„Sieht nicht gut aus“Diese Arzt-Sätze wollen wir nicht hören
Wer das gefürchtete „das sieht aber garnicht gut aus“ vom Arzt hören muss, der kann über den Satz schon mal in echte Panik verfallen. Dabei muss es gar nichts Schlimmes heißen – die Kommunikation läuft nur falsch. Ein neues Buch schreibt über Missverständnisse in der Arztpraxis.
„Die wenigsten Ärzte sind bösartig“ stellt Werner Bartens gleich in der Einleitung seines Buches „Das sieht aber gar nicht gut aus. Was wir von Ärzten nie wieder hören wollen“, klar. Allerdings seien manche doch ziemlich gedankenlos in ihren Äußerungen und ahnten nicht, wie sich ein nebenbei gesagter Satz auf den Patienten auswirken kann.
Das ist nicht ganz verwunderlich, schließlich ist der Umgang mit Krankheiten und Kranken für den Arzt Routine. Er hat für jeden Patienten nur wenig Zeit und viele Fälle ähneln sich. Für den Kranken ist jeder Arztbesuch oder Krankenhausaufenthalt jedoch ein Ausnahmezustand. Er hat Angst, ist hochkonzentriert und achtet auch auf kleine Gesten und unbedachte Äußerungen des Arztes. Da kommt es schnell zu Missverständnissen.
Sagt etwa der Arzt: „Dem sollten wir nachgehen, nur zur Sicherheit“, versteht der Patient in seiner Angst: „Er hat etwas Schlimmes gefunden“. Auch wenn der Mediziner lediglich meinte: „Reine Routine“.
Die Heilung verzögert sich
99 typische Beispiele solcher Arzt-Patient-Missverständnisse hat der Autor, Wissenschaftsredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, für sein Buch zusammengetragen. Die erschreckenden und gleichwohl unterhaltsamen Kommunikationspannen sind allerdings nur anschauliche Beistücke.
Denn eigentlich geht es dem studierten Mediziner Bartens darum aufzuzeigen, dass sich durch derartige Verunsicherungen die Heilung von Patienten verzögert und sich ihre Prognose verschlechtert. Das haben Nocebo-Forschung und Untersuchungen zur Arzt-Patienten-Kommunikation belegt. Fatalerweise bekommt der Arzt davon meistens nichts mit, weshalb das Buch auch gerade für Mediziner empfehlenswert ist.
„Dem sollten wir nachgehen“, „Oh, der Kopf ist ein bisschen groß“ - lesen Sie auf den nächsten Seiten Sätze, die Ärzte sich besser abgewöhnen sollten, mit Übersetzung für Patienten und erläuternden Erklärungen aus dem Buch: „Das sieht aber gar nicht gut aus“.
Der Arzt sagt: Dem sollten wir nachgehen, nur zur Sicherheit
Der Patient versteht: Angst – Er hat etwas Schlimmes gefunden
Der Arzt meint: Reine Routine
Die Medizin ist kleinteilig organisiert. Der Kranke ist ein Fall für die Kardiologie, die Gynäkologie, die Urologie. Das trägt nicht dazu bei, dass der Patient sich gut aufgehoben fühlt. Hätten Ärzte und Pflegekräfte ausreichend Zeit, könnten sie Patienten ihre Ängste nehmen. Doch in der durchökonomisierten Medizin ist Zeit für Zuwendung sehr teuer.
Der Arzt sagt: Sie brauchen keine Angst zu haben
Der Patient versteht: Angst, Angst, Angst
Der Arzt meint: Das ist nicht schlimm, davon spüren Sie nichts
Viele Menschen – erst recht viele Ärzte – können sich nicht vorstellen, dass nicht nur Medikamente, Operationen und sonstige technische oder manuelle Eingriffe in der Medizin wirken, sondern dass auch symbolische Handlungen, Vorstellungen oder Worte eine unfassbare Kraft entfalten können.
Der Arzt sagt: Wir haben eine kleine Unregelmäßigkeit entdeckt
Der Patient versteht: Ich habe es gleich gewusst, ich bin schwerkrank
Der Arzt meint: Nichts Schlimmes, klären wir nächstes Mal ab, dann ist er beruhigt
Das Messbare, etwa ein Laborwert, ist nicht ein Wert an sich, der über Wohl und Wehe, Krankheit oder Gesundheit entscheidet. Er muss auch angemessen sein für den Patienten und übereinstimmen mit dem Erleben des Einzelnen. So werden manche Menschen mit stark erhöhten Cholesterinwerten dennoch 90 Jahre alt, weil sie zufrieden, gelassen und ausgeglichen sind. Andere Menschen mit normalen Blut- und Cholesterinwerten sterben mit 40 Jahren an einem Infarkt, ohne dass dieser eindeutig auf die körperliche Ursache zurückgeführt werden kann.
