Interview

„Früher wollte ich Filmmusik komponieren“Virologe und Politiker Prof. Hendrik Streeck ganz privat

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck bei einem Spaziergang durch den Kottenforst.

Hendrik Streeck sagt: „Ich bin sehr positiv im Rheinland und dem Karneval aufgenommen worden. Bonn ist meine Heimat geworden“. Gerade ist Streeck, der hier am Wildhege an der Waldau auf dem Bonner Venusberg steht, mit seinem Roman „Das Institut“ (Piper, 18 Euro) in den Bestsellerlisten. 

Der Virologe, Politiker und Autor Prof. Hendrik Streeck hat mit uns über „Bravo“-Poster in seiner Jugend, die Liebe zur Musik und Abgründe in  sozialen Medien gesprochen.

von Horst Stellmacher  (sm)

Bunter gehts kaum. Der Bonner Prof. Hendrik Streeck (47) ist erfolgreicher Arzt und Wissenschaftler, war mit seinen Sachbüchern in den Bestsellerlisten, ist seit Februar direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der CDU.

Und er ist frisch gebackener Thriller-Autor. Sein Roman „Das Institut – Im Schatten der Wissenschaft“ startet gerade in den Bücher-Charts. Es geht um ein gefährliches Virus.

Prof. Hendrik Streeck ist nun auch Thriller-Autor

Sie sind uns vor allem als Wissenschaftler bekannt. Doch jetzt tauchen Sie plötzlich mit Ihrem Thriller in den Bestseller-Listen auf. Wie kommt's?

Prof. Hendrik Streeck: Ursprünglich sollte es ein Sachbuch werden, um die Missstände in der Forschung aufzuzeigen. Gerade für junge Wissenschaftler ist die Karriere von vielen Unsicherheiten geprägt und ein ständiger Kampf mit negativen Ergebnissen. Obwohl negative Ergebnisse genauso wichtig sind, zählen nur die positiven Ergebnisse. Es geht um Publikationen und Geld. Ich wollte die Schattenseiten der Wissenschaft erzählen. Mit dem Buch habe ich ein komplexes Thema in eine spannende Geschichte eingewoben, damit sich möglichst viele Menschen davon ein Bild machen können – deswegen ist es ein Roman und kein Sachbuch.

Hat „Das Institut“ Ähnlichkeit mit der Wahrheit?

Prof. Hendrik Streeck: Natürlich ist das Buch fiktional, was nicht heißt, dass nicht alles so hätte stattfinden können. Das M-9-Virus habe ich mir ausgedacht, das gibt es so nicht. Jedoch gibt es schätzungsweise rund 1,7 Millionen Viren auf der Welt, die wir noch nicht kennen, und 300.000 von denen können potenziell den Menschen krank machen. Wer weiß, ob es nicht doch darunter ist. Auch dass solche Viren im Labor genetisch verändert werden, passiert immer mal wieder.

Gibt's eine Fortsetzung?

Prof. Hendrik Streeck: Wenn das Buch ankommt, ja. Es geht bereits in die dritte Auflage. Ideen habe ich schon.

Sonntag-EXPRESS Talk

Horst Stellmacher und Hendrik Streeck

EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher im Gespräch mit Prof. Hendrik Streeck. Streeck.

Sie sind nicht nur Thriller-, sondern auch Politiker-Neuling. Wie wird das für Sie in Zukunft sein? Geht die Politik vor?

Prof. Hendrik Streeck: Das Abgeordnetengesetz sieht vor, dass das Mandat im Mittelpunkt der Arbeit steht. Als Hochschullehrer darf ich bis zu 25 Prozent meiner Arbeitszeit weiter in Forschung und Lehre tätig sein. Je nach Aufgabe im Bundestag werde ich auch ein Bein in der Forschung lassen.

In der Bundestagsgeschichte sind viele Anfänger auf der Hinterbank gelandet. Lockt die erste Reihe?

Prof. Hendrik Streeck: Man kann auch von der Hinterbank aus laut sein. Aber natürlich gehe ich in den Bundestag, um was zu bewegen. Doch die Parteistrukturen sind nun mal so, dass man sich erst innerhalb der Partei hocharbeiten muss. Das habe ich bisher noch nicht vorzuweisen.

