Überall Lug und BetrugWie aus einem True Crime-Podcast ein Serien-Meisterwerk wurde

Tim Wieczorek (Samuel Benito) genießt mit seinen Freunden eine Nacht im Club - die für ihn allerdings tragisch endet. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Tim Wieczorek (Samuel Benito) genießt mit seinen Freunden eine Nacht im Club - die für ihn allerdings tragisch endet. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Zum erfolgreichen True Crime-Podcast „Zeit Verbrechen“ gibt es bei RTL+ jetzt sensationelle Spielfilme, die auch im Kino laufen könnten.

Die Polizei will nur allzu gerne glauben, dass Tim Wieczorek (Samuel Benito) den Weg nach Hause allein findet. Dabei zeigt der 18-Jährige Zeichen einer Alkoholvergiftung und ist bei vier Grad Außentemperatur ohne Jacke unterwegs. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Die Polizei will nur allzu gerne glauben, dass Tim Wieczorek (Samuel Benito) den Weg nach Hause allein findet. Dabei zeigt der 18-Jährige Zeichen einer Alkoholvergiftung und ist bei vier Grad Außentemperatur ohne Jacke unterwegs. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Es sind echte Fälle und Verbrechen, es ist echtes Leid der Opfer: Das True Crime-Genre lebt von der Faszination des Morbiden nebenan. Und die scheint grenzenlos. Der Podcast „Zeit Verbrechen“ von der mehrfach ausgezeichneten Gerichtsreporterin Sabine Rückert etwa gehört mit fünf Millionen Streams pro Monat zu den meistgehörten in Deutschland. Ab 6. November zeigt RTL+ eine Bewegtbildvariante des Podcasts: Vier Fälle werden jeweils mit einem fiktionalen Spielfilm neu interpretiert und von hintergründigen Dokumentationen faktisch unterfüttert.

Cem (Zethphan Smith-Gneist, links) und Faraz (Adrian Vasile But) sind beste Freune seit Kindheitstagen - allerdings geraten sie in letzter Zeit immer öfter aneinander. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Cem (Zethphan Smith-Gneist, links) und Faraz (Adrian Vasile But) sind beste Freune seit Kindheitstagen - allerdings geraten sie in letzter Zeit immer öfter aneinander. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Ursprünglich für Paramount+ produziert, stand es nach Sparplänen beim Mutterkonzern des Streamingdienstes lange auf der Kippe, ob „Zeit Verbrechen“ überhaupt ausgestrahlt wird. Schließlich hat sich RTL+ die Rechte gesichert und erweitert sein Angebot um hochwertig produzierte deutsche Inhalte. Zum Glück, darf man sagen.

Fakten und Fiktion als unschlagbares Doppel

Anwältin Goldmann (Lavinia Wilson) will herausfinden, warum es in einer Freundesclique zu einem Mord kommen konnte. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Anwältin Goldmann (Lavinia Wilson) will herausfinden, warum es in einer Freundesclique zu einem Mord kommen konnte. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Johnny (Lars Eidinger) spielt seine Gangsterfreunde und die Polizei gegeneinander aus. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Johnny (Lars Eidinger) spielt seine Gangsterfreunde und die Polizei gegeneinander aus. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Die jeweils etwa einstündigen Filme der Anthologie-Serie wurden von unterschiedlichen Regisseuren gedreht: als beklemmender One-Shot, als Gerichtsdrama, als V-Mann-Thriller und als Einsamkeitsstudie. Zum Cast gehören Schauspielgrößen wie Sandra Hüller, Lars Eidinger, Anna Bederke, Aljoscha Stadelmann, Joachim Król und Lavinia Wilson.

In den dazugehörigen Dokumentationen beleuchten Sabine Rückert und weitere Journalisten einzelne Aspekte der Fälle und ordnen die Geschehnisse dadurch ein. Rückert saß in großen Strafprozessen, schrieb preisgekrönte Gerichtsreportagen und ging unvorstellbaren Kriminalfällen nach - sie weiß, wovon sie redet und wen sie was fragen muss. Grundsätzlich funktioniert das Konzept auch, etwa wenn Rückert unfassbare Versäumnisse bei den Ermittlungsbehörden aufdeckt.

