Leise Karriere machenSchüchtern im Büro – warum das ein Riesenvorteil ist

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Introvertierte Menschen ziehen sich oft zurück – dabei kann ihre leise Art ihnen viel Erfolg bringen.

Leise Menschen haben es in der Berufswelt oft nicht leicht. Denn dort dominieren meist die Extrovertierten mit ihrer lauten Art. Das ist aber nicht zwangsläufig der beste Weg, wie Karriere-Coach Martin Wehrle in seinem neuen erfolgreichen Buch „Der Klügere denkt nach. Von der Kunst, auf die ruhige Art erfolgreich zu sein“ beschreibt. Im Interview erklärt er, welche Vorteile Introvertierte haben.

Herr Wehrle, was unterscheidet Ihr Buch von anderen Karriere-Ratgebern?

Martin Wehrle: Ich stelle in meinem Buch eine gewagte These auf: Ich sage, dass das Zeitalter der Zurückhaltenden begonnen hat. Andere Bücher machen das Umgekehrte: Dort werden die Lauten als Vorbilder dargestellt, man drängt leise Menschen, mehr aus sich heraus zu kommen. So bekommen sie immer den Eindruck vermittelt, dass sie die Nachhilfeschüler in der großen Schule des Lebens sind. Ich zeige stilleren Menschen auf, dass sie die Lauteren nicht imitieren sollen, sondern die eigenen Stärken nutzen sollen. Dieser Ansatz ist völlig neu.

Welche Probleme haben introvertierte Menschen im Berufsleben?

Wir haben es in der Berufswelt heute oft mit Projektarbeit zu tun, die häufig nicht messbar oder zu sehen ist. Da zählt das, was jemand über seine Arbeit erzählt, oft mehr als die Arbeit an sich. Stille Menschen leisten oft vorzügliche Arbeit, aber konzentrieren sich auf die Arbeit an sich und nicht auf den Leistungsverkauf. Das Problem ist, dass die Chefs in den meisten Unternehmen reaktiv sind.

Ein gutes Beispiel ist das Gehalt: Der typische Vorgesetzte gibt nicht einfach den fleißigsten Mitarbeitern eine Gehaltserhöhung, sondern wartet, wer zu ihm kommt und am besten verhandelt. Das sind oft die lauteren Menschen.

Was können Introvertierte tun, um daran etwas zu ändern?

Die eigenen Stärken nutzen. Wieder das Beispiel der Gehaltsverhandlung: Introvertierte Menschen sind oft gut darin, eine Leistungsmappe zu erstellen. Mit diesem Dokument können sie in die Verhandlung gehen. Wenn man in dieser angespannten Situation diesen Leitfaden vor sich liegen hat, kann man eindeutig ausführen, welche Vorteile man der Firma gebracht hat.

Durch die Vorbereitung weist man außerdem nach, dass man geschäftlichen Termin generell gut vorbereitet. Und der dritte Vorteil ist der: Wenn der Vorgesetzte wiederum zu seinem Chef geht, um mit ihm die Gehaltserhöhung zu sprechen, hat er das Dokument als Grundlage zur Hand. So spielt ein introvertierter Mensch also seine eigenen Stärken aus: Gute Vorbereitung, Genauigkeit, ein guter schriftlicher Ausdruck. Damit kommt er viel weiter, als würde er versuchen, große Sprüche zu klopfen.

Hat Introvertiertheit nicht manchmal auch etwas mit einem mangelnden Selbstbewusstsein zu tun?

Nein, das kann man nicht so sagen. Es ist vielmehr ein gesundes Temperament. Es gibt eben Extrovertierte und Introvertierte. Wer wissen will, zu welcher Gruppe er gehört, kann das schnell mit der folgenden Frage feststellen: Woher kommt die Energie? Wenn man einem Extrovertierten einen freien Tag anbietet, an dem er sich erholen kann, trifft er sich mit vielen Menschen und geht dann bei Gelegenheit noch abends auf eine Party. Der Introvertierte bezieht hingegen seine Energie, wenn er entweder für sich oder mit wenigen vertrauen Menschen unterwegs ist. Also eher in der Stille, eher in der Natur. Das ist der wesentliche Unterschied.

Der Introvertierte hat ein starkes Innenleben. Sein Gehirn ist ständig aktiv. Wenn dann weitere Reize hinzukommen, kommt es zu einer Überflutung. Das ist der Grund dafür, dass introvertierte Menschen sich in großen Gruppen damit schwer tun, schnell zu reagieren. Sie sind überfordert und laugen aus. Aber das ist gesund und heißt nicht, dass Introvertierte weniger selbstbewusst wären als Extrovertierte.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie Introvertierte es lernen, Anerkennung anzunehmen und was sie tun können, um bei anderen besser in Erinnerung zu bleiben

Introvertierte leiden oft darunter, dass sie in großen Gruppen wenig zu Wort kommen und dadurch nicht in Erinnerung bleiben. Welche Tipps haben Sie dafür?

