Trauma, Trigger, ToxischTherapie-Sprache im Alltag ist „in“ – aber Experten warnen

Ilustration zweier Münder

Hach, alle sind so im Overload: Begriffe aus dem Kosmos der Psychotherapie bzw. mentalen Gesundheit zu verwenden, gilt gerade als schick.

Viele Menschen reden im Alltag, als säßen sie in Gruppentherapie: Diese Art zu sprechen ist zwar angesagt, kann aber auch gefährlich sein.

von Stefanie Monien  (smo)

Echt traumatisch, wenn man erst die „Red Flags“ übersieht, dann „Anxiety“ kriegt, weil das neue Projekt „triggert“ und keine Zeit für „Self-Care“ bleibt. Toxische Zeiten, oder?

Derzeit klingen so manche Begriffe, mit denen insbesondere junge Menschen um sich werfen, schwer nach Psychotherapeuten-Fachtagung: „Therapy Speak“, also Therapie-Sprache, ist trendy. Aber bei weitem nicht immer so cool, lässig und oberwichtig, wie sie scheinbar daherkommt.

Trend „Therapy Speak“: Was dahinter stecken kann

Natürlich ist es nicht „traumatisch“, wenn einem beim Bäcker des Vertrauens die letzte Zimtschnecke vor der Nase weggeschnappt wird – und wer mal ein paar Stunden durchhängt, hat nicht gleich eine Depression.

Problem: „Es besteht die Gefahr der Verniedlichung, der Verharmlosung von schweren Krankheiten“, sagt Kommunikationsexperte und Coach Jonas Leimann im Gespräch mit EXPRESS.de.

„Wir kennen oft die Begriffe und vor allem deren Bedeutung nicht. Wenn ich sage: ‚Meine OCD* kickt wieder durch‘, klingt das für Außenstehende, die es nicht kennen, hip, cool. Doch dabei handelt es sich um eine ernste Krankheit, eine Zwangsstörung.“ *OCD steht für Obsessive-Compulsive Disorder (Zwangserkrankung, Zwangsstörung)

Einige Menschen rechtfertigten sich mit Begriffen aus der Therapie-Sprache, benutzen sie, um sich interessanter zu machen. „Wenn ich Fachbegriffe nur scheinhaft richtig verwende, kann es trotzdem authentisch wirken. Man fühlt sich dem anderen überlegen und manipuliert ihn, weil er unwissend ist“, sagt der Experte.

Therapie-Sprache im Alltag kann Betroffene kränken und stigmatisieren

Statt also dem Kumpel unumwunden zu sagen, dass man zu viel um die Ohren hat, um sich zum Zocken zu treffen, könnte eine in Therapie-Sprech verpackte Absage so lauten: „Ich muss eine Umverteilung der Kapazitäten vornehmen, weil ich im Privaten einen absoluten Overload habe und an meine Mental Health denken muss.“ Klingt eher nach Direktive einer Unteren Verwaltungsbehörde ...

Werden therapeutische Fachtermini mit bloßen Verstimmungen in einen Topf geworfen, kann das dazu führen, dass sich Menschen, die wirklich an einer (diagnostizierten) psychischen Krankheit leiden, nicht mehr ernst genommen fühlen.

Beispiel: „Bezeichne ich meinen Chef als Narzissten, weil ich ihn nicht leiden kann, oder sage ich, dass ich angesichts eines nervigen Gesprächs mit meiner Vorgesetzten kurz vor einer Panikattacke stehe, kann das für wirklich von einer Krankheit Betroffene wirken wie Hohn.“

Expertin: Therapie-Sprache ist nicht für den Alltag gemacht

Gerade in der Social Media-Blase boomt der „Psychomarkt“, kursieren Selbsthilfetipps für psychische Leiden. Schnell aufgeschnappt, schnell abgespeichert, schnell weiter im Algorithmus, der uns wieder und wieder Beiträge ähnlichen Inhalts serviert. „Da greift der Mimikry-Effekt: Wir nehmen Verhaltensmuster und Sprache unbewusst an und ahmen die nach. So integrieren wir Begriffe wie Trigger und Trauma in unseren Wortschatz. Ohne immer genau zu wissen, was sie bedeuten“, sagt Jonas Leimann.

Das sieht auch Psychotherapeutin Israa Nasir so. Sie bewegt sich zwar oft in den sozialen Netzwerken, sagt aber: „Wir fangen an, eine Sprache zu verwenden, die wir nicht vollständig verstehen. Viele dieser Konzepte sind sehr komplex. Sie sind meist nicht dazu gedacht, außerhalb des therapeutischen Umfelds verwendet zu werden.“

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Genau hier verläuft der schmale Grat zwischen gut gemeint und gut gemacht. „Der eine nutzt die Begrifflichkeiten, weil er sie versteht, der andere, weil er cool sein will“, so Leimann.

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Psychologe Umut Özdemir sagte „Deutschlandfunk Nova“ dazu: „Wenn wir psychische Erkrankungen mehr mit unserem Alltag verbinden, könnte das dazu führen, dass sie ihr Stigma verlieren. Verwenden wir therapeutische Begriffe aber leichtfertig, dann tun wir so, als seien Depressionen etwas, das man mit ‚ein bisschen Joggengehen‘ beheben kann.“

Für Kommunikationstrainer Jonas Leimann ist es grundsätzlich „sehr gut, wenn sich auch Nicht-Betroffene mit dem Thema auseinandersetzen, ihm so mehr Gehör verschaffen. Es ist relevant, dass wir mehr Therapiemöglichkeiten brauchen.“ Kontraproduktiv sei es, wenn man sich selber durch die Verwendung bloßer Worthülsen wichtig machen wolle.