Giovanni di Lorenzo, Journalist und Moderator der Talkshow „3 nach 9“, hat mit EXPRESS.de über überraschende und nervende Interview-Partner, unangenehme Momente unter Tränen und darüber, was der Papst ihm verriet, gesprochen.
„In meinem ganzen Berufsleben noch nicht erlebt“Bekannter Talker über denkwürdiges Gespräch mit Helene Fischer
Charmant, einfühlsam, klug – und dieses leichte Lächeln in den Mundwinkeln: Giovanni di Lorenzo (64), Gastgeber des ARD-Talks „3 nach 9“, Chef der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Er schafft es, sperrigsten Interviewpartnern oft unerwartete, meist wahre Antworten zu entlocken. Wie das geht, zeigt sein Buch „Vom Leben und anderen Zumutungen“ (KiWi, 25 Euro) mit gesammelten Interviews. Von EXPRESS.de ließ er sich mal selbst befragen.
Giovanni di Lorenzo: Erdogan-Interview war „70-minütiger Kampf“
Sind Sie schon mal von einem Interview-Partner enttäuscht worden: Sie erwarteten einen tollen Menschen und begegneten einem Blödmann?
Giovanni di Lorenzo: Ja! Die, die öffentlich besonders sympathisch wirken, sind manchmal in der persönlichen Begegnung eine Enttäuschung, weil die Freundlichkeit nur eine Masche ist. Und die, die man vorab eher abstoßend findet, erweisen sich plötzlich als nett, lustig und souverän.
Wo stimmten Erwartung und Geschehen nicht überein?
Giovanni di Lorenzo: Zum Beispiel beim ungarischen Ministerpräsidenten Viktór Orban. Obwohl wir uns im Interview gezofft haben, war er mir persönlich sympathisch, natürlich nicht politisch. Auch Silvio Berlusconi, den ich einige Male getroffen habe, konnte sehr charismatisch und einnehmend sein. Das ist ja auch logisch: Wären sie es nicht, hätten sie nicht diese Massenwirksamkeit.
Bei wem wurden Ihre Vorurteile bestätigt?
Giovanni di Lorenzo: Beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Das Interview war ein 70-minütiger Kampf, schrecklich! Er hielt mich nicht für einen Journalisten, sondern für einen Vertreter der Bundesrepublik, und behauptete, wir steckten alle unter einer Decke. Es war von der ersten Sekunde an Kampf, Aggression, Unverständnis. Ich habe dagegengehalten, jede Minute erwartet, dass er mich rauswirft.
Helene Fischer und das Problem mit dem Interview
Heutzutage werden fast alle Interviews gegengelesen, dann abgesegnet. Mit wem hatten Sie da mal Probleme?
Giovanni di Lorenzo: Ich hätte in das Buch gern mein Gespräch mit Helene Fischer aufgenommen, das ich 2021 für die „Zeit“ geführt habe. Es war schon damals ein sehr schwieriger Prozess: Am Morgen vor dem Redaktionsschluss rief das Management an und wollte es so, wie es war, nicht freigeben. Nur wenige Stunden vor dem Andruck kam dann eine Fassung, in der so viel verändert und gestrichen worden war, wie ich es in meinem ganzen Berufsleben noch nie erlebt hatte.
Sie haben dann Ihre erste Version veröffentlicht?
Giovanni di Lorenzo: Nein, die stark gekürzte Version, kurz vor Redaktionsschluss. Allerdings haben wir neben dem Interview in einigen wenigen Sätzen erläutert, welche Inhalte gestrichen worden waren. Das war offenbar einer der Gründe, warum mir der Nachdruck im Buch nicht erlaubt wurde.
Sie sind einer der wenigen, mit dem Papst Franziskus ein langes Interview geführt hat. Was hat Sie am meisten überrascht?
Giovanni di Lorenzo: Ich hatte mich spontan entschieden, ihm Kinderfragen zu stellen und fragte zum Beispiel: „Glauben Sie an den Teufel?“ Ich war total verblüfft, als er mit „Ja“ antwortete. Danach hat er mir ausführlich erklärt, wie sich ihm der Teufel zeigt. Ein spannendes Gespräch.
Gab es da auch Probleme mit der Freigabe?
Giovanni di Lorenzo: Nein. Der Papst war im Autorisieren viel großzügiger als mancher Politiker oder Showstar. Er hat auch Stellen drin gelassen, von denen ich dachte, die streicht er bestimmt.
Wenn es den vom Papst behaupteten Teufel gäbe – würden Sie ihn interviewen?
Giovanni di Lorenzo: Gut vorbereitet – natürlich!
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Gibt es auch eine rote Linie?
Giovanni di Lorenzo: Ich finde, man darf einem Klimawandel-Leugner, einem, der den Holocaust verharmlost, oder jemandem, der Gewalt verherrlicht, nicht die Spalten öffnen. Man darf natürlich über solche Leute schreiben, aber keine Interviews oder sogar Namensbeiträge. Aber bei Menschen, die sehr viel Macht über andere und Einfluss auf politische Vorgänge haben, bin ich immer neugierig.