Können Sie sich vorstellen, gut mit „Corona-Kontrahent“ Karl Lauterbach (SPD) zusammenzuarbeiten?

Prof. Hendrik Streeck: Wir haben bei den Koalitionsverhandlungen konstruktiv zusammengearbeitet. Wir gehen Dinge anders an. Während Karl Lauterbach eher Einzelgänger ist, versuche ich, mit allen Akteuren zusammenzuarbeiten. Ich kann persönlich nichts Negatives über ihn sagen.

Prof. Hendrik Streeck: „Corona-Pandemie hat mich politisch gemacht“

Was hat Sie eigentlich bewogen, in die Politik zu gehen?

Prof. Hendrik Streeck: Mich hat die Corona-Pandemie politisch gemacht. Ich stand über Jahre an der Abbruchkante der gesellschaftlichen Debatte, die sich häufig an meiner Person polarisiert hat. Ich bin Arzt. Mir ging es immer darum, Menschen zu helfen. Ich hatte während der Pandemie den Eindruck, dass wir uns um einige Menschen zu wenig gekümmert haben. Ein Staat muss sich daran messen lassen, wie er mit den Schwächsten in der Gesellschaft umgeht – und da waren wir zum Teil nicht gut. Dieser Eindruck hat dafür gesorgt, dass ich in die Politik gehe.

Kein spontaner Entschluss?

Prof. Hendrik Streeck: Diesen Schritt habe ich mir lange überlegt, auch zu Hause mit meinem Mann diskutiert. Ich glaube, dass wir mehr Menschen in der Politik brauchen, die Praxiserfahrung haben und alle Facetten des Menschseins kennen. Das ist ganz anders, als wenn einer vom Hörsaal direkt in die Politik geht.

Hendrik Streeck, Virologe bei der Großen Kappensitzung des Karnevalvereins Langbröker Dicke Flaa in Gangelt

Hendrik Streeck beim Karneval in Gangelt. Er mag am Rheinland die Herzlichkeit. „Die tut uns Menschen gut, sie sorgt dafür, dass wir uns weniger einsam fühlen. Sehr gut in der heutigen Zeit!“

Welche Erfahrungen haben Sie?

Prof. Hendrik Streeck: Ich habe z. B. als Arzt in der größten Notaufnahme in Südafrika gearbeitet, dort furchtbares Leid gesehen. Ich habe erlebt, wie unter großem Druck ärztliche Fehler gemacht wurden. Nur die Dinge, die man erlebt hat, nimmt man auch in die politischen Entscheidungen mit.

Angst, dass Sie mit diesem Anspruch in der Politik baden gehen?

Prof. Hendrik Streeck: Natürlich gehe ich mit einer gewissen Naivität in die Politik, aber das ist auch mein Vorteil. Ich bin nicht abgeklärt. Ich möchte mich einbringen, etwas zum Guten verändern. Meine größte Sorge ist, irgendwann ein Ohnmachtsgefühl zu verspüren, weil ich nichts wirklich ändern kann. Aber wer vorher aufgibt, hat schon verloren.

Haben Sie immer eine wissenschaftliche Karriere angestrebt?

Prof. Hendrik Streeck: Ich hatte immer zwei Seelen in meiner Brust – auf der einen Seite ist die Medizin, auf der anderen Seite die Musik. Ich hatte zuerst Musikwissenschaften und BWL studiert, um Filmmusik-Komponist zu werden, hatte auch schon Musiken für drei einstündige TV-Filme geschrieben.

Wollten Sie auch mal Rockstar werden?

Prof. Hendrik Streeck: Nein, ich komme aus der Klassik und mag heute noch Musik, die hybrid ist, also Klassik und moderne Komponenten verbindet.

Welche „Bravo“-Poster hingen im Kinderzimmer an den Wänden?

Prof. Hendrik Streeck: Ich hatte keine „Bravo“-Poster an der Wand. Das einzige Poster, das ich besaß, war von Mr. Spock, dem Wissenschaftsoffizier an Bord des Raumschiffs USS Enterprise.

