Fremdgegangen an KarnevalBeichten oder nicht? Psychologin Stefanie Stahl gibt Tipps

Zwei "Polizisten" küssen sich am 23.02.2017 in Mainz (Rheinland-Pfalz) auf der Strassenfastnacht.

An Karneval wird viel und gerne geküsst. Unser Symbolfoto wurde 2017 beim Straßenkarneval aufgenommen. Die Personen stehen nicht in direktem Zusammenhang zu den Tipps zum Umgang mit Seitensprüngen. 

Auf der Karnevalsparty fremdgegangen, das ist wohl schon mehr Menschen passiert, als es zugeben. Aber was, wenn es wirklich so ist? Sollte man es beichten? Deutschlands bekannteste Psychologin gibt Tipps. 

von Simon Küpper  (sku)

Der Morgen nach einer Karnevalsparty kann böse Überraschungen bereithalten. Einen Kater zum Beispiel – oder den Blick auf die Person neben einem im Bett.

Klar, Bütjer gehören zum Karneval einfach dazu! Aber immer wieder kommt es auch vor, dass nicht bei einem Bütje bleibt – und dann? Hängt der Haussegen möglicherweise mächtig schief.

Fremdgegangen an Karneval: Beichten oder nicht?

Aber sollte man einen Seitensprung wirklich beichten? Und wie reagiert man, wenn einem ein Seitensprung gebeichtet wird? Deutschlands bekannteste Psychologin Stefanie Stahl (schrieb bereits mehrere Bestseller), gibt im Gespräch mit EXPRESS.de Tipps. Lesen lohnt sich!

Frau Stahl, erst einmal vorab: Welche Bedeutung hat Liebe für unsere Psyche und das Wohlbefinden?Stefanie Stahl: Die Liebe befriedigt vor allem unser existenzielles biologisches Bedürfnis nach Bindung und vermittelt viel Sicherheit und Zuneigung. Sie sorgt für viele positive Gefühle, die gute Hormone ausstoßen, die uns glücklich und das Leben lebenswert machen.Verliebtheit und Liebe sind dabei unterschiedlich. Ich sage immer, Verliebtheit ist eine temporäre Hormon-Vergiftung. Das hat die Natur so eingerichtet, dass wir uns auf einen Partner oder eine Partnerin festlegen. Und Verliebtheit ist auch immer auf potenzielle Sexualobjekte gerichtet. Wenn man sich entschieden hat und dann Nachkommen da sind, muss die Verliebtheit nachlassen, so der Plan der Natur. Denn dann müssen sich die Eltern um das Kind kümmern und haben weniger Zeit für Leidenschaft. Dann kommt die Liebe ins Spiel. Das ist vielleicht nicht romantisch, aber der Stand der Forschung.

Im Karneval fremdgegangen – sollte man das dem Partner/der Partnerin beichten, oder lieber nicht?Stefanie Stahl: Zunächst einmal fängt das ja meist vorher an und nicht auf einer Karnevalsparty. Die Entscheidung habe ich schon vorher getroffen, indem ich mir eine kleine Hintertür offen halte. Anders ausgedrückt, Menschen, die eine sehr klare Entscheidung… Wenn es noch Hintertüren gibt, sieht das anders aus. Wichtig ist, dass man für sich selber die volle Verantwortung übernimmt und das nicht darauf schiebt, dass die Freundin am Morgen zickig war. Und man sollte es auch nicht verdrängen, sondern die Gründe für den Seitensprung feststellen.Beichte oder nicht: Da gibt es keine pauschale Antwort. Ich bin kein Fan vom unbedingten Beichten. Das macht oft mehr kaputt. Der, der beichtet, entlastet sich und dann liegt der ganze Müll beim anderen. Das muss man sich überlegen. Und eben auch die Gründe für das Fremdgehen. Mal gucken, wie steht man überhaupt zu Beziehungen und speziell zu dieser. Wenn aber eh schon einiges im Argen liegt, sollte man auch den Arsch in der Hose haben, die Beziehung zu beenden.Wenn es eine einmalige Sache ist, man sagt: Mir ist einmal so ein Scheiß passiert, das hat eigentlich keine große Bedeutung, dann: Klappe halten und mit ins Grab nehmen. Dann muss man seine Schuldgefühle selbst verwalten. Wenn man für sich klar ist, man will bei dem Partner/der Partnerin bleiben und ist da glücklich und der doofe Fehler kommt nicht noch einmal vor, dann mach es lieber mit dir selber aus. Ansonsten ist der Schaden für den Partner größer als der Nutzen. Manchmal kann Beichten aber auch wieder etwas in Schwung bringen. Eine Chance sein, eine sexuell eingeschlafene Beziehung wieder in Fahrt zu bringen. Sex hat ja die Funktion, einen Partner an sich zu binden. Das ist mit ein Grund, warum es in langen Partnerschaften immer schwierig ist, die Leidenschaft auf dem Anfangslevel zu halten. Das ist sogar unmöglich. Da ist die Sicherheit da, dass der andere sich schon an mich gebunden hat und der Drang, ihn mit weiteren sexuellen Aktivitäten zu binden, geht verloren. Deshalb kann Eifersucht auch oft Schwung in eine eingeschlafene Beziehung bringen. Zudem kann die Beichte die Partner auch einander näher bringen, sich über die Probleme in der Beziehung auszutauschen und diese besser zu gestalten. Letztlich kann man auch durch eine gemeinsame Krise enger zusammenwachsen.

