Im neuen Tatort aus Münster ermittelten Frank Thiel und Karl-Friedrich Boerne im Fall einer getöteten „Momfluencerin“ – doch was sind „Momfluencerinnen“ überhaupt und woher kommt der Hass auf sie?
Münster-„Tatort“Was sind „Momfluencerinnen“ und woher kommt der Hass auf sie?
Ein scheinbarer Suizid führte Kriminalhauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Professor Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) in ihrem 43. gemeinsamen „Tatort“ in die Villa von Evita Vogt (Laura Louisa Garde): Die Tote war zweifache Mutter und verdiente ihren Lebensunterhalt als sogenannte „Momfluencerin“. Künstlername: „MagicMom“.
Was hat es mit diesem besonderen Berufszweig auf sich? Und wofür werden Momfluencerinnen auch im realen Leben (nicht nur zu Unrecht) kritisiert?
„Tatort“ aus Münster: Worum ging es?
Die erfolgreiche Momfluencerin „MagicMom“ alias Evita Vogt hat sich offensichtlich mit einem Stromkabel erhängt. Der gewiefte Gerichtsmediziner Boerne hegte allerdings Zweifel an der Theorie: Die fehlenden Kammblutungen am Hals ließen auf ein postmortales Aufhängen schließen, mehr noch: Die Schwellungen im Hals ließen auf Erstickung schließen, ausgelöst durch ein Angioödem, das ist ein Gendefekt, der unter anderem durch hormonelle Verhütungsmethoden ausgelöst wird. Es hätte jedoch auch ein anaphylaktischer Schock sein können.
Da „MagicMom“ intime Details aus ihrem Leben auf Instagram teilte, war der Kreis der Verdächtigen zunächst groß: Mit der Momfluencerin „BusyBine“ (Agnes Decker) lag die Tote offenbar im Clinch: Letztere schickte ihr online Morddrohungen. Der alleinerziehende Vater Jakub Schmidt (Aviran Edri) zeigte hingegen zu großes Fan-Interesse an Evita und tauchte kurz vor dem Tod sogar vor ihrer Haustür auf.
Worum ging es im „Tatort“ aus Münster wirklich?
Obwohl der für den Tod Verantwortliche letztlich aus dem familiären Umfeld von Evita Vogt stammte: Die Gefahr, in die sich Momfluencerinnen durch das Zurschaustellen allzu intimer Details aus dem Privatleben geben, schwang in dem „Tatort: MagicMom“ eindeutig mit: „Ein Artikel in ‚Die Zeit‘ hat mich darauf aufmerksam gemacht, wie hart der Wind den Momfluencerinnen von allen Seiten ins Gesicht weht“, erklärt Drehbuchautorin Regine Bielefeldt: „Ich kenne ein paar erfolgreiche Internetstars, deren Leben und Arbeit durchaus faszinierend ist. Durch sie habe ich darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn eine öffentliche, Authentizität vermittelnde und eine private Identität im Netz verschwimmen.“
„Instamoms“: Was ist eine Momfluencerin?
Die sogenannten Momfluencerinnen sind Influencerinnen, die bewusst ihr Familienleben und ihr Dasein als Mutter ins Zentrum ihres Social-Media-Auftritts stellen.
Auch wenn es keine offiziellen Zahlen über den Anteil der Momfluencerinnen (auch „Instamoms“ genannt) bei Instagram und Co. gibt, ist ihr Einfluss nicht zu unterschätzen: Bereits Anfang der 2000er-Jahre entstanden erste Mütterblogs, die einen möglichst authentischen Blick auf die moderne Elternschaft geben wollten. Fungierten diese Seiten anfangs vor allem als Anlaufstelle für andere junge Eltern, die Fragen oder Probleme um die Erziehung ihres Nachwuchses hatten, wurden sie zunehmend auch für Unternehmen als Werbetreibende interessant.
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Ab einer Followerzahl von 10.000, sagte die Ethnologin und Instamom Marie Zeisler 2020 gegenüber „Zeit Online“, sei der Account einer Mutter als Microinfluencerin für Marketingagenturen interessant. Mit dieser Followerzahl könne man pro Post mit Markennennung allerdings nur etwa 100 Euro verlangen. Weitaus besser sieht es bei einer Followerzahl von 50.000 und mehr aus.
Die Inhalte, für die Momfluencerinnen werben, umfassen alles, was das Herz einer jungen (konsumbegeisterten) Mutter begehrt: Angefangen bei Babyartikeln und Spielzeuge über (vegane) Lebensmittel und Kleidung für Kinder bis hin zu Haushaltsartikeln für die gestressten Mütter.
Wofür werden Momfluencerinnen kritisiert?
