Betrunken, ohne Alkohol konsumiert zu haben, verschleierte Schlaganfälle: Ein Mediziner schildert dramatische Schicksale von Betroffenen „Seltener Erkrankungen“.
Wie geht das denn?Volltrunken und 2,3 Promille – ohne einen einzigen Tropfen Alkohol
Die Ohrfeige, die Hagen P. einem seiner Schüler verpasste, brachte das Fass zum Überlaufen. Die Schulleitung suspendierte den einst so beliebten Lehrer wegen seines offensichtlichen Alkoholproblems vom Unterricht. Der setzte sich wütend ins Auto, baute einen Unfall, lallte nur noch, als die Rettungssanitäter kamen und ihm Blut abnahmen: 2,3 Promille.
Seine Frau verließ ihn. Keiner glaubte dem Mann, dass er keinen Alkohol getrunken hatte. Bis auf Prof. Martin Mücke – der Sherlock Holmes unter den Ärzten erforscht „Seltene Erkrankungen“ und stellte das Eigenbrauer-Syndrom fest.
„Seltene Erkrankungen“: Das ist das Eigenbrauer-Syndrom
Wie bitte? Gibt's wirklich. Es ist eine von ca. 8000 „Seltenen Erkrankungen“, von denen wir Laien wohl noch nie etwas gehört haben. Die Erreger des Eigenbrauer-Syndroms sind Hefepilze, die sich unbehandelt im Körper so stark vermehren, dass sie einen Prozess von alkoholischer Gärung auslösen.
„Der Mann war nur noch ein körperliches und seelisches Wrack, wäre innerhalb des nächsten Jahres gestorben“, erinnert sich der Direktor des Instituts für Digitale Allgemeinmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen an einen seiner spektakulärsten Fälle.
Prof. Mücke ist zudem Leiter des Zentrums für „Seltene Erkrankungen“ in an der Uniklinik RWTH Aachen. Es ist eines von ca. 35 Zentren u.a. in Köln, Bonn und Düsseldorf. Und die letzte Anlaufstelle für Patienten, denen kein Allgemeinmediziner, kein Facharzt mehr weiterhelfen kann.
Manche haben eine 30-jährige Leidensgeschichte hinter sich, aber zu 75 Prozent sind es Kinder, die Rätsel aufgeben. Wie der kleine Neo, der einfach nicht mehr wachsen wollte. Sollte es sich wirklich um einen kleinwüchsigen Jungen handeln? Nein, sondern um eine Krankheit, unter der nur ein Kind von 4000 leidet.
Welche das ist, verraten die Autoren Prof. Mücke und Esther Schweins im Gespräch mit EXPRESS.de allerdings nicht. „Dann würde ja keiner mehr unser Buch lesen“, schmunzeln sie. Doch Symptome, die unglaublich klingen, schildern sie gern.
Da war zum Beispiel der kleine Junge, der sich dehnen kann wie eine Gummipuppe, aber ständig blaue Flecken, Hämatome und Schürfwunden hatte, die nicht verheilten. Prof. Mücke und sein Team diagnostizierten eine Krankheit, die eines von 10.000 Kindern hat.
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Derzeit gebe es gerade mal für fünf Prozent der „Seltenen Krankheiten“ eine Therapie, erklärt Mücke. Jährlich sterben immer noch mindestens 1500 Kinder, ohne dass wir wissen, woran es gelegen hat. Fast jeder Mensch sei nach einer langen Odyssee durch Arztpraxen dankbar, wenn er eine Diagnose erhalte, selbst wenn sie nicht schön sei, erlebt Mücke. „Es ist schlimm für einen Menschen, dem keiner mehr glaubt, der nicht ernst genommen wird.“
Mückes wichtigste Instrumente sind deshalb seine Ohren. Er muss genau zuhören, nimmt sich für die Erstanamnese anderthalb Stunden Zeit. Davon können Mediziner, die ihre Patienten im Sieben-Minuten-Takt verarzten müssen, nur träumen.
