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„Ich mag das nicht“Darum sollten Kinder „Nein“ zu Oma-Küssen sagen können

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„Gib der Oma mal ein Küsschen“ – ein Kind muss dazu auch „Nein“ sagen dürfen ohne dass es Angst davor hat, unhöflich zu sein.

  1. Bereits vor 25 Jahren hat die Kinderbuchautorin und Illustratorin Dagmar Geisler in Zusammenarbeit mit Pro Familia das Buch „Mein Körper gehört mir!“ illustriert.
  2. Nach einem Vierteljahrhundert ist das Thema so aktuell wie nie, deshalb hat sie zum Jubiläum das Buch überarbeitet und ergänzt.
  3. Im Interview erzählt Dagmar Geisler, wie Eltern ihren Kindern helfen, sich gegen Übergriffe selbstbewusst zur Wehr zu setzen.

Köln – Kinder werden dauernd angefasst, obwohl sie es vielleicht gar nicht wollen. Man nimmt ihre Hand, zieht sie hinter sich her, streichelt ihnen über den Kopf, fasst sie an der Schulter an. Kommen diese Berührungen von vertrauten Personen und die Kinder sind damit einverstanden, ist das in Ordnung. Oft genug fassen aber auch fremde Menschen im Supermarkt oder auf der Straße die Kinder an – je kleiner sie sind, desto eher. Das geht gar nicht. Kinder müssen auch niemandem die Hand oder gar einen Kuss geben, wenn sie das nicht wollen. Das hat sich auch 2019 noch nicht überall herumgesprochen.

Kinder können nur Grenzen setzen, wenn sie sich im Klaren über ihre Gefühle sind

Geisler

Dagmar Geisler

Bereits vor 25 Jahren hat die Kinderbuchautorin und Illustratorin Dagmar Geisler in Zusammenarbeit mit Pro Familia das Buch „Mein Körper gehört mir!“ illustriert. Nach einem Vierteljahrhundert ist das Thema so aktuell wie nie, deshalb hat sie zum Jubiläum das Buch überarbeitet und ergänzt.

Die wichtigste Botschaft: Nur, wenn Kinder sich im Klaren über ihre Gefühle und ihren Körper sind, können sie Grenzen setzen. Kinder haben Rechte. Sie dürfen auf ihre Gefühle zu hören, selbst über ihren Körper bestimmen und Erwachsene um Hilfe zu bitten, wenn sie allein nicht weiterkommen oder Informationen brauchen. Denn gestärkte, selbstbewusste Kinder, die sagen können„Das will ich nicht!“, die offen und frei über das sprechen können, was sie stört oder beschäftigt, machen es grenzverletzenden Menschen schwer.

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Buchcover

Es geht nicht nur um sexuellen Missbrauch

Es geht dabei nicht bloß um sexuellen Missbrauch. Mit dem Buch sollen Kinder lernen, zu erkennen, welche körperlichen Berührungen sie selbst möchten und welche nicht. Im Interview spricht Dagmar Geisler über die wichtigsten Ziele des Buches.

Frau Geisler, das Buch „Mein Körper gehört mir!“ will Kinder ab fünf Jahren vor Missbrauch schützen. Man denkt dabei ja automatisch an sexuellen Missbrauch. Das ist damit aber nicht unbedingt gemeint, oder?

Dagmar Geisler: Sexueller Missbrauch ist das letzte, das schlimmste, was passieren kann. Das Buch beschäftigt sich damit, zu schauen: Wie kann ich überhaupt ein Gefühl für mich kriegen und wann merke ich überhaupt, wenn jemand übergriffig wird. Das kann schon mit einer kleinen Geste anfangen.

Wo beginnt für Sie Missbrauch? Was könnten das für Situationen sein, wenn wir nicht von sexuellem Missbrauch reden?

Dagmar Geisler: Das sind Umarmungen, die ein Kind nicht haben will, dieses Geküssse von der Verwandtschaft, dieses Anfassen, wenn ich es nicht will. Das geht auch verbal. Wenn man zum Beispiel ein Kind überhört oder mit seinen eigenen Worten überrollt. Erwachsene sind ja viel eloquenter als Kinder.

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Seiten aus dem Buch „Mein Körper gehört mir“

Im Buch geht es um sehr viele verschiedene Arten von Berührungen. Da wird umarmt, gekitzelt, festgehalten und auf dem Schoß gesessen. Was würden Sie Kindern raten, wie können sie erkennen, welche Berührung eigentlich für sie schön ist und welche nicht? Wie können sie lernen, in sich hinein zu spüren?

Dagmar Geisler: Das hat in der Tat etwas mit Spüren zu tun, aber auch mit der Erlaubnis, etwas, das ich sonst vielleicht schön finde, in einem anderen Moment nicht schön finden zu dürfen.

Sollten Kinder sich zum Beispiel einen Tag über beobachten? Einfach um zu merken, welche Art von Berührungen es überhaupt gibt, welche davon schön sind und wie oft man am Tag eigentlich angefasst wird?

Dagmar Geisler: Ganz genau. Deshalb gibt es im Jubiläumsbuch auch eine Körperlandkarte. Mit der kann man üben und spielerisch benennen: Was finde ich eigentlich schön? Wann finde ich das schön?

Für Kinder ist das sicher schwierig zu lernen, weil sie es so gewohnt sind, dass viele sie einfach herum schieben oder anfassen. Wie können Kinder lernen, auf ihren Körper zu hören?

