Wie geht das denn?Volltrunken und 2,3 Promille – ohne einen einzigen Tropfen Alkohol

Ein junger Mann schläft am Strand von Arenal auf Mallorca.

Nun ja, dieser junge Mann auf unserem Symbolbild hat für seinen Promillewert selber gesorgt. Es gibt aber auch Fälle, in denen hohe Promillewerte im Blut von Patienten gemessen werden – und die haben 0,0 Alkohol konsumiert.

Betrunken, ohne Alkohol konsumiert zu haben, verschleierte Schlaganfälle: Ein Mediziner schildert dramatische Schicksale von Betroffenen „Seltener Erkrankungen“.

von Andrea Kahlmeier  (ak)

Die Ohrfeige, die Hagen P. einem seiner Schüler verpasste, brachte das Fass zum Überlaufen. Die Schulleitung suspendierte den einst so beliebten Lehrer wegen seines offensichtlichen Alkoholproblems vom Unterricht. Der setzte sich wütend ins Auto, baute einen Unfall, lallte nur noch, als die Rettungssanitäter kamen und ihm Blut abnahmen: 2,3 Promille.

Seine Frau verließ ihn. Keiner glaubte dem Mann, dass er keinen Alkohol getrunken hatte. Bis auf Prof. Martin Mücke – der Sherlock Holmes unter den Ärzten erforscht „Seltene Erkrankungen“ und stellte das Eigenbrauer-Syndrom fest.

„Seltene Erkrankungen“: Das ist das Eigenbrauer-Syndrom

Wie bitte? Gibt's wirklich. Es ist eine von ca. 8000 „Seltenen Erkrankungen“, von denen wir Laien wohl noch nie etwas gehört haben. Die Erreger des Eigenbrauer-Syndroms sind Hefepilze, die sich unbehandelt im Körper so stark vermehren, dass sie einen Prozess von alkoholischer Gärung auslösen.

„Der Mann war nur noch ein körperliches und seelisches Wrack, wäre innerhalb des nächsten Jahres gestorben“, erinnert sich der Direktor des Instituts für Digitale Allgemeinmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen an einen seiner spektakulärsten Fälle.

Prof. Martion Mücke, Co-Autor von "Unglaublich krank"

Prof. Martin Mücke (hier auf einer undatierten Aufnahme) arbeitet am „Zentrum für Seltene Erkrankungen“ in Aachen.

Prof. Mücke ist zudem Leiter des Zentrums für „Seltene Erkrankungen“ in an der Uniklinik RWTH Aachen. Es ist eines von ca. 35 Zentren u.a. in Köln, Bonn und Düsseldorf. Und die letzte Anlaufstelle für Patienten, denen kein Allgemeinmediziner, kein Facharzt mehr weiterhelfen kann.

Manche haben eine 30-jährige Leidensgeschichte hinter sich, aber zu 75 Prozent sind es Kinder, die Rätsel aufgeben. Wie der kleine Neo, der einfach nicht mehr wachsen wollte. Sollte es sich wirklich um einen kleinwüchsigen Jungen handeln? Nein, sondern um eine Krankheit, unter der nur ein Kind von 4000 leidet.

Erkennen Sie alles?

Bizarre Bilder aus dem Mikroskop

Zotten im Maul eines Fisches

Zottelig und mächtig nützlich: Sieht ein bisschen aus wie eine Herde Nacktmulle, die aus einem Flokati guckt. Oder wie Fortpflanzungsorgane.Es sind aber Zotten im Maul eines Fisches – rund 110-fach vergrößert. Generell dienen Zotten zur Oberflächenvergrößerung. Beim Menschen am bekanntesten sind Darmzotten – durch sie können sehr viele Nährstoffbausteine ins Blut gelangen.