Johnny (Lars Eidinger) will als spielsüchtiger V-Mann in „Der Panther“ ein Leben jenseits der Gitterstäbe in vollen Zügen genießen. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Johnny (Lars Eidinger) will als spielsüchtiger V-Mann in „Der Panther“ ein Leben jenseits der Gitterstäbe in vollen Zügen genießen. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Dass True Crime immer auch ein bisschen Boulevard ist, kann „Zeit Verbrechen“ nicht verhehlen. Bisweilen sind vor allem die Dokumentationen entweder zu naiv oder zu seicht. Oder beides.

Großes Kino im Serienformat

Sandra Hüller spielt in „Love by Proxy“ die Tochter des Witwers Ralf (Jan Henrik Stahlberg), der sich in eine junge Frau verliebt hat und mit allen Mitteln versucht, sie aus einer gefährlichen Situation in Ghana zu retten. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Sandra Hüller spielt in „Love by Proxy“ die Tochter des Witwers Ralf (Jan Henrik Stahlberg), der sich in eine junge Frau verliebt hat und mit allen Mitteln versucht, sie aus einer gefährlichen Situation in Ghana zu retten. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Dass die junge Amerikanerin Earlie Thomas (Maya Simonsen) nur eine Erfindung eines Internet-Schwindlers ist, will Ralf nicht wahrhaben. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Dass die junge Amerikanerin Earlie Thomas (Maya Simonsen) nur eine Erfindung eines Internet-Schwindlers ist, will Ralf nicht wahrhaben. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Aber es sind ohnehin die Spielfilme, die das Format zu einer kleinen Sensation machen. Großes Kino bei RTL+. Die Regisseurinnen und Regisseure konnten sich austoben, und sie haben ihre Freiheiten genutzt. Lars Eidinger dabei zuzusehen, wie er als spielsüchtiger V-Mann Johnny in „Der Panther“ (Regie: Jan Bonny) durch Spielhöllen und Bordelle tigert, wie er im Gangstermilieu ganz noch oben will, sich aber gleichzeitig der Polizei als Informant andient, ist schlicht faszinierend.

Vier Regisseurinnen und Regisseure haben aus Episoden des erfolgreichen True Crime-Podcasts „Zeit Verbrechen“ sensationelle Filme gemacht. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Vier Regisseurinnen und Regisseure haben aus Episoden des erfolgreichen True Crime-Podcasts „Zeit Verbrechen“ sensationelle Filme gemacht. (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved. )

Jan Henrik Stahlberg sitzt in „Love by Proxy“ einem Internetschwindel auf, der von Faraz Shariat als einfühlsame Etüde über Einsamkeit inszeniert wird. In „Deine Brüder“ verschränkt Regisseurin Helene Hegemann wiederum die faktische Kälte eines Gerichtssaals mit den impulsiven Erzählung eines getriebenen Jugendlichen, der Täter und Opfer zugleich ist.

Was schieflaufen kann

Herausragend ist auch der Fall „Dezember“ umgesetzt. Der Film von Mariko Minoguchi zeigt in einer beklemmenden Reduziertheit die letzten Stunden im Leben des 18-jährigen Tim (Samuel Benito) - und zwar aus seiner Perspektive. Der junge Mann wurde, stark alkoholisiert und völlig hilflos, nach einem Diskobesuch bei eisiger Kälte auf einer Landstraße überfahren - obwohl er zuvor im Polizeiauto in eine Ausnüchterungszelle gebracht werden sollte.

Es schmerzt regelrecht, ihm dabei zusehen, wie er orientierungslos durch die Dezembernacht irrt. Wie er von gestressten Rettungssanitätern wider besseres Wissen nicht ins Krankenhaus gebracht wird. Wie ihn zwei Polizisten im Nirgendwo aussetzen, um sich zusätzliche Arbeit zu ersparen.

Man kann kaum glauben, was alles schiefläuft, bis Sabine Rückert in der Doku die Hintergründe erklärt - die noch viel unglaublicher sind. Nur durch einen Zufall und die Beharrlichkeit der Hinterbliebenden-Anwälte ist es vor 20 Jahren gelungen, den Fall aufzuklären, den die von Korpsgeist geleiteten Behörden (Polizei und Staatsanwaltshaft) gerne zu den Akten gelegt hätten. (tsch)