Das Erste ist, die eigene Denk-Art zu ändern. Introvertierte bekommen seit Kindestagen zu hören: „Komm mehr aus dir heraus, sag doch auch mal was!“ So haben sie immer im Hinterkopf: „Ich bin ein Mängelexemplar. Ich muss anders werden.“ So fühlt man sich klein, ist nicht im Reinen mit sich. Ich würde anbieten, es anders zu sehen: Introvertierte Menschen sind oft fantastische Zuhörer – und viele Menschen tun nichts lieber, als zu reden. Wenn ich also auf andere treffe und geistreiche Fragen stelle, richtig gut zuhöre, wenn ich eine Beziehung mit einzelnen Menschen aufbaue, dann erkennen sie mich garantiert wieder. Wenn ich aber nur die ganze Zeit dort sitze und darüber nachdenke, was ich jetzt schnell Intelligentes sagen kann, fällt mir meistens nichts ein und ich sage nichts. Damit bleibe ich nicht in Erinnerung.

Es sollten also lieber die eigenen Stärken ausgespielt werden. Bleiben Sie nicht an der Oberfläche, sondern fragen lieber etwas, was Sie wirklich interessiert. Nach einem zusammen gehörten Vortrag ist beispielsweise die Frage typisch: „Wie hat es Ihnen gefallen?“ Dahinter verbirgt sich aber eher ein: „Ich sage jetzt einfach nur mal irgendetwas.“ Besser wäre also die Frage: „Was hat Ihnen an diesen Vortrag am besten gefallen und was am wenigsten?“ Dann wird es nämlich wirklich interessant.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Introvertierte sehr feinfühlig sind. Allerdings fällt es ihnen oft schwer, Anerkennung anzunehmen. Wie ändert man das?

Als erstes sollte man sich selbst anerkennen. Wenn ich diesen Stempel, der mir seit Kindheit aufgedrückt worden ist, annehme, nehme ich die Welt nur noch selektiv wahr. Dann überhöre ich alles Positive und nehme nur das Negative wahr. Der erste Weg ist es, sich zu überlegen, welche Vorzüge es für einen hat, dass man ist, wie man ist. Was ist in meinem Leben möglich gewesen, weil ich so bin? Der zweite Schritt ist dann, sich Rückmeldung von anderen Menschen zu holen. Denn die Fremdwahrnehmung ist viel positiver, als Introvertierte es annehmen. So schätzen Extrovertierte es oft, wie Introvertierte in sich ruhen. Das ist ihre Stärke.

Wie kann man es lernen, spontan etwas zu erzählen?

Man kann auch das scheinbar Unvorbereitete vorbereiten, in dem man sich vor einer Situation Gedanken macht und fragt: Was würde ich im Fall des Falles sagen? Es ist aber auch immer eine Frage des Selbstanspruches. Der ist bei Introvertierten oft sehr hoch, sie erwarten, dass immer alles perfekt ist. Diese Schraube des Anspruchs sollte man etwas lockern. Das gilt auch, wenn ich auf einer Party bin. Muss ich wirklich mit hundert Menschen ins Gespräch kommen? Oder reicht es auch, wenn ich ein nettes Gespräch an dem Abend irgendwo am Rande führe? Das hängt immer von der Selbstbewertung ab.

Viele Karriere-Ratgeber empfehlen den Lesern, sich selbst mal in ungeliebte Situationen zu bringen, zu üben, um etwas zu verändern. Raten Sie so etwas auch?

Ein Stück weit ja. Wenn mir jemand beispielsweise erzählt, dass er keine Geschichten erzählen und andere nicht zum Lachen bringen kann, frage ich zurück: „Sind sie ihren Freunden gegenüber auch so ein Langweiler?“ Die meisten verneinen das, ihre Freunde könnten sie zum Lachen bringen. Also besitzen diese Menschen die Fähigkeit, Leute zu unterhalten, wenn der Rahmen stimmt. Was brauchen sie jetzt, um diese Fähigkeit auf eine andere Situation, sagen wir auf eine geschäftliche, zu übertragen? Da gibt es interessante Gedankenspiele. Einer meiner Klienten hat sich beispielsweise vorgestellt, es seien seine Freunde, die beim Meeting am Tisch sitzen. Mit dieser Phantasie ist es ihm dann wirklich gelungen, unterhaltsamer zu sein, ein Stück weiter aus sich heraus zu kommen.

Das ist natürlich eine der Herausforderungen: Dass Introvertierte auch diese extrovertierten Anlagen in sich nutzen. Aber niemals, in dem sie einfach nur die Schwätzer nachmachen. Denn ich finde, wir haben heutzutage viel zu viel Lautstärke und zu wenig Redlichkeit. Introvertierte können dazu ein gesundes Gegengewicht setzen.

Das Gespräch führte Christina Scholten.

Zum Autor: Martin Wehrle ist ein bekannter Karriereberater und ein renommierter Persönlichkeitscoach. Seine Bücher sind in zwölf Sprachen erschienen. „Ich arbeite in einem Irrenhaus“ stand über 150 Wochen in der Spiegel-Best-sellerliste und hat sich mehr als 300.000 Mal verkauft.

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Martin Wehrle: „Der Klügere denkt nach. Von der Kunst, auf die ruhige Art erfolgreich zu sein.“ Mosaik Verlag, 15,00 Euro