„Trompete fanden meine Eltern zu laut“

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Prof. Hendrik Streeck: Mit fünf Jahren hatte ich bereits musikalische Früherziehung. Ich fand Trompete gut, was meine Eltern nicht wollten, da es ihnen zu laut war. Sie haben Cello vorgeschlagen. Das gefiel mir – allerdings wusste ich nicht, was das für ein Instrument ist. Ich dachte, es sei ein Sousaphon. Als dann das Cello ganz anders aussah, war ich erst enttäuscht. Ich habe aber trotzdem angefangen und lange durchgehalten.

Bis jetzt?

Prof. Hendrik Streeck: Ich höre immer noch gerne Musik, bin aber nicht mehr musikalisch unterwegs. Manchmal setze ich mich ans Klavier und versuche mir einzelne Stücke beizubringen.

Und wie kam die Medizin ins Spiel?

Prof. Hendrik Streeck: Medizin und Musik sind sich sehr ähnlich. Beides hat eine empathische und analytische Komponente. Daher war das immer auch ein Berufswunsch von mir.

Sie sind Virologe geworden. Gab es dazu einen besonderen Anlass?

Prof. Hendrik Streeck: Infektionserkrankungen fand ich immer faszinierend, trotzdem bin ich in die Virologie reingerutscht. Ich habe als Blutabnahme-Assistent in einer HIV-Praxis während des Studiums gearbeitet. So bin ich in die HIV-Forschung gerutscht, in der ich schließlich meine Doktorarbeit gemacht habe.

Sie sind streitbarer Wissenschaftler, ein Politiker, der seine Meinung sagt. Damit gerät man heutzutage schnell tief in die Social-Media- Abgründe. Sind Sie abgehärtet?

Prof. Hendrik Streeck: Da habe ich schon vieles in der Corona-Pandemie erlebt, auch Pöbeleien von Politikern, da ist meine Haut dicker geworden. Das meiste spielt sich in den sozialen Medien ab. Auf der Straße sind die Menschen nett zu mir. Ich möchte wieder an einen Punkt in der Gesellschaft kommen, wo wir mehr miteinander reden, auch mal die andere Meinung respektieren. Dafür bin ich in die Politik gegangen.

Hendrik Streeck (l) und Ehemann Paul Zubeil 2024

Hendrik Streeck und sein Ehemann Paul Zubeil 2024 bei der Verleihung des Politikawards.

Zudem sind Sie verheiratet mit einem Mann – für manche ein Grund mehr, einen Shitstorm um Ihre Person zu entfachen. Denken Sie mal daran, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen?

Prof. Hendrik Streeck: Ich kenne noch die Zeit, als es noch ganz anders war. Ich hatte mein Coming-out mit 16, also noch in der Zeit, in der der Paragraf 175 gerade abgeschafft war und Schwulsein noch als eine psychische Erkrankung galt. Ich bin immer offen damit umgegangen, habe mir deswegen lange Zeit jeden Mist anhören müssen. Schon deswegen werde ich mich nicht zurückziehen. Aufgeben ist keine Option.

Ist schwules Leben leichter geworden?

Prof. Hendrik Streeck: Was mir auffällt, ist so eine nicht offenkundige, greifbare Homophobie, sondern eine unterschwellige Ablehnung. Das verstärkt sich wieder.

Bonner Prof. Hendrik Streeck: Musiker und Mediziner aus Leidenschaft

Professor Hendrik Streeck (geboren am 7. August 1977 in Göttingen) studierte kurz Musikwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre. 1999 wechselte er zur Humanmedizin, 2006: Approbation als Arzt. 2007 erlangte er die Doktorwürde in Bonn, wurde 2019 Universitätsprofessor und Leiter des Instituts für HIV Forschung (Universität Duisburg-Essen/Uniklinikum Essen). 2019 machte er seinen Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie.

Seit 2019 ist er Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Bonn. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar gewann er als Direktkandidat für die CDU den Wahlkreis Bonn (mit 33 Prozent Erststimmen). Er war Mitglied des Corona-Expertenrates der Bundesregierung. Seit Januar ist er Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. Streeck lebt mit Ehemann Paul Zubeil (Unterabteilungsleiter für europäische und internationale Angelegenheiten im Bundesgesundheitsministerium) in Bonn.