Vanadium unterm Elektronenmikroskop

Stahlharter Profi: Nein, wir befinden uns nicht im Land der Raketenwürmer, sondern auf der Oberfläche des chemischen Elements mit der Ordnungszahl 23, dem Vanadium. Der Großteil des weltweit (u.a. in Erz) vorkommenden Vanadiums wird als Ferrovanadium in der Stahlherstellung eingesetzt. Chrom-Vanadium-Stähle z.B. haben eine höhere Zähigkeit und dadurch große Widerstandskraft – sie werden z.B. zur Herstellung von Werkzeugen wie Steckschlüsseln verwendet. Vanadium ist außerdem ein Spurenelement (wie Zink, Jod, etc), hilft beim Fettstoffwechsel und Mineralisieren der Knochen.

Nervenfasern des menschlichen Körpers unterm Elektronenmikroskop

Ganz schön nervig, oder? Das hier so bunt herauspräparierte Objekt könnte so ziemlich alles sein, oder? Krüsselige Haare auf einem Badeschwamm. Ein Schweinenetz, wie es Köche gern zum Einhüllen von Pasteten verwenden. Aber es ist in Wahrheit: Ein Geflecht von Nervenfasern. Sie verbinden mitunter meterlang den Zellkörper des Nervs mit anderen Nerven- oder Drüsenzellen sowie Muskelfasern. Nervenzellen, die zum Baustein von Hirn und Rückenmark zählen, bestehen aus dem Zellkörper und der auch Neurit genannten Nervenfaser.

Bärtierchen unter dem Elektronenmikroskop

Ausgefallenes Alien? Sieht bizarr und böse aus, dieses lila Ungetüm mit Klauen und komischem Schlund. Könnte glatt zu Halloween an der Haustür klingeln... Dabei ist es ein Bärtierchen, gerade mal 1,2 Millimeter klein. Die kuriosen Kerlchen leben so ziemlich überall: In unserem Garten, in der Antarktis, der Tiefsee oder im Regenwald. Wenn sie austrocknen, sterben sie nicht, sondern verharren in einer Art „Duldungsstarre“ und ertragen radioaktive Strahlung, außerdem Hitze weit über 100 Grad sowie Kälte bis minus 273 Grad – das kann zehn Jahre lang so gehen. Fällt ein Wassertropfen auf sie, leben sie weiter, als sei nichts gewesen.

Kollagenfasern des menschlichen Körpers unterm Elektronenmikroskop

Mini-Fasern, Riesen-Kraft: Könnte aus einer Wischmob-Werbung sein: Feine Fasern, die jedes noch so kleine Staubkörnchen aufnehmen. Fast richtig! Fasern stimmen – es sind Kollagenfasern, aus denen unser Bindegewebe hauptsächlich besteht. Kollagen ist aufgrund seiner Eiweiß-Struktur extrem zugfest, wie ein Stahlseil. Kein Wunder, dass in Sehnen, Bändern und Gelenken ebenso wie in Bandscheiben und Knorpel besonders oft Kollagen vorkommt. In Cremes enthaltenes Kollagen soll helfen, die Haut glatter und straffer zu machen. Denn es regt die Haut an, Feuchtigkeit zu speichern.

Samenkanälchen unter dem Elektronenmikroskop betrachtet

Schnelle Schwimmer-Produktion: Lotosblüten? Halbe Feigen in einer Papiertüte? Völlig falsch! Es sind Samenkanälchen, in denen Spermien produziert werden. Über einen ähnlichen Anblick war schon Herzog James von York, der spätere englische König James II. (1633-1701) hochentzückt – er hatte sich von Leeuwenhoek Hundespermien unterm Mikroskop zeigen lassen. Eine gewisse Affinität zu den schnellen Schwimmern schien James II. durchaus gehabt zu haben: Der letzte katholische Herrscher über die Königreiche England und Schottland hinterließ 22 Kinder – 15 eheliche und sieben uneheliche.