Der Arzt sagt: Gute Nachrichten, Ihnen fehlt nichts
Der Patient versteht: Er hält mich für einen Blaumacher, dabei habe ich doch starke Beschwerden.
Der Arzt meint: Prima, nichts gefunden
Fast die Hälfte aller Menschen geht mit Beschwerden zum Arzt, die sich organisch nicht erklären lassen. Doch die meisten Mediziner übersehen oder ignorieren die psychischen Nöte, die dahinterstecken können. Dabei ist längst erwiesen: Seelisches Leid hinterlässt auch im Körper deutliche Spuren.
Der Arzt sagt: Haben Sie gerade Stress?
Der Patient versteht: Der denkt, ich mache ihm nur etwas vor
Der Arzt meint: Typische Symptome bei Überlastung
Leid, das durch seelische Nöte ausgelöst wird, gilt als heikel, die meisten Kranken wollen nicht als „Psycho“ gelten. So wird aus Seelenschmerz „richtiger Schmerz“, oder es kommt zu anderen körperlichen Symptomen. Wenn man sich dauerhaft nicht wohl fühlt, ist es wichtig, anerkannt krank zu sein und sich nicht als Simulant oder Schwächling zu fühlen.
Der Arzt sagt: Da ist etwas Auffälliges im Röntgenbild
Der Patient versteht: Er hat einen Krebsherd gefunden
Der Arzt meint: Wahrscheinlich überlagern sich zwei Blutgefäße
In der Medizin ist er so etwas wie der Yeti für den Bergsteiger: Alle reden von ihm, in Fallberichten wurde er sogar schon vereinzelt beschrieben, Patienten sehnen ihn herbei und jeder hat schon mal von dem ominösen Fabelwesen gehört, nur getroffen hat ihn noch keiner: Die Rede ist von dem ebenso verständnisvollen wie einfühlsamen Arzt, der gleichzeitig ein großer Könner seines Fachs ist und technisch wie wissenschaftlich voll auf der Höhe.
Der Arzt sagt: Oh, der Kopf ist ein bisschen groß
Der Patient versteht: Wasserkopf, geistige Behinderung ein Leben lang – dabei haben wir uns so sehr über die Schwangerschaft und auf das Kind gefreut
Der Arzt meint: Ich muss den Schallkopf anders einstellen oder in einem anderen Winkel halten
Die meisten Eltern sind zunächst einfach nur froh darüber, dass sie ein Kind bekommen werden. Doch die Frage, ob alles mit ihm in Ordnung ist und ob es gesund sein wird, stellt sich spätestens beim ersten Arztbesuch der Schwangeren ein. Es gibt wohl nur wenige Momente, in denen der Blick auf den Gesichtsausdruck des Arztes von so viel Ungeduld und gespannter Erwartung geprägt ist.
Der Arzt sagt: Ich rate Ihnen hier zu einem umfassenden Test, den Sie allerdings selbst bezahlen müssen
Der Patient versteht: Oh Gott, er hat einen Verdacht. Der Test wird Gewissheit bringen
Der Arzt meint: Der sieht so aus, als ob er sich die zusätzlichen 120 Euro leisten kann
Manche Ärzte beweisen ein erstaunliches Geschick darin, ihre Patienten zu brüskieren. Sie sagen ihnen gleich nach der Begrüßung, wie wenig sie an ihnen verdienen. Aus therapeutischer Sicht ist das nicht besonders klug: Die Patienten schrauben sofort ihre Erwartungen herunter, wenn sie erfahren, dass der Augenarzt lediglich 16,72 Euro für sie bekommt und der Internist auch nur 35,38 Den Genesungsprozess fördern diese ernüchternden Mitteilungen nicht, aber vielleicht sitzt den Patienten die Geldbörse für Zusatzleistungen dadurch lockerer. Viele Ärzte bessern schließlich ihr Honorar auf, indem sie Kranken medizinisch fragwürdige „individuelle Gesundheitsleistungen“ (IGeL) gegen Bares anbieten.
Der Arzt sagt: Bei dem Eingriff kann es zu Infektionen oder Blutungen kommen
Der Patient versteht: Infektion, Blutung
Der Arzt meint: Harmlose Routineuntersuchung, aber ich muss halt aufklären
Leider wird in der medizinischen Ausbildung immer noch zu wenig Wert auf die Gesprächsführung gelegt. Das Aufklärungsgespräch stellt ein besonders Dilemma dar. Einerseits sind Ärzte dazu verpflichtet, Patienten über mögliche Nebenwirkungen und andere Risiken zu unterrichten, damit diese eine informierte Entscheidung treffen können. Andererseits überfordern und verunsichern mehrseitige Aufklärungsbögen und Beipackzettel und das Gespräch über jede mögliche Komplikation - und sei sie noch so selten.
Werner Bartens, Das sieht aber gar nicht gut aus. Was wir nie wieder von Ärzten hören wollen, Pantheon, 160 Seiten, 12,99 Euro.