Trauma im KreißsaalSo viele Frauen erleben Gewalt unter der Geburt
Köln – Das Geburtserlebnis ist ein wichtiges im Leben einer Frau. Wenn dieses mit negativen Erfahrungen besetzt wird, fühlen sich Mütter oft einsam mit ihren Gefühlen. Dass sie nicht allein sind, zeigt ein internationaler Aktionstag, der am 25. November stattfindet: der so genannte Roses Revolution Day.
Roses Revolution Day: Ein gemeinsames Zeichen gegen Gewalt unter der Geburt
An diesem Tag legen Frauen bundesweit an Kreißsälen Rosen nieder, die während der Entbindung körperliche oder seelische Gewalt erlebt haben – als gemeinsames Zeichen gegen traumatische Erlebnisse unter der Geburt.
Wir haben mit Nora Imlau, Journalistin und Autorin des Geburtsbuches (Beltz) über Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe gesprochen.
In Ihrem Geburtsbuch beschreiben Sie viele verschiedene Wege, ein Kind zur Welt zu bringen, und machen Frauen Mut, ihre persönliche Traumgeburt vorzubereiten und zu erleben – und gleichzeitig sprechen Sie darin auch das Thema Gewalt in der Geburtshilfe an. Das klingt hart.
Nora Imlau: Ja, dieser Begriff ist für viele Menschen tabu. Gewalt und Geburt, das passt nicht zusammen, das löst intuitiv widersprüchliche Gefühle aus. Natürlich ist eine Geburt kein Spaziergang. Aber Gewalt? Niemand würde doch einer Frau mit Absicht wehtun, wenn sie ein Kind bekommt. Das sind meist die ersten Reaktionen, wenn Menschen davon hören.
Was verbirgt sich denn hinter den Worten wirklich?
Imlau: Tatsächlich hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell anerkannt, dass Gewalt in der Geburtshilfe existiert und dass das ein großes Thema ist – und zwar nicht nur bei uns, sondern auf der ganzen Welt. Gewalt unter der Geburt ist kein Randphänomen. Unter der Geburt werden viele Frauen nicht menschenwürdig behandelt. Für die WHO ist der Kampf gegen Gewalt in der Geburtshilfe eins der wichtigsten Vorhaben für die kommenden Jahre.
Wie kommt es dazu?
Imlau: Während einer Geburt sind Frauen in einem unheimlich verletzlichen Zustand. Gleichzeitig wird der Personaldruck in den Krankenhäusern immer größer, immer weniger Hebammen können sich die Haftpflichtsummen leisten, auch viele Ärzte arbeiten zu lang. Dadurch entstehen Ärger und Frust, die sich oft in groben Behandlungsweisen niederschlagen. Viel Gewalt geschieht aber auch schlicht durch ein fehlendes Bewusstsein dafür, wie schlimm bestimmte Worte oder Eingriffe für Gebärende sein können.
Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Imlau: Es gibt körperliche und verbale Gewalt unter der Geburt. Wenn eine Frau keinen Dammschnitt wollte und er trotzdem gegen ihren Willen durchgeführt wird, ist das Gewalt. Wenn sie ohne Einverständnis vaginal untersucht wird, ebenso. Wenn der Arzt sich plötzlich ohne Vorwarnung mit seinem ganzen Körpergewicht auf den nackten Bauch der Frau wirft, um eine Wehe zu unterstützen, oder wenn mehrere Personen eine Schwangere gegen ihren Willen festhalten – das kann traumatisch sein. Vor allem wenn es plötzlich kommt, nicht angekündigt oder erklärt wird.
Und die verbale Gewalt?
Imlau: Wenn einer Frau gedroht wird, etwa mit einem „Dann stirbt dein Kind halt, wenn Du nicht besser mitmachst“, dann ist das verbale Gewalt. Und leider kommt das häufig vor. Ich habe die Blogparade „Each woman is a rose – warum unsere Geburten so wichtig sind #rosrev“ ins Leben gerufen und von Frauen gehört, die angeschrien und beschimpft wurden im Kreißsaal. Denen massiv Angst gemacht wurde. Das ist natürlich abzugrenzen von wirklich notwendigen Interventionen.
Inwiefern?