MRSA-Bakterien unter dem Mikroskop

Kritische Kugeln: Macadamianüsse? Pompons? Weit gefehlt! Denn alles andere als harmlos sind diese orange eingefärbten Kügelchen, es sind die gefürchteten MRSA-Bakterien – auch bekannt als „Krankenhaus-Keime“. MRSA bedeutet Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus – und hat die Problematik schon im Namen: Die Bakterien können gegen Methicillin und andere gängige Antibiotika resistent sein – und lebensgefährliche Infektionen verursachen. MRSA wird am häufigsten von Mensch zu Mensch übertragen (und über Kontakt mit kontaminierten Gegenständen wie Türklinken).

Schuppen einer Makrele unterm Mikroskop

Wie Schuppen von den Augen: Dieses Objekt ist vergleichsweise leicht zu identifizieren: Es sind Schuppen einer Makrele. Und die sind eine kleine Besonderheit, denn die Haut der Atlantischen Makrele erinnert aufgrund ihrer Zeichnung nicht nur an Tigerfell, sondern ist auch fast seidig-glatt. Grund dafür ist die sehr, sehr feine Schuppenstruktur. Die Makrele zählt zwar zu den Fettfischen, ist aber sehr gesund dank guter Omega-3-Fettsäuren und dem Coenzym Q10. Wenn sie im Herbst gefangen wird, hat die Atlantische Makrele ca. 30 Prozent Fett unterm Schuppenkleid.

Bakterien auf den menschlichen Zähnen, Aufnahme eines Elektronenmikroskopes

Auf den Zahn gefühlt: War da jemand auf dem Meeresboden und hat Korallen mikroskopiert? Oder einen Kaschmirpullover zigfach vergrößert? Nein: Wir sehen hier etwas, das schon Antoni van Leeuwenhoek bei der ersten Betrachtung 1683 elektrisierte: Die Stäbchen sind Plaque, also schnöder Zahnbelag, auf einem Milchzahn. Plaque besteht aus Bakterien (und deren Stoffwechselprodukten) sowie Speichel, verschwindet in der Regel beim Zähneputzen. Nicht entfernt, kann Plaque zu Zahnstein werden sowie Karies und Zahnfleischentzündungen hervorrufen.

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Welche das ist, verraten die Autoren Prof. Mücke und Esther Schweins im Gespräch mit EXPRESS.de allerdings nicht. „Dann würde ja keiner mehr unser Buch lesen“, schmunzeln sie. Doch Symptome, die unglaublich klingen, schildern sie gern.

Da war zum Beispiel der kleine Junge, der sich dehnen kann wie eine Gummipuppe, aber ständig blaue Flecken, Hämatome und Schürfwunden hatte, die nicht verheilten. Prof. Mücke und sein Team diagnostizierten eine Krankheit, die eines von 10.000 Kindern hat.

Hier gern an unserer EXPRESS.de-Umfrage teilnehmen:

Derzeit gebe es gerade mal für fünf Prozent der „Seltenen Krankheiten“ eine Therapie, erklärt Mücke. Jährlich sterben immer noch mindestens 1500 Kinder, ohne dass wir wissen, woran es gelegen hat. Fast jeder Mensch sei nach einer langen Odyssee durch Arztpraxen dankbar, wenn er eine Diagnose erhalte, selbst wenn sie nicht schön sei, erlebt Mücke. „Es ist schlimm für einen Menschen, dem keiner mehr glaubt, der nicht ernst genommen wird.“

Mückes wichtigste Instrumente sind deshalb seine Ohren. Er muss genau zuhören, nimmt sich für die Erstanamnese anderthalb Stunden Zeit. Davon können Mediziner, die ihre Patienten im Sieben-Minuten-Takt verarzten müssen, nur träumen.

Aber dann erfährt man eben Kleinigkeiten wie bei Pia, einst eine erfolgreiche Society-Reporterin, die beim Bayrischen Filmpreis Bauchkrämpfe bekam und 14 Monate später in jedem Münchner Krankenhaus bekannt war. Neben Übelkeit und Erbrechen reagierte sie empfindlich auf Sonnenlicht – ein Zeichen für eine seltene Stoffwechselkrankheit, die gerade mal 5 bis 10 Menschen pro 100.000 Einwohner haben.

