Bei «Leipziger Allerlei» denkt mancher nur an fertig gekauftes Mischgemüse. Dabei gebührt dem Klassiker mit edlen Zutaten und raffiniertem Geschmack durchaus ein Platz in der modernen Küche.
Gemüse mit exquisiten ZutatenLeipziger Allerlei: Vom Armeleuteessen zur Haute Cuisine
Leipziger Allerlei: Wer jetzt nur an die Erbsen-Möhren-Spargel-Mischung aus der Dose oder dem Tiefkühlregal denkt, liegt völlig falsch. Das sächsische Traditionsgericht hat mehr zu bieten. Mit Zutaten wie Spitzmorcheln, Flusskrebsen und feinen Soßen hat es sich im Laufe der Jahrhunderte vom Armeleuteessen zum Geheimtipp unter Feinschmeckern entwickelt.
Angefangen hat alles wohl vor rund 250 Jahren, als Leipziger Köche und Köchinnen in schweren Zeiten versuchten, aus dem, was die Umgebung hergab, wohlschmeckende, aber kostengünstige Gerichte auf den Tisch zu bringen.
Was die Natur zu bieten hat
Auf den Wiesen der Auwälder zwischen Weißer Elster, Parthe und Pleiße gediehen Morcheln, auf den Feldern vielerlei Gemüse, auch Spargel, und in den Flüssen wimmelte es nur so vor Krebsen. Die Natur legte den Leipzigern ihr Signature-Gericht quasi vor die Füße.
Zwischen 1745 und 1819 sei das Leipziger Allerlei wahrscheinlich entstanden, vermutet Jörg Färber, der sich für sein Buch „Das Leipzig Kochbuch“ mit der kulinarischen Geschichte seiner Heimatstadt beschäftigt und historische Kochbücher durchforstet hat. Ein festgeschriebenes Rezept für das Allerlei gibt es demnach nicht.
Die Zutaten variieren
Immer wieder wurden im Laufe der Jahre Zutaten ausgetauscht oder ergänzt. Unverzichtbarer Bestandteil sind aber Morcheln und Flusskrebse, sagt Färber. Dazu kommen je nach Geschmack und Geldbeutel Kartoffeln, Grieß- oder Semmelklößchen, verschiedene Gemüse, Kalbsbries und manchmal auch Hahnenkämme.
Färber ist gelernter Koch - er arbeitet inzwischen als Feuerwehrmann - und stellt in seinem Kochbuch auch allerlei moderne Varianten des Klassikers vor: Da gibt es „Leipziger Allerlei vom Blech mit grober Bratwurst und Erbsen-Dip“ oder „Leipziger Allerlei-Risotto mit Selleriechips“.
Morcheln und Flusskrebsschwänze im Klassiker
Für die ZDF-Sendung „Besseresser - das Leipziger-Allerlei-Duell“, in der Färber gegen TV-Köchin Zora Klipp antrat, hat der Leipziger sich jedoch an eine klassische Rezeptvariante gehalten – und damit gewonnen. Neben den obligatorischen Morcheln und Flusskrebsschwänzen kommen in seiner Version Blumenkohl, Erbsen, Möhren, Kohlrabi, grüner Spargel und Semmelklößchen auf den Teller.
Gekrönt wird das blanchierte und auf den Punkt gegarte Gemüse mit einer Soße auf Basis einer klassischen Mehlschwitze. Darin ersetzt Krebsbutter einen Teil der Butter. Abgelöscht wird mit Gemüsefond, dem Einweichwasser der Morcheln, Sahne und Weißwein.
Tipp: getrocknete Spitzmorcheln
Die Morcheln und die Flusskrebse sind es, die das Gericht heute ins Hoch-Preis-Segment katapultiert haben. Längst sind sie auf Wiesen und in Flüssen nicht mehr in relevanten Mengen zu finden. Färber empfiehlt deshalb getrocknete Spitzmorcheln, die mehr Aroma haben als gefrorene. Frische Morcheln sind nur selten zu bekommen. Der Preis für die getrockneten Schlauchpilze variiert, 70 bis 80 Euro oder mehr für 100 Gramm Spitzmorcheln sind aber keine Seltenheit.
Auch Flusskrebse sind frisch nicht überall erhältlich. Zudem müssten sie im Idealfall lebend gekauft und verarbeitet werden – ähnlich wie Hummer. Das ist nicht jedermanns Sache. Färber rät deshalb zu Flusskrebsschwänzen, eingelegt in Lake, oder zu Tiefkühlware, die es in jedem guten Supermarkt gibt. Für die Leipziger Hausfrau im ausgehenden 19. Jahrhundert gehörte die Zubereitung der frischen Krustentiere hingegen noch zum Alltag.
In einer Rezeptsammlung der Leipziger Kochlehranstalt für angehende junge Hausfrauen beschrieb Therese Niese den Umgang mit den Tierchen um 1900 so: „… brich die Schwänze und Scheren aus, nimm die rothen Schalen, stoße sie mit 1/4 Pfund Butter im Möser recht fein, gieb dies in einen Tiegel, lass es heiß werden, gieb 2 Löffel Mehl dazu, laß es wieder anlaufen, dann fülle die Masse mit 1/2 Liter guter Bouillon auf, gib auch die Krebsleiber dazu, denen Du die Galle genommen.“
Gefüllte Krebsköpfe als Clou
Auch bei Therese Niese kamen gekochte Semmelklößchen ins Allerlei. Einen Teil der Klößchenmasse füllte sie allerdings in die sogenannten Krebsnasen, die Kopfpanzer der Krebse, und briet diese in Butter auf beiden Seiten an. „Sie werden dadurch röther.“
Auch bei René Dittrich, Küchenmeister im Restaurant „Alt Wyk“ auf der nordfriesischen Insel Föhr, werden die Krebsköpfe gefüllt. Dittrich verwendet dafür eine Fischfarce und pochiert die Köpfe dann.
Aus den Karkassen der Krebse, also den ausgenommenen Panzern, Scheren und Beinen, kocht er eine Krebssoße. Diese gibt dem Gericht neben der mit Spargelfond aufgegossenen weißen Soße einen zusätzlichen Pfiff und farblichen Akzent.
Wiederentdeckt: Hahnenkämme
Dittrich schätzt das Leipziger Allerlei, weil es „ein ganz klassisches Rezept ist“, und bereitet es deshalb auch mit den traditionellen Zutaten zu. Dazu gehören bei ihm Kalbsbries und die Kämme von Hähnen.
Vor allem Hahnenkämme waren lange fast ganz von unserem Speiseplan verschwunden, mit der Nose-to-Tail-Bewegung rücken aber auch sie wieder mehr ins Blickfeld der Köche. Für das Leipziger Allerlei kocht Dittrich die Kämme in einem Gemüse-Kräuter-Sud weich. Zum Schluss gibt es das Bries dazu und kocht es 15 Minuten mit.
Ob Hausmannskost oder Gourmetgericht, ob traditionell oder modern interpretiert, das Leipziger Allerlei ist ein Allrounder, der zu allen Zeiten seinen Platz zu finden scheint. Von daher darf man gespannt sein, welche Variationen des Gerichts sich noch entwickeln werden. (dpa)