Imlau: Bei meiner eigenen dritten Geburt etwa, einer Hausgeburt, hatte sich mein Baby im Becken verkeilt. Ich hatte starke Schmerzen und sagte meiner Hebamme, dass ich jetzt auf keinen Fall angefasst werden will – doch sie setzte sich darüber hinweg, um mir letztlich zu helfen. Das fühlte sich in dem Moment furchtbar an, aber nachher sagte sie zu mir: „Ich weiß, ich habe deine Grenze überschritten und das tut mir leid, aber ich musste in diesem Moment so handeln und ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“ Auf diese Weise konnte ich verstehen, was passiert war, und das Geschehen emotional einordnen als das, was es war: Hilfestellung, nicht Gewalt. Das passiert jedoch nicht, wenn ein Arzt sich auf den Körper einer Gebärenden wirft und ihre Gefühle dabei ignoriert oder gar belächelt.
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Welche Folgen kann eine solche Gewalterfahrung unter der Geburt für die Frau haben?
Imlau: Sie kann mitverantwortlich sein für eine posttraumatische Belastungsstörung der Frau. Das kennt man sonst von Soldaten, die aus Kriegsgebieten wiederkommen, aber das tragen auch Frauen davon, die unter der Geburt schlimme Erfahrungen gemacht haben. Aus solchen Gewalterfahrungen können sich auch postpartale Depressionen entwickeln, psychische Probleme können verstärkt werden. Das Selbstbewusstsein kann dadurch gestört werden. Die Folgen können sehr vielseitig sein.
Warum sind wir Frauen gerade unter der Geburt so verletzlich?
Imlau: Die Geburt stellt eine Ausnahmesituation im Leben einer Frau dar. Selbst sonst starke und taffe Frau kommen unter der Geburt an ihre Grenzen, werden verletzlich. Und in einer verletzlichen Situation braucht es Schutz. Da sie sich selbst in dieser Situation nicht schützen können, brauchen sie den Schutz von außen, von den Menschen, die sie umgeben.
Wie kann das funktionieren?
Imlau: Frauen müssen in Würde behandelt werden, zu jedem Zeitpunkt, auch dann, wenn sie diese Würde selbst nicht mehr einfordern können. Sie brauchen Respekt. Wissen Sie, die meisten Frauen freuen sich auf den Tag der Geburt, sie sagen „Ich schaffe das“. Und wenn Frauen eine tolle Geburt hatten, gehen sie selbstbewusst und stolz da raus. Das ist die optimale Startvoraussetzung fürs Leben mit Baby, weil die Frauen das Gefühl haben: Jetzt kann ich alles schaffen!
Und wenn es schief läuft?
Imlau: Dann sind Frauen oft am Boden zerstört. Viele sagen: Ich habe nicht einmal das Natürlichste auf der Welt geschafft, nämlich selbst mein Kind zur Welt zu bringen. Wie kann ich da eine gute Mutter sein? Da wirken die zynischen Kommentare mancher Geburtshelfer natürlich wie zusätzliches Gift fürs Selbstbewusstsein: Ein Satz wie „So wird das aber heute nichts!“ oder „Sei froh, dass wir uns überhaupt noch kümmern, so wehleidig wie Du bist“ brennt sich in die Seele ein und nährt die Selbstzweifel, unter denen Mütter ohnehin häufig leiden.
Und nun gibt es den Roses Revolution Day. Was hat es mit diesem Tag auf sich?
Imlau: Der Gedanke, der dem zugrunde liegt, ist: Jede Frau ist eine Rose, stark, schön und verletzlich. So wollen Frauen wahrgenommen und behandelt werden, gerade auch unter der Geburt. Und das zeigen sie jährlich am 25.11. Da legen Frauen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, am Kreißsaal pinke Rosen nieder. Auf der Internetseite des Tages kann man sich auch Briefpapier runterladen, um der Klinik zu diesem Tag einen Brief zu schreiben mit einer Rückmeldung. Andere hinterlassen eine virtuelle Rose im Gästebuch der Klinikseite. Viele Frauen haben in dieser Woche in den sozialen Medien ihr Profilbild in eine Rose geändert und twittern mit den Hashtags #rosrev, #gewaltfreiegeburt und #schweigenbrechen.
Einige Krankenhäuser nehmen das nicht als Vorwurf, sondern als Aufruf zum Dialog. Und genau so soll es sein. Das ist bestärkend für viele Frauen. Sie fühlen sich nicht mehr alleingelassen mit ihrer Erfahrung. Sie werden gehört. Oft können sie dadurch anfangen, ihren Frieden mit dem Erlebten zu schließen.
Nora Imlau: Das Geburtsbuch, Vorbereiten - Erleben - Verarbeiten, Beltz