„Schule macht Kinder dumm“Jugendpsychiater schlägt Alarm und hat klare Forderung
Bonn – „Viele Schulabgänger sind heutzutage für den Arbeitsmarkt eine absolute Katastrophe. Ihnen fehlen Grundkenntnisse in Deutsch oder Mathe. Sie sind teilweise respektlos, sozial inkompetent, unpünktlich – und das, obwohl sie eigentlich gut erzogen sind.“
Leidtragende sind langfristig nicht nur die Kinder, sondern die gesamte Gesellschaft! Bestsellerautor Dr. Michael Winterhoff stellt in seinem neuen Buch „Deutschland verdummt“ die aus seiner Sicht wahren Schuldigen für die Bildungsmisere an den Pranger: Kitas und Schulen.
Kinder brauchen Anleitung
Praxisbesuch bei Deutschlands bekanntestem Kinder- und Jugendpsychiater in Bonn. Die Wände der schönen Jugendstilvilla sind voller Kinderbilder. Unzähligen von kleinen Menschen hat der 64-Jährige schon geholfen, wieder sorgenfreier durchs Leben zu gehen.
Doch langsam wird ihm selbst angst und bange: „Wenn die Bildungspolitik nicht mit der Irrlehre aufräumt, dass ein Kind weder eine Beziehung noch Anleitung braucht und den Lehrer zum Lernbegleiter degradiert, ist das gesamte Gefüge unserer Gesellschaft in Gefahr“, prognostiziert der Psychiater und erklärt das Konzept des offenen Lernens und Spielens für gescheitert.
„Vor Jahren wirkten die Kinder, die zu mir in die Praxis kamen, oft wesentlich älter, als sie waren. Heute ist es das Gegenteil: Sie kommen dramatisch jünger rüber, auch psychisch – und haben null Körperspannung. Sie können keine Probleme sehen, führen Aufträge nur nach mehrmaliger Aufforderung aus.“
Ja, lernt man in der Schule denn nichts mehr fürs Leben? Winterhoff schüttelt den Kopf und zitiert das Gespräch mit einem desillusionierten Lehrer: „Was habe ich den Schülern beigebracht? Sich vor Anstrengung zu drücken!“ Kein Wunder, wie Praxis-Beispiele belegen.
Lernen nach dem Lustprinzip
Im offenen Unterricht dürfen Kinder sich heutzutage aussuchen, was sie gerne lernen wollen. Und da nehmen sie natürlich meist das, was sie schon gut können.
Winterhoff: „Erst ab 15, 16 Jahren fange ich an, für mich zu lernen. Vorher lerne ich für das Lob von Bezugspersonen wie Lehrer und Eltern. Nur, dass die heute nicht mehr motivieren oder verbessern dürfen. Jetzt haben die Schüler ein »Lernbegleiter-Heft« zur Seite und können sich selbst Smileys geben.“
Zu viel Lärm im Klassenzimmer
Der Lärmpegel sei in vielen Klassen so hoch, dass sogar Kopfhörer an die Kinder verteilt werden. Gemessen wurden bei Untersuchungen 60 bis 85 Dezibel, bei 30 bis 45 Dezibel sei normales Lernen möglich.
Schüler als Versuchskaninchen
Schüler seien immer wieder Opfer desaströser Feldversuche. Ein Beispiel: Viele haben dank „Lesen durch Schreiben“ seit den 90ern fürchterliche Orthografiekenntnisse. Gutachter stellen laut Winterhoff fest: „Wir haben eine ganze Generation zu Legasthenikern gemacht.“
Kinder werden wie Erwachsene behandelt
Grundschüler müssen in manchen Bundesländern wie kleine Erwachsene Verträge mit der Schule schließen, „Personalgespräche“ führen und sich beurteilen. Das seien alles Ideen aus der Wirtschaft, so Winterhoff.
Keine festen Kita-Gruppen mehr
Schon in der Kita beginnt der Autonomie-Zwang. „Hätte einer in den 90ern gesagt, dass Kindergartenkinder sich selbst in Turbo-, Bastelraum oder Café ein- und ausloggen müssen, den hätte man für irre erklärt“, sagt er.
Noten und Diktate werden gestrichen
Von wegen! Leistungsanforderungen werden heruntergesetzt, Noten und Diktate in den Grundschulen ganz gestrichen, sogar Hausaufgaben abgeschafft. Begründung einer ihm bekannten Hauptschule in Bonn, so Winterhoff: „Die Kinder machen sie ja sowieso nicht.“
Sandwesten für den Zappelphilipp
Ein besonders drastisches Beispiel für schulisches Versagen: Es gebe Klassen, da werden unruhige Kinder in Sandwesten gesteckt, damit sie auf ihrem Platz sitzen bleiben.
Ich wische, also bin ich!
Selbst Digital-Power kann schnell nach hinten losgehen. Man kann Grundschüler beobachten, die beim Aquarium die Scheibe wie die Wischtaste des Smartphones behandeln.
Winterhoff: „Vor dem zehnten Lebensjahr sollte man Kinder vor dem Digitalen und der Reizüberflutung schützen. Wir brauchen keine Kinder, die ganz früh mit Computern umgehen können, sondern Kinder mit entwickelter Psyche. Wer die hat, kann sich mit jeder Technik auseinandersetzen.“
Das können Eltern tun
Offener Unterricht sei ebenso wie Inklusion, so wie sie derzeit in Deutschland gehandhabt werde, ein reines Sparmodel. Winterhoff fordert Eltern auf: „Akzeptieren Sie keine Laien als Lehrer oder zu große Klassen. Ich habe gerade in Südtirol erlebt, dass dort im Bereich der Grundschule zwei Lehrer auf 15 Kinder kommen.“
Wichtig ist ihm zudem, dass der Lehrer wieder die zentrale Figur im Klassenraum wird.
Auch Susanne Lin-Klitzing, die Vorsitzende des Philologenverbands, plädiert dafür, Abiturienten leistungsgerechter zu beurteilen. „Was ich will, ist, dass gute Leistung gut bewertet wird, aber nicht-ausreichende Leistung eben auch nicht-ausreichend.“ Zur Zeit brauche ein Schüler nicht einmal die Hälfte der Maximalpunktzahl, um eine Prüfung zu bestehen.
Verbesserungspotenzial „bei einigen Rahmenbedingungen im Bildungssystem“ sieht auch IHK-Geschäftsführer Christopher Meier (Aus- und Weiterbildung, Köln). Er lobt allerdings die Ausbildungspraxis nach der Schulzeit:
„Jugendliche werden mit praxisorientierten Maßnahmen gestärkt, Defizite ausgeglichen und dabei gleichzeitig intensiv und individuell gefördert. Unser System der beruflichen Ausbildung hat weltweit Vorbildcharakter.“
Wie schneiden deutsche Schüler im Vergleich ab?
- Während 2009 noch 2,39 Prozent der Schüler beim Abi durchfielen, waren es 2017 3,78 Prozent .
- Pisa-Studie 2015: Nur jeder zweite Schüler in Deutschland sagt von sich, dass er gerne Neues in den Naturwissenschaften dazulernt. Im OECD-Durchschnitt sind es dagegen 66 Prozent.
- Ob in den Bereichen Mathe, Zuhören oder Rechtschreibung – auch hier wurden Grundschüler binnen fünf Jahren im Schnitt schlechter. Knapp ein Fünftel (18,9 Prozent) erreichte in aktuellen Studien nicht einmal die mittlere Kompetenzstufe III.