Wäre Putin ein Gesprächspartner?
Giovanni di Lorenzo: Im Moment nicht so gern. Ich fühle mich derzeit nicht in der Lage, ihm Fragen zu stellen, bei denen ich das Gefühl hätte, da käme etwas raus, was jenseits einer Propaganda-Inszenierung ist. Ich glaube auch, ich hätte Schwierigkeiten, meine Emotionen in Zaum zu halten.
Es gibt Gespräche, da fragt man so intensiv, dass ein Gesprächspartner in Tränen ausbricht. Wie reagieren Sie da?
Giovanni di Lorenzo: Manchmal sucht der Fragende einen wunden Punkt, um einen emotionalen Ausbruch zu provozieren. Wenn ich das von außen beobachte, ist es mir sehr unangenehm. Aber wenn Tränen aus einer Situation heraus kommen, die keine Fassade oder Inszenierung ist, kann das ein sehr wahrhaftiger Moment sein. Schwierig ist es, wenn man selbst in Tränen ausbricht.
Ist Ihnen das schon passiert?
Giovanni di Lorenzo: Zweimal. Ich habe mich jedes Mal danach geschämt. Einmal im Gespräch mit einem Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau, der in Sichtweite des Lagers lebte und vom Schicksal seines in diesem Lager umgekommenen Bruders erzählte. Ein andermal, als ich mit einem Menschen gesprochen habe, der gefoltert worden war.
Warum schämten Sie sich?
Giovanni di Lorenzo: Ich darf denjenigen, der mir etwas sehr Trauriges und Schmerzhaftes aus seinem Leben erzählt, nicht auch noch mit meiner Reaktion belasten. Es gehört zu meinem Beruf, Gesprächspartnern nicht zur Last zu fallen.
Sie fragen gern andere Leute. Lassen Sie sich selbst gern ausfragen?
Giovanni di Lorenzo: Sehr ungern.
Versuchen wir es trotzdem: Sie sind Halbitaliener, leben in Hamburg. Ein Namensvetter ist Star beim SSC Neapel. HSV- oder Neapel-Fan?
Giovanni di Lorenzo: Nichts von beidem, ich bin St.-Pauli-Fan. Meine erste Mannschaft, also die, die man eigentlich nie verrät, war Juventus Turin. Allerdings ist da inzwischen die Ansammlung an Skandalen so groß, dass meine Liebe erkaltet ist.
Haben Sie eine Beziehung zum 1. FC Köln?
Giovanni di Lorenzo: Klar, eine ganz persönliche. Wenn ich Effzeh höre, denke ich an meinen Nachfolger beim Berliner „Tagesspiegel“, den Ur-Kölner Lorenz Maroldt. Der verschwand eine Zeit lang samstags aus der Redaktion, weil er mit seinem Auto zu jedem FC-Spiel fuhr. Wenn er nachts zurückkam, war er stets bestens gelaunt und summte ein kölsches Lied, egal, ob der FC gewonnen oder verloren hatte. Von allen Chefredakteurinnen und Chefredakteuren, die ich kennengelernt habe, ist er die coolste Sau!
Ist Köln die nördlichste Stadt Italiens?
Giovanni di Lorenzo: Jeder Kölner möge mir das verzeihen – aber das gestehe ich nur München zu. Allerdings spreche ich da von der architektonischen Anmutung. Es gibt in München Gebäude, die sehen nicht nur italienisch aus, die sind sogar richtig nachgebaut worden. Und bei aller Sympathie für Köln, die natürlich vorhanden ist: Italien ist von München aus einfach schneller zu erreichen.
Sie wirken immer so ruhig und gelassen. Regt Sie nichts auf?
Giovanni di Lorenzo: Keine Angst, ich kann auch explodieren. Ich habe alle Schwächen dieser Welt. Ich bin tief geprägt von der katholischen Kultur, schon deswegen ist mir nichts Menschliches fremd.
Giovanni di Lorenzo: Kindheit zwischen Schweden und Italien
Giovanni di Lorenzo wurde am 9. März 1959 in Stockholm als Sohn eines Italieners und einer Deutschen geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Schweden und Deutschland, dann auf Rimini und in Rom, kam mit elf Jahren mit seiner Mutter und seinem Zwillingsbruder Marco nach Hannover. Bis 1986 studierte er in München (Kommunikationswissenschaft, Politologie, Neuere und Neue Geschichte mit Magister-Abschluss).
Seit 1989 moderiert di Lorenzo die TV-Talkshow „3 nach 9“, ist seit 2004 Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ und Herausgeber der Berliner Tageszeitung „Tagesspiegel“. Er war von 2005 bis 2015 mit Moderatorin Sabrina Staubitz (55) liiert, sie haben eine gemeinsame Tochter (15). Er wohnt in Hamburg-Winterhude.