Immer Zoff zuhause?So streiten Eltern mit ihren Teenies – ohne auszurasten

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Eltern sollten klar stellen, dass sie offen sind für ein Gespräch auf Augenhöhe – aber Beleidigungen nicht gehen.

Köln – Mit Teenagern in einem Haushalt zu leben fühlt sich oft an wie der Gang auf Eierschalen - jeden Moment kann es krachen. Eltern mit pubertierenden Kindern kennen sie, die ständigen Streits ums länger Weggehen, um die Hausaufgaben und überhaupt: das Leben.

Auseinandersetzungen gehören dazu, doch wie finden Familien eine gute Streitkultur?

Erziehungs-Experte Ulric Ritzer-Sachs von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) gibt Tipps, wie Eltern und Kinder heil durch einen Streit kommen.

Sollten sich Eltern auf Streit mit ihren Kindern einlassen oder ihn vermeiden?

Ulric Ritzer-Sachs: Auseinandersetzungen sind schon wichtig. Selbst wenn sie manchmal etwas rauer sind. Auch ein Jugendlicher hat das Recht zu wissen, jetzt sind Papa und Mama echt genervt. Natürlich sollten heftige Streits nicht an der Tagesordnung sein.

Tut Streit manchmal auch gut?

Ritzer-Sachs: Ja, wenn der Streit auch ein Ende hat, es einen Ausblick auf Veränderung oder ein Ergebnis gibt. Wenn die Dinge allerdings offen bleiben oder die Argumente des Jugendlichen nie zählen und die Eltern stattdessen die Machtkeule rausholen, dann ist das nicht gut.

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Von wegen Machtkeule: Wie schaffen es Eltern, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen?

Ritzer-Sachs: Der Grundstein dafür wird schon viel früher gelegt, sobald die Kinder sprechen können. Eine gute Gesprächskultur erst einzuführen, wenn die Kinder schon 12 oder 13 sind, ist schwierig. Gute Kommunikationskultur heißt zum Beispiel, dass sich Eltern mit ihren Kindern zum Gespräch verabreden. Fast wie ein Meeting im Job. Sie könnten sagen: „Heute Nachmittag um 15 Uhr haben wir einen Termin, wir setzen uns hin und sprechen über das Thema.“

Dann haben auch Kinder die Chance, sich vorzubereiten und werden nicht so überfahren. Oft entsteht Streit, weil die Eltern einen Plan gemacht haben und die Kinder das übergestülpt bekommen. Das ist fies. Es ist nachvollziehbar, dass sie dann manchmal mit Ärger oder Wut reagieren.

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In ruhiger Atmosphäre lässt sich vieles besser besprechen.

Das heißt, bewusst einen ruhigen Zeitpunkt für eine Diskussion wählen?

Ritzer-Sachs: Ich kann kein vernünftiges Gespräch führen, wenn die Situation gerade eskaliert ist. Um gut miteinander reden zu können, müssen Eltern auch für eine gute Gesprächsatmosphäre sorgen. Das kann auch bedeuten, mal einen Kakao zu kochen und Kekse dazuzustellen.

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Auf was sollten Eltern grundsätzlich beim Gespräch mit den Kindern achten?

Ritzer-Sachs: Es ist ganz wichtig, die Kinder ausreden zu lassen. Selbst wenn den Eltern klar ist, dass jetzt ein Argument kommt, dass sie auf keinen Fall unterstützen. Dennoch sollten sie nicht gleich eine Entscheidung treffen, sondern erst einmal zuhören.

Auf keinen Fall sollten sie abwertend sein und Dinge, die Kinder und Jugendliche wichtig finden, lächerlich machen. Erzählt ein Kind von seinen Wünschen, der Liebe zu irgendeinem Star, dann dürfen Eltern das nicht nieder machen. Sie können aber ausdrücken, dass etwas nicht ihr Geschmack ist oder sie sich Sorgen machen.

Die Art der Sprache ist ganz wichtig. Eltern müssen ja nicht nur sanft säuseln, sie können schon klare Worte finden. Doch man sollte nie sagen: Du bist doof. Sondern lieber: Dein Verhalten war doof.

Wenn der Streit schon in vollem Gange ist – welche Fehler können Eltern vermeiden?

Ritzer-Sachs: Wenn ich merke, dass alle lauter werden und keiner mehr richtig zuhört, dann müssen die Erwachsenen aussteigen. Es ist Sache der Eltern, zu sagen: „Stopp, da läuft etwas schief! Wir beenden das Gespräch, beruhigen uns und machen später weiter.“ Das können Kinder und Jugendliche nicht.

Manchmal geschieht das Gegenteil, das Kind macht zu und geht. Wie reagiere ich?

Ritzer-Sachs: Erst einmal sollte man das dem Kind zugestehen. Und später fragen, ob jetzt weitergeredet werden kann. Wenn dann ein Nein kommt, ist es ein Nein.

