War es doch kein erweiterter Suizid? TV-Doku zu Germanwings-Tragödie stellt neue Theorie auf

Der Absturz der Germanwings-Maschine, die vor zehn Jahren in den französischen Alpen zerschellte, wird in der Doku-Serie „Germanwings - Was geschah an Bord von Flug 9525?“ nachgezeichnet. (Bild: © Sky The Thursday Company)

Der Absturz der Germanwings-Maschine, die vor zehn Jahren in den französischen Alpen zerschellte, wird in der Doku-Serie „Germanwings - Was geschah an Bord von Flug 9525?“ nachgezeichnet. (Bild: © Sky The Thursday Company)

War es doch kein erweiterter Suizid des Co-Piloten Andreas Lubitz, der beim Germanwings-Flug von Barcelona nach Düsseldorf vor zehn Jahren 150 Menschen das Leben kostete? Die Sky-Doku „Germanwings - Was geschah an Bord von Flug 9525?“ geht auch anderen Spuren nach und stellt eine neue Theorie vor.

Im kollektiven deutschen Katastrophen-Gedächtnis ist Andreas Lubitz abgespeichert. Es ist der Name jenes jungen Co-Piloten, der am 24. März 2015 eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf gegen eine französische Felswand steuerte. Soweit der offizielle Tathergang. 150 Menschen kamen dabei ums Leben. Bereits nach 48 Stunden stand für die französische Staatsanwaltschaft fest, dass Lubitz bewusst gehandelt hatte.

Der 27-jährige Co-Pilot hatte bereits seit Längerem an Depressionen gelitten. Er hätte eigentlich nicht mehr fliegen dürfen. Doch ließ er tatsächlich die Cockpit-Tür bewusst verschlossen, als der Pilot, der nach draußen gegangen war, wieder ans Steuer wollte? Hat Lubitz das Hämmern und Rufen der Verzweifelten hinter ihm ignoriert? Versetzte er die Maschine absichtlich in einen steilen Sinkflug und ließ sie an den Alpen zerschellen?

Die Sky-Doku „Germanwings - Was geschah an Bord von Flug 9525?“ rollt den Fall zehn Jahre später noch einmal auf - und sät Zweifel an der offiziellen Deutung des Unglückshergangs.

„Das große Rätsel bleibt dieser rasante Sinkflug“

Simon Hradecky ist ein anerkannter Luftfahrt-Experte, der den Absturz in der Doku - teils mit anderen Experten - ausführlich analysiert. Hradecky ist Betreiber des anerkannten Branchendiensts „Aviation Herald“. (Bild: © Sky The Thursday Company)

Simon Hradecky ist ein anerkannter Luftfahrt-Experte, der den Absturz in der Doku - teils mit anderen Experten - ausführlich analysiert. Hradecky ist Betreiber des anerkannten Branchendiensts „Aviation Herald“. (Bild: © Sky The Thursday Company)

Die Filmemacher Nils Bökamp und Thomas Rogers sprechen eingehend mit Angehörigen der Opfer, die über die Doku Menschen zum Anfassen werden. Sowohl die Toten, wie auch ihre Hinterbliebenen. Doch es ist nicht nur ein Film über Trauer und Verarbeitung, sondern auch eine Analyse des Unfallhergangs.

Tatsächlich gibt es Ungereimtheiten und Verhaltensweisen der französischen Fluguntersuchungsbehörde BEA und anderer Protagonisten der Katastrophe, die merkwürdig erscheinen. Eine alternative Absturztheorie wird in der Doku hergeleitet. Dabei kommen Experten wie Flugsicherheitsexperte Simon Hradecky, der Anwalt der Opfer und zahlreiche Fachjournalisten zu Wort.

„Das große Rätsel bleibt dieser rasante Sinkflug, dieser Sturz aus zehntausenden Fuß in nur acht Minuten, während derer es keinerlei Kommunikation vonseiten der Piloten an Bord des Flugzeugs gab“, sagte Christopher Jasper beim TV-Sender Bloomberg. Schon nach 48 Stunden stand für die französische Staatsanwaltschaft allerdings fest, dass der Co-Pilot Andreas Lubitz den Piloten bewusst nicht ins Cockpit gelassen und die Maschine absichtlich abstürzen gelassen haben soll.

Erfahrene A320-Piloten geben Einschätzung ab

Frank Noack hat seine Tochter beim Absturz verloren. Er und andere Hinterbliebene bekommen im Film Zeit, ihr Erleben des Ereignisses und seine Verarbeitung zu erzählen. (Bild: © Sky The Thursday Company)

Frank Noack hat seine Tochter beim Absturz verloren. Er und andere Hinterbliebene bekommen im Film Zeit, ihr Erleben des Ereignisses und seine Verarbeitung zu erzählen. (Bild: © Sky The Thursday Company)

„Andreas, mach' die verdammte Tür auf“, soll der ausgesperrte Pilot gerufen und immer panischer gegen die Tür geklopft haben. Das habe der Oberste Staatsanwalt über den Inhalt des Audiorekorders aus dem Cockpit mitgeteilt, der nach dem Absturz gefunden wurde - so erzählen es die Angehörigen der Opfer des Fluges in der Doku. Der Co-Pilot hätte kein einziges Wort gesagt.

