„Unerträglich“NLZ-Leiter Berg beklagt problematische Zustände beim 1. FC Köln

Lukas Berg vor dem Teambus des 1. FC Köln.

Lukas Berg, hier am 8. Januar 2022, ist seit einigen Wochen neuer Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des 1. FC Köln.

Lukas Berg ist mit gerade einmal 29 Jahren neuer Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des 1. FC Köln. Im Interview mit EXPRESS.de spricht er unter anderem über seine Ziele und die Angst um die U21.

von Jürgen Kemper  (kem)Martin Zenge  (mze)

Er hat beim 1. FC Köln die Stars von morgen unter seinen Fittichen. Mit gerade einmal 29 Jahren hat Lukas Berg im November die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums übernommen. Ein besonders verantwortungsvoller Posten, da sich der FC als Ausbildungsklub versteht und das NLZ eine äußerst wichtige Rolle in der strategischen Entwicklung des Vereins spielt.

Im Interview mit EXPRESS.de sprach Berg über die enormen Herausforderungen seines neuen Jobs, die Zukunft von Top-Talenten wie Justin Diehl (18) und die unerträglichen Zustände am Geißbockheim.

Lukas Berg: „Enorme Aufgabe, mit riesiger Verantwortung“

Lukas Berg, wie lief die Eingewöhnungsphase als neuer NLZ-Leiter für Sie?

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Lukas Berg: Durch die Zeit beim FC und meine Erfahrungen, die ich vorher im Amateurfußball gesammelt habe, kannte ich den Nachwuchsfußball schon in verschiedensten Ausprägungen. Zu Beginn der Tätigkeit haben wir ein großes Bereichsmeeting gemacht. Als ich dabei in den Raum geschaut habe, ist mir nochmal klar geworden, wie viele Menschen bei uns im Nachwuchs arbeiten. Inklusive der Spieler von der U8 bis zur U21 sind es mehr als 350 Menschen. Das erste große Ziel war, alle kennenzulernen. Erst habe ich mit den Cheftrainern gesprochen, dann mit meinen Teamleitern. Im nächsten Schritt galt es die Leistungsmannschaften kennenzulernen, die Teams von der U16 bis zur U21 und alle Internatsbewohner sowie unsere Mitarbeiter da. Im Zuge des Abgangs von Mark Dommer (Anm. d. Red.: sportlicher Leiter Aufbau- und Grundlagenbereich) haben wir dann auch schon erste Umstrukturierungen in der Aufbauorganisation vorgenommen.

Sie kommen aus dem Lizenzbereich, jetzt sind Sie in der Jugend. Wie beschreiben Sie den Schritt für sich persönlich?Berg: Es ist eine enorme Aufgabe, mit der eine riesige Verantwortung einhergeht. Durch die Strukturänderung, die wir gesamtheitlich vorgenommen haben, sind wir allgemein von den Doppelspitzen in den sportlichen Bereichen weggegangen. Für mich ist das eine große Wertschätzung, dass mir die Geschäftsführung um Christian Keller und der Vorstand diesen Schritt zutrauen. Ich freue mich darüber, gehe diese Aufgabe aber auch mit großem Respekt an.

Man kann also schon von einer Beförderung sprechen?Berg: Es ist auf jeden Fall ein großer Schritt für mich. Als alleiniger Leiter übernehme ich natürlich mehr sportliche Entscheidungskompetenzen als zuvor in der Doppelspitze im Lizenzbereich. Ich verantworte nun den Nachwuchs bei einem Bundesligisten, der sich als Ausbildungsverein sieht – das ist schon eine Auszeichnung.

Lukas Berg: „Habe eine extreme Wertschätzung gefühlt“

Wie entstand denn die Idee für den Schritt ins NLZ? War es Eigeninitiative oder kam der Impuls von Christian Keller?Berg: Die schlussendliche Ausgestaltung entstand im Dialog, aber die Initiative ging von der Geschäftsführung aus. Als Christian Keller mir gesagt hat, dass er möchte, dass ich diese Aufgabe übernehme, war ich überrascht, habe aber auch eine extreme Wertschätzung gefühlt und musste nicht überlegen, ob ich das Angebot annehme. In der neuen Struktur bin ich nun erster Ansprechpartner, wenn es um den Nachwuchs geht. Und derjenige, der den Kopf hinhalten muss, wenn sich Dinge nicht so entwickeln, wie sich der Klub das vorstellt.

Fehlt Ihnen die Zusammenarbeit mit Thomas Kessler schon? Die gemeinsame Zeit war sicherlich für Sie beide speziell.Berg: Wir ziehen uns gerne gegenseitig auf mit: „Gott sei Dank, muss ich den Kerl nicht mehr jeden Tag zehn Stunden sehen.“ Aber Spaß beiseite: Wir haben ein außergewöhnliches Arbeitsverhältnis entwickelt, aufgrund dieser speziellen Herausforderung, die sich zu Beginn der Saison 2021/22 ergeben hat. Wir sind beide ins kalte Wasser geworfen worden und haben uns zusammen mit Jörg Jakobs als sportlich Verantwortlichem sehr schnell freigeschwommen. Dabei hat sich gezeigt, dass wir ähnlich denken und eine ähnliche Vorstellung haben, in welche Richtung wir wollen. Das macht es einfach und bringt Geschwindigkeit rein. Wir sind im ständigen Austausch, weil wir gerade auch mit vielen Nachwuchsspielern Themen haben, die wir zusammen besprechen.

