„Hört auf euch dafür zu schämen“Tausende feiern 23-Jährige für ihren Tabubruch

Franziska Wartenberg

Franziska Wachtenberg will auch in Zukunft weiter über Tabuthemen bloggen. 

Köln/Berlin – Die Menstruation, ein Tabu? Haben wir das nicht längst hinter uns gelassen?

„Nein“, ist die klare Antwort von Franziska Wartenberg dazu. Die junge Wissenschaftlerin hat deshalb ihre Bachelor-Arbeit zum Thema „Tabu und Menstruation" verfasst – und ist dabei auf einige Widerstände gestoßen. Die Koordinatorin an ihrer Hochschule Mittweida, wo sie „Angewandte Medien“ studierte, riet ihr von dem „Tabuthema“ ab, ein Prüfer ließ sich zunächst nicht finden. Ihr Facebook-Post über die Relevanz des „Tabuthemas“ wurde inzwischen mehr als 35.000 mit „Gefällt mir“ markiert und rund 10.000 Mal geteilt.

„Ich rufe nicht zur kollektiven Perioden-Party auf und will auch keinem einen benutzten Tampon unter die Nase halten“, schreibt sie darin.

Ganz im Gegenteil: Die 23-Jährige zeigt, dass die Tabuisierung der Menstruation weitreichende gesellschaftliche Folgen hat und Nachteile für Wirtschaft und Umwelt mit sich bringt. Im Interview erklärt die gebürtige Kölnerin und Wahl-Berlinerin, wie Frauen heute noch unter Jahrtausende alten Stigmen leiden.

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Sie haben Ihre Bachelor-Arbeit der Enttabuisierung von Menstruation gewidmet? Warum?

Franziska Wartenberg: Es ist längst überfällig, dass wir alle über dieses Thema sprechen. Unser Umgang mit der Periode ist unglaublich verkrampft. Gleichzeitig sind wir uns dessen nicht bewusst.

Aber wir leben doch in einem ziemlich aufgeklärten Zeitalter. Wird die Periode denn in unserer Gesellschaft tatsächlich noch tabuisiert?

Ja, und zwar jeden Tag: Frauen fragen sich hinter vorgehaltener Hand nach einem Tampon, als würden sie eine Straftat begehen. Für die meisten gibt es nichts Peinlicheres, als wenn ihnen ein Tampon aus der Handtasche fällt. Und sie haben während ihrer Menstruation, eine extreme Angst davor, öffentlich auszulaufen. Das Schlimmste wäre, wenn jemand einen Blutfleck auf der Kleidung entdecken könnte. Die Werbung forciert diese Schamgefühle auch noch.

Inwiefern?

In aktuellen Werbespots für Tampons und Binden wird die Menstruation kaum verbalisiert, geschweige denn ansatzweise realistisch dargestellt. Gleichzeitig wird ständig die „Sicherheit“ und „Frische“ betont, die das Produkt gewährleistet. Als sei man als menstruierende Frau ansonsten in „Gefahr“ und „unrein“.

Dass es sich nach wie vor um ein Tabuthema handelt, haben Sie selbst erfahren müssen.

Ja, ich habe 27 potenzielle Erstprüfer – darunter zwei Frauen – an meiner Hochschule angeschrieben und Ihnen mein Exposé geschickt. Entweder haben sie gar nicht geantwortet oder geschrieben, sie hätten keine Kapazitäten. Als ich die Studiengang-Koordinatorin um Rat fragte, erklärte sie, ich würde zu diesem „Tabuthema“ keinen Prüfer finden.

Wie haben Sie das Thema dennoch durchgesetzt?

Ich habe erneut alle angeschrieben, die mir zumindest geantwortet hatten, und Ihnen noch einmal die Dringlichkeit erläutert. Schließlich erklärte sich eine Dozentin bereit, mich zu betreuen. Erst kürzlich habe ich meine Bachelor-Arbeit erfolgreich verteidigt: Sie wurde mit der Note 1,3 bewertet.

