Name Nicole fällt, sehen die Leute das junge Mädchen mit der weißen Gitarre allein auf der großen Bühne und hören das wunderschöne Friedenslied. Und wenn wir die aktuellen Schlagzeilen anschauen, bekommt dieses Lied noch mehr Tiefgang, denn wir sehen, dass es leider immer noch höchst aktuell ist – aktueller, als es jemals war.

Nicole: Der ECS ist zu laut und bizarr geworden

Sind Sie eigentlich immer noch ESC-Fan?

Nicole: Das ist vorbei, der ESC ist mir zu laut und bizarr geworden, und es wird nicht besser. Es kommt da ja nicht mehr auf die Musik an, sondern nur noch auf die Show – je schriller, desto besser. Das ist nicht mehr meine Welt.

Für einige Ihrer Kollegen ist die Show drumherum immer sehr wichtig …

Nicole: Ich bin von Anfang an meinen Weg gegangen, die Leute wussten schnell, dass ich so etwas nicht mache, da war und bin ich hart wie ein Stein. Auch die TV-Redakteure wussten von Anfang an, dass ich kein Clown bin, sondern Sängerin, dass ich nicht alles mitmache. Ich mache nur das, von dem ich überzeugt bin, ich habe nie vorgehabt, jedermanns Liebling zu sein.

Trotz Ihrer Erfolge haben wir Sie nie abgehoben erlebt. Was hat Sie auf dem Boden gehalten?

Nicole: Das haben mir meine Eltern vorgelebt. Ich bin in sehr bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Mein Vater war Alleinverdiener, wir waren vier Kinder. Geld war immer knapp, es ging meist gerade so auf. Meine Großeltern lebten im Haus, haben uns auch unterstützt und der Mutter geholfen. Urlaub war für mich ein Fremdwort. Und trotzdem hatte es mir an nichts gefehlt, ich hatte eine tolle Kindheit mit meinen Geschwistern. Wir hatten immer volle Bude, an unserem Tisch saßen immer ein Dutzend Leute. Es war eine schöne Zeit. Das alles prägt.

Ihre Töchter sind einen anderen Weg gegangen als Sie. Sind Sie froh darüber?

Nicole: Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn Sie in meinen Fußstapfen getreten wären. Hätte ich das Interesse bei unseren Töchtern gemerkt, dann hätte ich sie unterstützt. Aber ich hätte sie auch vor Dingen gewarnt, die in dem Beruf nicht so toll sind, auch vorm sogenannten Star-Sein. Ein Star ist immer eine Person des öffentlichen Interesses, er wird begutachtet, abfotografiert, man liest komische Sachen über ihn. Er muss immer aufpassen, was er sagt, was er anhat, wie er sich bewegt und benimmt. Er ist nur noch privat, wenn er seine Haustür hinter sich schließt. Das ist alles nicht so toll.

Wie lange wollen Sie noch auf der Bühne stehen?

Nicole: Das weiß ich nicht, das kann aber noch dauern. Ich glaube auch, ich werde es vorher nicht groß ankündigen. Ich ziehe ja zum Schluss meiner Shows immer einen imaginären Hut und verabschiede mich. Wenn ich irgendwann mal mit einem echten Hut erscheine, dann ist es mein letztes Konzert. Ich werde „Sag beim Abschied leise Servus singen“ – und dann ist wirklich Schluss!

Nicole: Schlagerstar ist immer noch mit der Jugendliebe zusammen

Nicole Seibert (Mädchenname Hohloch, geboren am 25. Oktober 1964 in Saarbrücken) lebt in Nohfelden-Neukirchen (ebenfalls im Saarland). Erster Hit 1981: „Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund“. 1982: Grand-Prix-(heute ESC-)Erfolg im englischen Harrogate mit „Ein bisschen Frieden“ (die Single verkaufte sich fünf Millionen Mal, mit der englischen Version „A Little Peace“ erreichte sie in Großbritannien als erste Deutsche den ersten Platz in den Charts).

Rund 30 Alben, zehn Goldene Stimmgabeln, 17 Mal Siegerin der ZDF-Hitparade. Den „Echo“ bekam sie für ihr Lebenswerk. Seit dem 17. August 1984 ist sie mit ihrem Jugendfreund, dem Kfz-Sachverständigen Winfried Seibert, verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter und zwei Enkelkinder. Im Dezember 2020 wurden bei ihr zwei bösartige Tumore in der rechten Brust entdeckt. Im Juli 2022 verkündete sie ihre erfolgreiche Heilung.