Haben Sie nun als alleiniger Chef auch doppelt so viel Arbeit?Berg: Meinen Kollegen habe ich sehr schnell verdeutlicht, was von mir jeden Tag erwartet werden kann, aber auch was nicht. Dabei versuche ich so wenig wie möglich in operative Themen einzugreifen. Ich will unsere Trainer stärken, weil wir eine enorme Qualität haben. Im Zuge der Organisationsanpassung haben wir im NLZ sportliche Leitungsfunktionen reduziert, mit dem klaren Ziel, diese künftig den Trainern zu übertragen und sie in ihrer Rolle zu stärken, selbst Dinge voranzubringen. Vorher hatten wir zu lange Entscheidungsprozesse. Das muss sich jetzt noch einspielen. Wir müssen alle zusammen eine gute Balance finden zwischen, wann muss ich involviert werden und wann nur noch über das Ergebnis informiert werden.

Wer hat das letzte Wort: Sie oder Christian Keller?Berg: Christians Arbeitsweise würde ich so beschreiben, dass er auch nicht in jeden Schritt involviert werden möchte. Bei übergeordneten Themen wie Spielerverpflichtungen, Personal-Themen und strategischen Ausrichtungen sind wir im wöchentlichen Austausch und treffen Entscheidungen gemeinsam.

Lukas Berg: „Alternativlos, dass wir einen guten Job machen“

Matthias Heidrich und Carsten Schiel waren Ihre Vorgänger. In welchen Zustand haben Sie das NLZ übernommen?Berg: In einem guten Zustand. Im sportlichen Bereich waren wir extrem erfolgreich, haben sehr viele Nachwuchsspieler vorangebracht und auch in den Profibereich integriert. In dem Fachgebiet von Carsten setzen wir auch im pädagogischen Bereich viele gute konzeptionelle Sachen um, die perfekt im Hintergrund wirken. Mit der Strukturänderung wollen wir jetzt noch mehr die gesamtheitliche Entwicklung fokussieren. Wir wollen uns als gesamtes NLZ weiterentwickeln und mit der Wucht, die wir haben, noch mehr erreichen.

Der FC hat sich auf die Fahne geschrieben, ein Ausbildungsklub zu sein. Spüren Sie jetzt als NLZ-Leiter eine besondere Verantwortung?Berg: Ja, ganz klar. Ich denke, es ist nahezu alternativlos, dass wir hier einen guten Job machen. Wir sehen, dass die anderen Klubs 16-Jährige aus dem In- und Ausland für mehrere Millionen Euro verpflichten. Diese Möglichkeit haben wir nicht. Das heißt, wir müssen die Jungs frühzeitig hier bei uns haben oder in einem strategisch guten Alter wie im Fall von Tim Lemperle (FSV Frankfurt) oder Mathias Olesen (Eintracht Trier) von kleineren Vereinen zu uns holen. Wir müssen daher besser scouten und ausbilden als die Konkurrenz.Nehmen Sie hier an der EXPRESS.de-Umfrage teil:

Die U19 kämpft gerade in der A-Jugend-Bundesliga um die Meisterschaft. Wie wichtig wäre der Titel für den Verein?Berg: Ich freue mich, dass wir in der U19 tolle Spiele vor uns haben, die vor allem einen Ausbildungscharakter haben. Es bringt einen Juniorenspieler unglaublich weiter, im Halbfinale des DFB-Pokals zu stehen oder um die Deutsche Meisterschaft mitzuspielen. Wir ordnen diesen Spielen aber nicht alles unter. Es ist unser Kernzweck, sie in den Profibereich zu begleiten und wenn für ihre Entwicklung der Kaderplatz bei den Profis wichtiger ist, dann verzichten wir im Zweifel gerne auf einen Titel. Natürlich müssen wir in der Aktualität aber auch immer abwägen, was für den Spieler gerade das Beste ist.

Steigert so eine Meisterschaft nicht auch die Anziehungskraft für junge Talente?Berg: Titel sind immer gut für das Image. Die Meisterschaft der U17 hat heute noch Strahlkraft. Wir werden uns auch nicht davor verschließen, sportlich erfolgreich zu sein. Ich möchte nur sagen, dass wir immer gucken müssen, was für den individuellen Spieler der beste Entwicklungsschritt ist.

Lukas Berg über Justin Diehl: „Wünsche mir, dass er sich beim FC durchsetzt“

Einer, der in der U19 für Furore sorgt, ist Justin Diehl. Liegt diese Personalie noch in Ihrem Verantwortungsbereich oder ist das ein Lizenz-Thema?Berg: Justin fällt genau in diesen Grenzbereich. Da er gerade bei den Profis dabei ist, liegt die Hauptverantwortung auch im Bereich Lizenz. Da er in der U19 trotzdem weiterhin wichtige Spielpraxis sammelt, ist der Austausch eng. Entscheidend ist, dass alle auf dem gleichen Wissensstand sind und die gleiche Richtung arbeiten.