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Ist Fremdgehen immer ein Indiz für Probleme in der Beziehung?Stefanie Stahl: Nicht immer. Fremdgehen ist in jüngeren Jahren (15 bis Ende 40) auch ein Ausprobieren. Da sind die Hormone noch sehr in Schwung. Da sind eben auch andere Menschen sexuell attraktiv.

Sollten Paare vor (Events wie) Karneval gegenseitig klarmachen, wo bei ihnen Untreue anfängt? Da geht es ja von Flirten bis hin zu Sex.Stefanie Stahl: Das kommt darauf an, wie gut sie generell miteinander reden können. Da kommt man auch schnell aufs Glatteis, zum Beispiel: „Ist Küssen für dich fremdgehen?“ – „Wieso willst du jemand anderes küssen?“ Da sollte man sich vielleicht grundsätzlich mal drüber unterhalten, nicht nur für Karneval.

Gibt es Kostüme, bei denen man hellhörig werden sollte, wenn Partner/Partnerin sie trägt, weil sie für Fremdgehen sprechen?Stefanie Stahl: Ich bin keine Karnevalsexpertin, daher kann ich nur allgemein schlussfolgern. Aber klar, wenn die Partner sich super sexy anziehen und getrennt losgehen, ist die Angst höher. Das gilt aber zum Teil auch für Alltagskleidung.

Wie reagiert der oder die Betrogene am besten auf eine Fremdgeh-Beichte? Gibt es überhaupt eine „richtige“ Reaktion?Stefanie Stahl: Eifersucht setzt wahnsinnig viel Aggressivität und Wut frei. Das Gefühl ist nämlich dafür da, den Bindungsbestand, die Partnerschaft, zu sichern. Das ist die Gefahr bei Eifersucht, dass die Fetzen fliegen. Das dürfen sie auch mal tun.Um das gut umzulenken, kann man zum Beispiel einen Brief an der Partner schreiben, all den Frust und die Aggression rauslassen. Aber für sich selbst, um die Emotionen zu ordnen, sich zu sortieren.

Ganz wichtig ist: Den eigenen Selbstwert nicht daran festmachen. Ob der Partner fremdgegangen ist oder nicht – das sagt nichts über die eigene Attraktivität aus. Man sollte sich die Gründe erläutern lassen, aber nicht jedes Detail anhören müssen. Und dann kommt die ganz große Herausforderung: Verständnis für den anderen aufbringen.Für den Fremdgänger gilt: Verantwortung übernehmen und AKTIV für Wiedergutmachung sorgen. Sich immer wieder was einfallen lassen, in konkreten Handlungen. Und im Sinne der Verantwortungsnahme für Transparenz sorgen, wenn die Beziehung weitergeht. Also sagen, „ich verspäte mich heute, weil…“. Aktiv dazu beitragen, dass das Vertrauen wieder wachsen kann.Der Betrogene muss überlegen: Kann ich irgendwann verzeihen? Sonst ist die Beziehung auf ewig vergiftet und das Thema kommt bei jeder Gelegenheit wieder auf den Tisch bis hin zur goldenen Hochzeit.

Könnten Sie selbst einen Seitensprung verzeihen?

Stefanie Stahl: Ja. Würde ich sagen. Weil ein Seitensprung nicht unbedingt etwas über die Beziehung aussagt. Aber nicht verzeihen zu können, sagt mehr über eine selbst aus, als über die Beziehung. Dass man mit dem Selbstwertgefühl sehr hadert, viel Kontrolle braucht.Die Frage ist ja: Was ist schlimm am Betrug? Wenn jemand sexuelle Abwechslung haben will, der mich aber liebt. Das ist die Angst vor Kontrollverlust, dass man den anderen verlieren könnte, und das eigene Selbstwertgefühl leidet. Es dreht sich um die drei Komponenten: Kontrollverlust, Bindung, Selbstwertgefühl. Die richtige Antwort, warum das passiert, ist meist: Sie ist fremder, als ich. Neu. Das ist ein bisschen gemein von der Natur, dass das so geregelt ist, dass Verliebtheit und Leidenschaft nicht ewig aufrechterhalten bleiben. Wenn mein Selbstwert ohnehin niedrig ist, streut ein Seitensprung noch mehr Salz in die Wunde. Und ein niedriger Selbstwert ist ja nicht selten auch der Grund für Seitensprünge. Man sucht sich die Bestätigung im Außen.

Das alles klingt so ganz nüchtern betrachtet sehr einleuchtend. Dann kommen die Gefühle ins Spiel… Der größte Gegenspieler der Psyche?Stefanie Stahl: Absolut. Eifersucht kann verzehrend und destruktiv sein. Oberätzend. Alle starken Gefühle blockieren das Lösungswissen. Aber: Wenn ich nicht gerade im Gefühlsrausch bin, kann man mit der Vernunft viel regulieren. Wenn die erste Verletzung abgeklungen ist, der Eifersuchtsrausch ausgestanden, hat die Vernunft eine Chance, durchzudringen und die Gefühle zu regulieren.