Er habe einen Medikamenten-Cocktail intus gehabt und sei eigentlich krankgeschrieben gewesen, hätte seinen Krankenschein aber nicht beim Arbeitgeber eingereicht, soll ihnen weiter erklärt worden sein. Zudem sei es bewiesen, dass Lubitz bei Bewusstsein war, da seine Atmung zu hören gewesen sein soll, die sich von der Atmung eines Bewusstlosen unterschieden hätte. Und: Er soll die Flughöhe manuell verstellt haben. Doch da tauchen in der Doku Zweifel auf.

Denn laut dem offiziellen Bericht soll Lubitz die eingestellte Flughöhe des Bordcomputers in nur einer Sekunde (so zeigt es der Flugdatenschreiber) von 38.000 auf 100 Fuß (von 11.800 auf 30 Meter) gestellt haben. Allerdings sei es nach Luftfahrtexperte Simon Hradecky unmöglich, das manuell in dieser Schnelligkeit zu schaffen, da der Knopf dafür mehrfach gedreht und noch gezogen werden müsse. Dabei würde der Knopf laute Geräusche machen - doch hätten die sensiblen Mikrofone der Blackbox in dieser Zeit kein derartiges Klicken aufgezeichnet.

Mehrere erfahrene Piloten, die A320-Flugzeuge fliegen, hätten Hradecky davon berichtet, dass sich bei einem Ausfall im Bordcomputer die gewählte Flughöhe sprunghaft verändert - meistens auf exakt 100 Fuß. Liegt hier also doch ein Fall von technischem Versagen vor?

„Dann konnte nur ein technischer Defekt den Sinkflug von 38.000 auf 100 Fuß ausgelöst haben“

Die Absturzstelle in den französischen Alpen: Aufgrund des frontalen, ungebremsten Aufpralls zerschellte das Flugzeug in viele kleine Einzelteile. Dennoch wurden später Habseligkeiten der Opfer wie Handys und Brieftaschen gefunden, die fast unversehrt waren. (Bild: © Sky The Thursday Company)

Die Absturzstelle in den französischen Alpen: Aufgrund des frontalen, ungebremsten Aufpralls zerschellte das Flugzeug in viele kleine Einzelteile. Dennoch wurden später Habseligkeiten der Opfer wie Handys und Brieftaschen gefunden, die fast unversehrt waren. (Bild: © Sky The Thursday Company)

Außerdem kurios: Von dem erwähnten Medikamenten-Cocktail und den gefundenen Krankschreibungen war im Abschlussbericht der BEA gar keine Rede. Selbst der wichtige Satz „Andreas, mach' die verdammte Tür auf“ fehlte. „Es war vieles nicht so, wie der Staatsanwalt das dargestellt hat“, ärgert sich eine Angehörige in der Doku.

Und die Aussage, dass der Co-Pilot nicht nur lebendig, sondern auch bei Bewusstsein gewesen sein soll? Laut Pilot und Luftfahrtexperte Tim van Beveren ließe sich das anhand der aufgezeichneten Atmung so nicht sagen. Ganz im Gegenteil, hätte sich ein Anästhesist das Muster der Atmung angeschaut und sofort bemerkt, dass die erhöhte Atemfrequenz klar auf eine Bewusstlosigkeit hindeuten würde.

„Dann konnte nur ein technischer Defekt den Sinkflug von 38.000 auf 100 Fuß ausgelöst haben“, schlussfolgert Simon Hradecky in der Doku und führt seine Theorie aus: „Die zentrale Bedienschnittstelle zwischen Mensch und dem automatischen Flugsystem des Airbus besteht im Wesentlichen aus zwei voneinander völlig unabhängigen Computern. Die Idee war, dass Computer 1 ausfällt, der die Steuerung der automatischen Flugsysteme ausführt. Das kann durch einen technischen Defekt, wie zum Beispiel das Auslösen einer Sicherung geschehen.“

Hradecky weiter: „Durch den Defekt werden wichtige Daten, wie die eingestellte Flughöhe, nicht an Computer 2 übermittelt, der nun aber die Steuerung übernimmt. Computer 2 ist noch im Ausgangsmodus auf 100 Fuß eingestellt, und so gelangen die 100 Fuß zum Autopiloten. Der Autopilot übernimmt diese falschen Informationen und leitet ohne menschliches Eingreifen einen Sinkflug ein.“

Angehöriger fühlt sich betrogen

War Co-Pilot Andreas Lubitz also tatsächlich bewusstlos, und ein technischer Defekt führte den Absturz herbei, während der Pilot außerhalb des Cockpits war? Das lässt sich letztendlich auch in der Doku unmöglich beweisen. Fragen aber wirft er auf. Auch jene, warum von allen Speichermedien wie Handys und Computern der toten Reisenden vor Rückgabe an die Hinterbliebenen sämtliche Inhalte gelöscht worden sind. Ein Angehöriger sagt hierzu: „Wenn über die Jahre hinweg die Herausgabe dieser wesentlichen letzten zwölf Minuten meiner Tochter verheimlicht werden, dann misstraue ich der ganzen Sache und ich fühle mich betrogen.“

Die Suche nach der Wahrheit rund um den Absturz vom 24. März 2015 macht indes nicht einfacher, dass die französische Staatsanwaltschaft, BEA und Fluggesellschaft mitteilen - wie immer wieder in der Doku eingeblendet wird -, dass man nicht mit den Filmemachern reden wollte und auch Statements zu Nachfragen ablehnte.

Der ganze Film ist bei Sky sowie auf dem Streamingdienst WOW ab dem 14. März verfügbar und läuft am selben Tag um 20.15 Uhr bei Sky Documentaries. (tsch)