TeufelskreisZwei Freundinnen berichten über den Kampf mit Anorexie und Binge Eating
Köln – Was tun, wenn das Essen dein Leben bestimmt? Wenn du jede Mahlzeit verweigerst, um dich wohlzufühlen? Oder wenn du alles in dich hineinschlingst, um dich zu betäuben? Caro Matzko und Tanja Marfo (beide 41) haben lange gebraucht, um diesem Teufelskreis zu entrinnen.
Gerade zum Jahresbeginn mit all den guten Vorsätzen wollen sie allen Frauen, die sich wieder mit einer Diät abquälen, einfach nur Mut machen: „Steh’ zu dir und deinem Gewicht. Die Konfektionsgröße ist doch Size egal.“
Anorexie und Binge Eating schon seit der Jugend
Als sie sich 2008 kennenlernten und gemeinsam in den Spiegel schauten, ahnten die beiden noch nicht, wie eng ihre Schicksale miteinander verwoben waren. Auf der einen Seite die gertenschlanke Moderatorin einer Wissenssendung, hinter ihr diese riesige, perfekt geschminkte Maskenbildnerin mit rund 100 Kilo „Übergepäck“ auf den Hüften.
Beide waren damals 29. In der Blüte ihres Lebens, wie man so schön sagt. Doch Caro und Tanja hatten das zeitlebens anders gesehen. Die eine hatte sich in ihrer Jugend fast zu Tode gehungert. „Ich war lange magersüchtig, habe also nichts gegessen, dafür exzessiv Sport getrieben und mit Abführmitteln herumgepfuscht“, sagt Caro.
Und Tanja sagt: „Und ich leide seit meiner Kindheit unter Binge-Eating-Attacken. Das bedeutet einen kompletten Kontrollverlust beim Essen, richtige Fressanfälle.“
Der Druck war zu hoch
Beide sind aufgewachsen in leistungsorientierten Elternhäusern mit klaren Rollenklischees – Frauen sind sexy, angepasst und fallen nicht auf. Sie schildern in ihrem gemeinsamen Buch „Size egal“ ihre Wandlung zu selbstbewussten Powerfrauen. Ihr sei von klein auf eingetrichtert worden, „dass ich so, wie ich bin, nicht gut genug bin“, erinnert sich Tanja (1,86 Meter) im Gespräch mit dem EXPRESS.
„Zu laut, zu groß, zu moppelig, zu neugierig.“ Sie suchte sich früh ein Ventil, wenn sie auf dem Schulhof als „Fettarsch“ gemobbt wurde, ihr jemand „Deutsche Panzer rollen wieder“ hinterherrief: Und das war Essen.
Zwischen 40 und 240 Kilo auf der Waage
Einmal, da habe sie ein Date gehabt, erinnert sie sich. Er fände ihre Rundungen toll, gestand der reiche Mann – und bot ihr sogar Geld für heimliche Treffen. „Aber meinen Eltern kann ich dich nicht vorstellen, die akzeptieren nur eine schlanke Freundin.“ Da hätte er dann wohl eher mit einer gertenschlanken Barbie punkten können.
Also mit einer Frau wie Caro Matzko (1,76 Meter, heute Kleidergröße 36/38), der man heute nicht mehr ansieht, dass sie in ihrer Jugend dem Tod von der Schippe gesprungen ist.
Gerade mal 40 Kilo wog sie noch, als sie in die „geschlossene“ Abteilung der Psychiatrie kam, zu kraftlos war, um auf die Toilette zu gehen. Drei Jahre habe es gedauert, sich als Jugendliche aus der Magersucht zu befreien, erinnert sie sich. „Aber mit 30 habe ich gemerkt, dass man unter Drucksituationen wie der Trennung vom Partner – ich habe damals die Hochzeit abgesagt – schnell wieder wie ein trockener Alkoholiker reagieren kann – und in alte Muster zurückfällt.“
Binge-Eating-Attacken, um den Schmerz zu betäuben
Dasselbe galt für Tanja. Ihr Ehemann weigerte sich, mit so einer dicken Frau auf die Straße zu gehen. Tanja betäubte den Schmerz – und aß wieder rund um die Uhr, selbst nachts. Sie versteckte Lebensmittel und hatte sich mittlerweile mit einem Schutzpanzer von 240 Kilo umgeben. „Jede Bewegung tut dann weh bei dem Gewicht“, sagt sie, aber sie habe ja funktionieren müssen – für ihren kleinen Sohn.
Für beide war die Trennung vom Partner ein Befreiungsschlag. Und in ihrer Freundschaft erkannten die äußerlich so ungleichen Frauen – zwischen ihnen liegen zeitweise 15 Kleidergrößen – dass sie gegen ihre Versagensängste ankämpfen müssen. „Ich habe aus meiner Schwäche meine Stärke gemacht“, sagt Tanja, die mittlerweile ein Vorbild in der Plus-Size-Community ist, und als „Kurvenrausch-Unternehmerin“ von Make-up-Kursen bis zu Hochzeitskleidern in Größe 64 alles anbietet, was kräftigen Frauen gefällt.
Ihr Motto: Zelebrieren statt kaschieren! „Wir Frauen sind mehr als unsere Optik“, sagt auch Caro, die erfolgreich in der TV-Branche arbeitet. „Dass die Frau das schöne Geschlecht sein muss, hat sich bei aller Emanzipation irgendwie bis in die Jetztzeit gerettet – obwohl inzwischen auch die armen Jungs immer mehr nach ihrem Äußeren bewertet werden.“ Sie benutze ihren Körper nicht mehr als „Bräutigam-Plattform“, wie es ihr früher eingetrichtert wurde. Und das ist gut so!
Anorexie und Binge Eating: Das sind erste Anzeichen
Binge-Eating ist eine Essstörung, die durch wiederkehrende Essanfälle gekennzeichnet ist, allerdings werden keine gewichtsreduzierenden Maßnahmen vollzogen. Betroffenen neigen häufig zu Übergewicht. Anzeichen:
- seit mindestens sechs Monaten und im Schnitt zwei Mal pro Woche: wiederholte Essattacken, ohne sie anderweitig zu kompensieren
- Gefühl eines Kontrollverlustes
- große Ekel-, Scham- und Schuldgefühle nach den Essattacken
Anorexie: Das Körpergewicht Magersüchtiger liegt mindestens 15 Prozent unter dem Normalgewicht. Anzeichen:
- Einschränkung der Nahrungszufuhr oder der Nahrungsmenge
- Vermeidung bestimmter Nahrungsmittelgruppen, wie Fette oder Kohlenhydrate
- Exzessive sportliche Betätigung
- Selbst herbeigeführtes Erbrechen
- Anwendung von Abführmitteln oder harntreibenden Medikamenten
- Essrituale, wie langsames Essen oder Kleinschneiden der Nahrung
- Festgelegte hochselektive Zusammenstellung der Nahrung