Sie schreiben darin, dass die Tabuisierung weitreichende gesellschaftliche Auswirkungen hat. Welche sind das?

Zum Beispiel ökonomische Folgen: Frauen geben für Tampons und Binden, die für sie unabdingbar sind, in ihrem Leben Beträge im vierstelligen Bereich aus – manche Berechnungen kommen sogar auf Werte über 8000 Euro. Monatshygiene-Artikel werden mit dem Spitzensatz von 19 Prozent besteuert – und damit höher als Lachskaviar oder Schnittblumen. In Entwicklungsländern haben Frauen häufig gar keinen Zugang zu Tampons und Binden oder können sie sich schlichtweg nicht leisten. Frauen bleiben dann der Arbeit fern, weil sie bluten. In Indien brechen 20 Prozent der Mädchen mit dem Beginn der ersten Periode die Schule ab. Auch für unsere Umwelt ist die Tabuisierung verheerend.

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Inwiefern?

Herkömmliche Binden bestehen zu neunzig Prozent aus Roh-Öl. Das heißt, sie werden nur sehr schlecht abgebaut. Pro Jahr benutzen Frauen weltweit aber 48 Milliarden Tampons und Binden. Es wird einfach zu wenig über Alternativen wie die Menstruationstasse oder Schwämme informiert. Auch medizinisch gesehen ist die mangelnde Information ein großes Problem: Viele Mädchen sind komplett überfordert, wenn sie zum ersten Mal ihre Periode bekommen. Sie wissen nicht, wie oft sie einen Tampon wechseln müssen und haben noch nie vom Toxischen Schock-Syndrom (TSS) gehört. Die Stigmatisierung kann ihnen im schlimmsten Fall also gefährlich werden.

Warum hält sich das Stigma von der menstruierenden Frau bis heute?

Es ist schon 2000 Jahre alt und wurde von Philosophen und Medizinern begründet. Schon 50 nach Christus berichtete Plinius, der Ältere, von der Unreinheit menstruierender Frauen. In ihrer Nähe würden Tiere sterben und die Ernte verderben. Der Arzt Paracelsus ist im 16. Jahrhundert davon überzeugt, dass kein Gift stärker sei als Menstruationsblut. Auch in etlichen religiösen Schriften gelten Menstruierende als unrein. In der Bibel im 3. Buch Mose steht, sie sollten niemanden berühren und sich am besten sieben Tage verstecken. Danach sollten sie sich einer entwürdigenden Waschung unterziehen und gesegnet werden. Nicht zu vergessen die zwei Tauben, die geopfert werden müssen, um ihre Reinheit wieder herzustellen.

Aber das ist ja alles schon ziemlich lange her. Das müssten wir doch überwunden haben?

Leider nicht. Noch 1920 erklärt der Mediziner Béla Schick, er habe Gift in Menstruationsblut nachgewiesen. Mit der Begründung der Psychoanalyse wird das periodische Irre-Sein von Frauen propagiert. Und unter diesen teilweise uralten Stigmatisierungen leiden Frauen bis heute. Sie gelten während ihrer Periode als unrein, launisch, hysterisch und müssen sich nach wie vor Sprüche wie „Hast Du etwa Deine Tage?“ anhören. Im US-Präsidentschafts-Wahlkampf unterstellte Donald Trump der damaligen Fox-Moderatorin Megyn Kelly, sie stelle – ihm zusetzende – Fragen, weil sie ihre Periode habe.

Was muss sich denn Ihrer Meinung nach ändern, damit wir mit diesen Irrglauben aufräumen?

Das Wichtigste ist Bildung: Mädchen und Frauen, aber auch Jungen und Männer, müssen viel besser über die Periode informiert werden. Sonst werden sie das Thema weiterhin als „Weiberkram“ abtun, der sie nichts angeht, und das sorgt nur dafür, dass sich die uralten Vorurteile weiter halten und verbreiten.

(rer)