Dagmar Geisler: Für mich ist das eine Kultur, die verstehen muss, die Kinder auch als eigenständige Wesen zu sehen, die sagen können: „Das geht mir etwas zu weit.“ Das ist ein schwieriger Moment. Kleine Kinder trägt man herum, man fasst sie dauernd an, das gehört dazu, das ist ganz normal, das brauchen die Kinder auch. Aber dann diesen Moment zu erkennen, wo das Kind sagt: „Jetzt ist es mir zu viel“, das ist schwierig. Dabei machen schon Babys das, wenn sie quengeln, schreien oder anders kundtun, wenn ihnen was zu viel wird. Um Kindern beizubringen, auf sich zu achten, muss man sie ernst nehmen.

Wenn Kinder merken, dass sie nicht angefasst werden wollen, was sollen sie sagen?

Dagmar Geisler: „Ich mag das nicht.“ Man sollte auch mit Kindern üben, ganz deutlich zu sagen, was los ist. Ein Kind darf auch mal laut Nein sagen. Das hat nichts mit Unhöflichkeit zu tun. Die Deutlichkeit muss auch geübt werden. Manche Kinder verstummen stattdessen und machen sich ganz steif, weil sie es nicht geübt haben, dass man auch Nein sagen kann. Kinder sollten in einem lockeren Austausch sagen können, wie sie sich fühlen und was sie wollen. Dazu müsste man es ihnen am besten in anderen Zusammenhängen im normalen Alltag auch ermöglichen, ihre Meinung deutlicher zu äußern und auch mal Nein zu sagen.

Das Mädchen im Buch sagt laut und deutlich:„Fass mich nicht an, ich will es nicht.“ Sollte man Kindern diesen Satz beibringen?

Dagmar Geisler: Ich finde es gut, wenn Kinder das können. Ich möchte ihnen damit aber nicht die Last mitgeben, es auch zu müssen. Das ist eine Gratwanderung. Kinder, denen ein Übergriff passiert, schämen sich sowieso schon dafür, dass sie es nicht abwenden konnten. Und das soll natürlich nicht sein.

Wie können Eltern oder Erzieher die Kinder darin bestärken, ihre Gefühle zu kennen und zu zeigen?

Dagmar Geisler: Der wichtigste Tipp ist, dass die Eltern das selber auch tun, so dass das Kind das mitbekommt. Eltern sollten selber auch über Gefühle sprechen und sagen: „Jetzt im Moment mag ich das nicht. Vielleicht in fünf Minuten, aber jetzt fühle ich mich gerade so.“ Das muss transparent sein. Es sollte eine Kommunikationskultur entstehen, in der das für alle möglich ist. Der andere Tipp ist, das spielerisch zu machen. Zum Beispiel bei kleinen Balgereien, die so in Familien vorkommen, spielerisch zu gucken, wie weit man gehen kann und wann das Kind Stopp sagt. Da kann man ganz viel machen.

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Zwei Seiten aus dem Buch „Mein Körper gehört mir“.

Eltern dürfen also auch mal sagen, dass sie vielleicht gerade nicht möchten, dass das Kind auf ihrem Schoß sitzt? Man denkt als Eltern ja, dass man immer Ja sagen muss, damit das Kind sich nicht abgewiesen fühlt.

Dagmar Geisler: Natürlich sollten Sie das Kind nicht permanent wegschicken und ihm so das Gefühl geben, als Mensch lästig zu sein. Das gibt es ja leider. Sagen Sie stattdessen:„Ich hab‘ dich lieb, ich mag das, wenn du dich ankuschelst, aber jetzt habe ich das und das zu tun und ich möchte es gerade nicht.“

Was können Eltern noch tun?

Dagmar Geisler: Sie sollten ihre Kinder rechtzeitig aufklären. Es gibt eine wachsende Scheu, früh mit den Kindern über sexuelle Dinge zu reden. Ich würde alle Eltern ermutigen, damit so früh wie möglich anzufangen, damit ein Kind spürt, dass man über darüber sprechen kann und dass es in erster Linie etwas Schönes ist. Eltern sollten nicht damit warten, bis das Kind irgendetwas Grässliches im Internet gesehen hat und anfängt zu fragen. Oder noch schlimmer: gar nicht fragt, weil es das Gefühl hat, seine Eltern reden nicht gerne über sowas. Kinder merken ohne Worte manchmal viel mehr als man denkt.

Wie sieht das konkret aus? Soll man einfach antworten, wenn das Kind Fragen hat, oder von sich aus etwas sagen?

Dagmar Geisler: Es ist schön, wenn man altersgerechte Bücher da hat, damit sich auch die Gelegenheit für so ein Gespräch ergibt. Da ist auch Achtsamkeit gefragt. Ich würde meinem Kind das Thema nicht unbedingt aufdrängen, damit das erledigt ist. Aber man sollte eine Offenheit leben. Dazu sollten die Eltern vorher schon einmal untereinander ausgetauscht haben oder vielleicht die Bücher angeschaut haben, um eine Lockerheit im Sprechen darüber zu entwickeln. So wird Aufklärung zu einem Gesprächsthema von vielen. So wissen Kinder auch, wo sie hingehen können, um mal nachzufragen.

Das Buch: Mein Körper gehört mir! (Jubiläumsausgabe), Pro Familia und Dagmar Geisler, ab fünf Jahren, Loewe Verlag, 12,95 Euro