In der Smart-Home-Dystopie „Cassandra“ lässt Netflix 70er-Retro-Chic mit dem erschreckenden Potenzial moderner Technik kollidieren. Zwischen schwarzem Humor, düsteren Horrorelementen und einer famosen Lavinia Wilson verströmt die Netflix-Serie mehr als nur einmal „Black Mirror“-Vibes.
Smart-Home-Dystopie „Cassandra“Wenn die eigenen vier Wände zur Falle werden
„Willkommen in meinem Haus“: Eigentlich hätten David (Michael Klammer) und Sam (Mina Tander) schon direkt zu Beginn der neuen Netflix-Serie „Cassandra“ (ab 6. Februar) das Ungemach erahnen können. Nach einem Schicksalsschlag innerhalb der Familie erhofft sich das Paar mit seinen Kindern Finn (Joshua Kantara) und Juno (Mary Amber Oseremen Tölle) einen Neuanfang in einem ruhig gelegenen Häuschen am Waldrand - sogar mit Pool, Partyraum und reichlich Platz.
Deutlich charakteristischer aber sind die großen Bildschirme in jedem Zimmer, die sich nach Betätigung eines Hebels im Keller als Bestandteile eines antiquiert wirkenden, aber bestens funktionierenden Smart Homes aus den 1970er-Jahren entpuppen. Dazu gehört auch der dunkelrote Roboter mit viereckigem Kopf, leicht verzerrter Visage und allerlei praktischer Fähigkeiten für den Haushalt: Titel-“Heldin“ Cassandra (Lavinia Wilson).
Begeisterung über Smart Home weicht zunehmender Skepsis
Zunächst erkundet die Familie begeistert die neuen Möglichkeiten des Smart Homes. David lässt Cassandra den Rasen mähen, während Juno glaubt, in Cassandra eine neue Freundin zu finden. Einzig Sam scheint skeptisch gegenüber der intelligenten Haushaltshilfe zu sein - nicht nur wegen des nervigen Weckers samt vorgesungenem „Guten Morgen, liebe Sorgen“. Und tatsächlich: Cassandra führt einen zunehmend kompromisslosen Feldzug gegen die zweifache Mutter, maximal manipulativ und hinter dem Rücken der restlichen Familienmitglieder.
Doch Sam lässt sich nicht herumschubsen und stellt Nachforschungen an. Sie findet heraus, dass Cassandra einst, in den 70er-Jahren, mit ihrer Familie im Haus wohnte. Diesen Handlungsstrang etabliert Regisseur Benjamin Gutsche (“Arthurs Gesetz“) parallel zum sich zunehmend zuspitzenden Szenario in der Gegenwart - und enthüllt Geheimnis für Geheimnis die wahre Intention Cassandras.
Lavinia Wilson liefert in „Cassandra“ überragend ab
Wenn 70er-Jahre-Nostalgie auf hochmoderne Technik trifft: „Cassandra“ verbindet klug die schräge Optik der 70-er mit dem erschreckenden (Überwachungs-)Potenzial eines Smart Homes. Wähnt man sich zu Beginn der sechsteiligen Netflixserie noch im Intro eines biederen 0815-Horrorfilms, überrascht die Produktion dann mit pointierter Kameraarbeit, dem wirkungsvollem Einsatz dröhnender Stille und gut dosiert eingestreuten, ziemlich makaberen Horrorelementen.
Abgesehen davon gefällt „Cassandra“ dank der authentischen Zeitreise in die 70er-Jahre und einem bestens austarierten Pacing. Die Cliffhanger am Ende der Folge sind wirkungsvoll gesetzt, gleiches gilt für die Zeitsprünge zwischen den beiden Erzählsträngen.
Ohne Zweifel der Star der Serie ist Lavinia Wilson: Sie vereint die Tragik von Cassandras Familiengeschichte famos mit dem vergrämten, bitterbösen Ego ihrer späteren Metallhülle. Einzig das überhastete Ende, das einige Fäden der Erzählung etwas unbefriedigend ausfasern lässt, trübt den Gesamteindruck der sonst überzeugenden Netflix-Dystopie, die in ihren besten Momenten an „Black Mirror“ erinnert. (tsch)