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Was ist, wenn ein Streit doch eskaliert, Eltern laut schreien?

Ritzer-Sachs: Es ist normal, dass es passiert. Schimpfen und Schreien bedeutet aber immer, dass einem nichts mehr einfällt und man Dinge tut, die man reflektiert eigentlich nicht machen würde. Das ist nie gut. Wenn ich merke, dass ich schreie, ist es wirklich wichtig, wieder runter zu kommen. Lieber aus dem Zimmer zu gehen. Und wenn ich mich abgeregt habe, sollte ich sagen: Tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe.

Genervt! Eltern sollten erst deeskalieren und dann weiter diskutieren.

Was, wenn Eltern sogar die Hand ausrutscht?

Ritzer-Sachs: So ganz einfach rutschen Hände nie aus. Aber tatsächlich kann das im Moment mal passieren. Das ist auch nicht das Gleiche wie eine Misshandlung. Aber es ist nicht okay. Schlagen ist nie ein Argument, egal was passiert ist. Kinder haben das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Eine Ohrfeige schadet immer. Und ist belastend für eine Beziehung. Dann braucht es auch wirklich eine Entschuldigung.

Was könnten Eltern stattdessen sagen, wenn sie merken, dass sie gleich ausflippen?

Ritzer-Sachs: Sie könnten sagen: „Ich ärgere mich, ich bin wütend, dann kann ich nicht gut nachdenken, lass uns in einer Stunde weiter machen, ich muss mich beruhigen.“ Dieses Recht sollten aber auch Jugendliche haben.

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Wie geht man dann wieder ein Stück aufeinander zu?

Ritzer-Sachs: Es muss beiden Parteien klar sein, dass so ein Streit nicht die Beziehung gefährdet. Auch Eltern sollten wissen: Durch ein Streitgespräch hört die Liebe ihrer Kinder nicht auf.

Eltern dürfen zum Einstieg in ein erneutes Gespräch den 15-Jährigen auch erst einmal in den Arm nehmen. Auch ältere Kinder werden gerne in den Arm genommen und finden es gut, dass die Eltern sie gern haben. Jugendliche hinterfragen alle Arten von Beziehungen dauernd. Für sie ist schon wichtig zu wissen: Das war zwar blöd, aber Mama und Papa haben mich immer noch gern.

Das bedeutet nicht, dass Eltern aus schlechtem Gewissen heraus Zugeständnisse machen und den Sohn bis zwölf in die Disko lassen sollten. Sondern dass sie zeigen: Auch wenn ich dir das nicht erlaube, habe ich dich trotzdem gern. Durch Grenzen setzen gefährde ich keine Beziehungen.

Manchmal müssen Eltern aber doch deutlich Nein sagen – schon allein aus ihrer Verantwortung heraus, oder?

Ritzer-Sachs: Ja. Sie müssen dann klar ausdrücken: „Ich habe die Verantwortung für dich und kann das nicht zulassen.“ Und deutlich machen: „Das verbiete ich dir.“

Dass Jugendliche trotzdem Grenzerfahrungen machen, ist klar und nicht zu verhindern. Eltern sollten trotzdem Verbote aussprechen. Für Kinder gibt es schon Sicherheit, nur zu wissen, was sie nicht dürfen.

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Was sollte man tun, wenn das Kind die Eltern im Streit schlimm beleidigt?

Dann sollten Eltern das gleich stoppen und sagen: „Ich möchte nicht, dass du so mit mir redest, wir machen jetzt eine Pause.“ Und wenn das Gespräch weitergeht, sollten sie klarstellen, dass Beleidigungen nicht gehen.

Das Gehirn macht in der Pubertät verrückte Dinge und gestaltet sich neu. Deshalb kommen manche Dinge nicht ganz bei den Kindern an, schon gar nicht, wenn sie aufgeregt sind. Jugendliche können sehr selbstgerecht sein, aber sie selbst teilen dauernd aus. Das fällt ihnen nicht immer auf.

Was ist, wenn das Kind aggressiv wird?

Das passiert manchmal. Eltern sollten klar kommunizieren: Das darf nie wieder vorkommen, ich werde nicht geschlagen. Die Frage ist, fühlt sich ein Kind in die Enge getrieben und wehrt sich aus Verzweiflung? Oder hat es die Erfahrung gemacht, dass es sich durchsetzen kann, wenn es die Mama in den Bauch haut. Letzteres geht nicht. Dann muss man sich zur Not auch Hilfe holen.

Wo würde man sich denn Hilfe holen, wenn so etwas öfter vorkommt?

Zum Beispiel bei unserer BKE-Onlineberatung oder bei einer Erziehungsberatungsstelle vor Ort. Das Jugendamt bietet intensivere Hilfen an. Wenn Eltern Angst haben, dann könnten sie zur Not auch die Polizei holen. Aber einen Jugendlichen aufgeben, das wäre ganz schlimm.

Vielen Dank für das Gespräch.