Aber dann erfährt man eben Kleinigkeiten wie bei Pia, einst eine erfolgreiche Society-Reporterin, die beim Bayrischen Filmpreis Bauchkrämpfe bekam und 14 Monate später in jedem Münchner Krankenhaus bekannt war. Neben Übelkeit und Erbrechen reagierte sie empfindlich auf Sonnenlicht – ein Zeichen für eine seltene Stoffwechselkrankheit, die gerade mal 5 bis 10 Menschen pro 100.000 Einwohner haben.
Helfen konnte er auch Tobias, der auf der Hochzeitsreise in Barcelona glaubte, sich nur den Magen verdorben zu haben. Von wegen. Es kam zum ersten Schlaganfall, später stand sein Herz still, er litt unter Herzinsuffizienz, Hautausschlägen, konnte nicht mehr arbeiten, war schwerst depressiv. Es war nicht leicht, die Ursache zu finden, denn diese Krankheit wird in der Fachwelt mit einem Chamäleon verglichen, weil sie sich bei jedem Patienten anders präsentiert.
Seltene Krankheiten: Heilen mit KI und gesundem Menschenverstand
Wer dem Experten bei der Recherche zur Hand geht: Sein Team und Künstliche Intelligenz. Sie werde immer wichtiger, um schneller Verbindungen zu knüpfen und Wirkstoffe zu finden, die auch Modell für andere Erkrankungen sein könnten. Dabei schaut er wie auch Podcast-Kollegin und Co-Autorin Esther Schweins in „Unglaublich krank“ gerne über den schulmedizinischen Tellerrand.
Die beiden nennen ein Beispiel, das Menschen mit Narben zu denken geben sollte. Eine Physiotherapeutin bemerkte bei einem Freund, der 35 Jahre lang massive Beschwerden im Bewegungsapparat hatte, eine Narbe unterm Fuß. In acht Sitzungen wurde das Narbengewebe „entstört“, die Energie konnte wieder fließen und der Patient war schmerzfrei.
Aber auch Therapien zur Behandlung von seltenen Muskelerkrankungen, die bis zu zwei Millionen Euro kosten, hat Prof. Mücke schon gesehen. „Jeder verdient die beste Behandlung, auch wenn seine Krankheit noch so selten ist.“
Esther Schweins: Tunnelblick nach Tsunami-Trauma
Die Schauspielerin Esther Schweins (54) befasst sich seit langem mit Themen rund um Gesundheit und Ernährung. Sie habe eine „kleine, private Hexenküche“, sagt Schweins. Sie sei interessiert daran, was man komplementär zur Schulmedizin machen könne.
Das wundert nicht bei ihren traumatischen Erfahrungen. Die Schauspielerin hätte beim Tsunami 2004 fast ihr Leben verloren. „Neben einem Nierentrauma hatte ich nach der Katastrophe einen Tunnelblick, konnte rechts und links nicht sehen“, erinnert sie sich. Nichts half, bis eine Psychokinesiologin ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Augen öffnete.
Sechs Jahre später musste sie um das Leben ihrer Tochter bangen, die plötzlich nicht mehr atmen konnte, krampfte und wenige Stunden später unter einer beginnenden Blutvergiftung litt, während der ganze Körper wie Feuer loderte, sie 41 Grad Fieber hatte. Diagnose: ein unbekannter multiresistenter Keim. Nichts wirkte.
Bis Esther Schweins der kleinen Mina Oregano-Kapseln gab, die ihr ein Mediziner aus Sri Lanka empfohlen hatte – zur Bekämpfung von Bakterien, Viren und Pilzen. „Oregano ist die potenteste Medizin, die der Mittelmeerraum zu bieten hat“, sagt Schweins. Ob es letztendlich zur Heilung ihres Kindes führte, weiß sie nicht. Aber das Beispiel bestärke sie darin, gemeinsam mit Prof. Mücke Menschen für die Gesunderhaltung des Körpers zu sensibilisieren und spannende Krankheitsfälle zu schildern.