Helfen konnte er auch Tobias, der auf der Hochzeitsreise in Barcelona glaubte, sich nur den Magen verdorben zu haben. Von wegen. Es kam zum ersten Schlaganfall, später stand sein Herz still, er litt unter Herzinsuffizienz, Hautausschlägen, konnte nicht mehr arbeiten, war schwerst depressiv. Es war nicht leicht, die Ursache zu finden, denn diese Krankheit wird in der Fachwelt mit einem Chamäleon verglichen, weil sie sich bei jedem Patienten anders präsentiert.

Seltene Krankheiten: Heilen mit KI und gesundem Menschenverstand

Wer dem Experten bei der Recherche zur Hand geht: Sein Team und Künstliche Intelligenz. Sie werde immer wichtiger, um schneller Verbindungen zu knüpfen und Wirkstoffe zu finden, die auch Modell für andere Erkrankungen sein könnten. Dabei schaut er wie auch Podcast-Kollegin und Co-Autorin Esther Schweins in „Unglaublich krank“ gerne über den schulmedizinischen Tellerrand.

Die beiden nennen ein Beispiel, das Menschen mit Narben zu denken geben sollte. Eine Physiotherapeutin bemerkte bei einem Freund, der 35 Jahre lang massive Beschwerden im Bewegungsapparat hatte, eine Narbe unterm Fuß. In acht Sitzungen wurde das Narbengewebe „entstört“, die Energie konnte wieder fließen und der Patient war schmerzfrei.

Aber auch Therapien zur Behandlung von seltenen Muskelerkrankungen, die bis zu zwei Millionen Euro kosten, hat Prof. Mücke schon gesehen. „Jeder verdient die beste Behandlung, auch wenn seine Krankheit noch so selten ist.“

Esther Schweins: Tunnelblick nach Tsunami-Trauma

Die Schauspielerin Esther Schweins (54) befasst sich seit langem mit Themen rund um Gesundheit und Ernährung. Sie habe eine „kleine, private Hexenküche“, sagt Schweins. Sie sei interessiert daran, was man komplementär zur Schulmedizin machen könne.

Das wundert nicht bei ihren traumatischen Erfahrungen. Die Schauspielerin hätte beim Tsunami 2004 fast ihr Leben verloren. „Neben einem Nierentrauma hatte ich nach der Katastrophe einen Tunnelblick, konnte rechts und links nicht sehen“, erinnert sie sich. Nichts half, bis eine Psychokinesiologin ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Augen öffnete.

Esther Schweins, Co-Autorin von "Unglaublich krank"

Esther Schweins, Co-Autorin von „Unglaublich krank“ (hier auf einem undatierten Foto), lebt auf der sehr naturheilkundlich geprägten Insel Mallorca.

Sechs Jahre später musste sie um das Leben ihrer Tochter bangen, die plötzlich nicht mehr atmen konnte, krampfte und wenige Stunden später unter einer beginnenden Blutvergiftung litt, während der ganze Körper wie Feuer loderte, sie 41 Grad Fieber hatte. Diagnose: ein unbekannter multiresistenter Keim. Nichts wirkte.

Bis Esther Schweins der kleinen Mina Oregano-Kapseln gab, die ihr ein Mediziner aus Sri Lanka empfohlen hatte – zur Bekämpfung von Bakterien, Viren und Pilzen. „Oregano ist die potenteste Medizin, die der Mittelmeerraum zu bieten hat“, sagt Schweins. Ob es letztendlich zur Heilung ihres Kindes führte, weiß sie nicht. Aber das Beispiel bestärke sie darin, gemeinsam mit Prof. Mücke Menschen für die Gesunderhaltung des Körpers zu sensibilisieren und spannende Krankheitsfälle zu schildern.