An diesem Punkt setzt die Kritik an Momfluencerinnen an: Das vermittelte Frauenbild, so ist immer wieder zu lesen, sei wenig progressiv, beschäftigen sich die Mütter doch scheinbar 24 Stunden an sieben Tagen die Woche mit Kindererziehung und Haushalt. Der Anteil der männlichen Familieninfluencer, der sogenannten Dadfluencer, ist vergleichsweise gering.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Glorifizierung des perfekt harmonisch inszenierten Familienlebens: Natürlich gibt es Momfluencerinnen, die über die Schattenseiten des Mamadaseins, von postnatalen Depressionen, von Diskussionen über die Rollenverteilung zwischen Vater und Mutter und von Wutanfällen der Kinder, berichten.
Die glattgebügelten Accounts aber, die vor allem während den beiden Corona-Lockdowns aus dem Boden schossen wie Pilze, verursachten bei einem Teil ihrer Followerschaft vor allem eines: Stress!
„Wer trotz Kurzarbeit oder fehlender Kinderbetreuung keine finanziellen Probleme hat“, heißt es in der anonym verfassten Mutter-Kolumne des Nachrichtenportals „watson“ im Januar 2021, „wer kooperative Homeschooling-Kinder hat und vielleicht auch nur eines davon, wen über zwei Monate lang Kinder-Entertainment pur erfüllen und wer Nerven aus Stahl besitzt, der mag positiv in den Lockdown-Januar 2021 blicken. Alle anderen, die überlastet, überfordert und von Existenzängsten geplagt sind, fühlen sich durch solche Posts wie Versager.“
Was ist mit der Privatsphäre der Kinder?
Das mit Abstand größte Problem der Momfluencer-Bewegung betrifft jedoch die Kinder: Meist sind sie zu klein, um zu realisieren, dass Mama gerade ein Bild ins Netz stellt, geschweige denn dessen Ausmaß auf die eigene Zukunft vollständig zu überblicken. Denn wie heißt es so schön? „Das Netz vergisst nichts.“
Die drohenden Gefahren gehen dabei weit über „harmlose“ Sticheleien in der Schule hinaus: Immer wieder landen Fotos von Kindern im Darknet, wo sich Pädophile und andere Straftäter tummeln. Darüber hinaus manch ein allzu gut gepflegter Account, Rückschlüsse auf den Wohnort, den Kindergarten oder die Schule des Kindes zuzulassen, was im echten Leben gefährlich werden kann.
Die Veröffentlichung privater oder vertraulicher Informationen von einer anderen Person ist bei Instagram durch die Nutzungsbedingungen verboten. Davon abgesehen haben auch Kinder ein Recht am eigenen Bild. Die Veröffentlichung eines Bildes ohne Einwilligung der abgebildeten Person verstößt dagegen sowie gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ab einem Alter von sieben Jahren muss das abgebildete Kind vor der Veröffentlichung des Fotos befragt werden. Ab einem Alter von 14 Jahren darf es der Veröffentlichung selbst widersprechen. Da Kinder im Alter zwischen sieben und 18 Jahren jedoch nur beschränkt geschäftsfähig sind, werden sie grundsätzlich von ihren Eltern vertreten.
Im Sinne des Nachwuchses sollten Momfluencerinnen auf die Veröffentlichung von Kinderfotos verzichten. Auch ohne diese können interessante und ansprechende Accounts geführt werden. Soll das Kind unbedingt auf dem Account erscheinen, so empfiehlt sich, es nur von hinten oder von der Seite zu zeigen. Alternativ kann das Gesicht verpixelt oder mit einem virtuellen Sticker überklebt werden.
Wie geht es mit dem Münster-„Tatort“ weiter?
Der Jubiläums-„Tatort: Ein Freund, ein guter Freund“, der am 13. November 2022 und damit fast auf den Tag genau 20 Jahre nach dem ersten Münster „Tatort: Der dunkle Fleck“ (Erstsendung: 20. Oktober 2002) ausgestrahlt wurde, erreichte einen Marktanteil von 41,5 Prozent, was der beste Wert einer „Tatort“-Folge seit 1992 war.
Die Dreharbeiten für den 44. Fall unter dem Arbeitstitel „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ (Buch: Thorsten Wettcke) starteten Ende Februar. In dem Film tritt unter anderem ein ehemaliger Schulkamerad von Thiel auf, der inzwischen als Starautor tätig ist. Regie führt Till Franzen, der bereits einzelne Folgen der ARD-Krimireihe „Wolfsland“ inszenierte. Für den 49-Jährigen ist es der erste „Tatort“. Mit der Ausstrahlung ist wohl Ende 2023 zu rechnen. (tsch)