Wie sieht es bei Verlängerungsgesprächen mit solchen Top-Talenten aus?Berg: Auch da kommt es in der Zugehörigkeit der Spieler zu den jeweiligen Mannschaften an. Gerade bei den Spielern, die oben mittrainieren, sprechen wir sehr intensiv drüber, was für den jeweiligen Spieler in seiner aktuellen Situation der beste Weg ist. In vielen Fällen führen Kess (Thomas Kessler, Anm. d. Red.) und ich die Gespräche mit den Spielern und dem Umfeld der Spieler dann zusammen.

Bei Justin Diehl war die Schule auch ein wenig ein Thema. Wie wägt man da ab zwischen Profi-Fußball und Ausbildung?Berg: Justin befindet sich im letzten Schuljahr und wir wollen, dass er einen Abschluss macht. Die Ausbildung neben der Entwicklung auf dem Platz ist Teil unseres Konzepts und deshalb unterstützen wir ihn in dieser Richtung bestmöglich, versuchen Training und Schule in Einklang zu kriegen.

Haben Sie den Eindruck, dass Justin Diehl den Weg, den er beim FC aufgezeigt bekommt, die nächsten Jahre mitgehen will?Berg: Justin erleben wir alle als vernünftigen Jungen. Er hat gute Voraussetzungen, um bei uns Profi zu werden und hat sich im vergangenen viel erarbeitet und wurde sehr gut darauf vorbereitet, den nächsten Schritt zu machen. Ich würde mir wünschen, dass er den beim FC macht und sich hier durchsetzt.

Infrastrukturellen Zustände des NLZ für Lukas Berg „unerträglich“

Ist so jemand denn zu halten, wenn Vereine wie Borussia Dortmund oder Bayer Leverkusen, die beide Interesse zeigen, locken?Berg: Wir sind überzeugt davon, dass wir ihm beim FC die beste Perspektive aufzeigen, um Profi zu werden und das spürt er auch. Und wir glauben daran, dass er das schafft. Er ist bei Steffen Baumgart und seinem Team in den richtigen Händen.

Haben Sie Angst vor dem Fan-Echo, wenn Sie den Kampf um Diehl verlieren sollten?Berg: Wir haben uns als Klub eindeutig positioniert und in den Gesprächen mit ihm ganz transparent dargelegt, welche Perspektive wir sehen und in welchem Rahmen wir uns bewegen. Ich würde mich für Justin einfach freuen, wenn das funktioniert und sich seine harte Arbeit nach so vielen Jahren beim FC auszahlt.

Ein Dauer-Thema sind die schlechten Bedingungen am Geißbockheim. Wie kann der FC trotz der maroden Räumlichkeiten Top-Talente nach Köln locken?Berg: Wir stellen immer wieder fest, dass wir für viele als optimaler Zwischenschritt wahrgenommen werden. Es geht dabei um Top-Talente aus kleineren NLZs, die nicht in einen großen Campus wie in München, Dortmund oder Leipzig wechseln, sondern den nächsten Schritt machen wollen. Es sind die weichen Faktoren, die uns unglaublich stark machen und uns hervorheben. Wir sind hier alle eng beieinander, es gibt eine engmaschige Betreuung und ein sehr gutes sportpsychologisches und pädagogisches Konzept. Darüber hinaus registrieren die jungen Spieler natürlich auch die hohe Durchlässigkeit zu den Profis. Damit punkten wir bei den Spielern und den Familien.

Wie empfinden Sie persönlich die infrastrukturellen Zustände im NLZ?Berg: Unerträglich. Wir werden deshalb auch kurzfristige bauliche Maßnahmen anschieben. Es geht um Modernisierung und die Beseitigung von hygienischen Missständen – und damit meine ich nicht Sauberkeit, sondern gravierendere Dinge. Ich habe ein großes Problem damit, dass sich junge Erwachsene und Kinder unter meiner Verantwortung in diesen Räumlichkeiten aufhalten.

Lukas Berg: „Essenziell“, dass U21 des FC in der Regionalliga bleibt

Klingt dramatisch.Berg: Ist es auch. Wir müssen einen Standard hinbekommen, bei dem ich auch gut schlafen kann. Den haben wir gerade nicht, aber da arbeiten wir dran. Es geht vor allem um das Modernisieren von Spielstätten, Kabinen und Nassbereichen, aber auch um Büroräumlichkeiten, wo jeder gerne zum Arbeiten hinkommt. Wir haben im Lizenzbereich gesehen, wie positiv sich das auswirkt, wenn der Teppich nicht mehr von 1960 ist.

Dennoch erstaunlich, dass der FC regelmäßig vor Leverkusen, Gladbach oder Dortmund landet.Berg: Das ist ein romantischer Beweis, dass es am Ende nicht immer auf die finanziellen Rahmenbedingungen ankommt. Wir merken, dass die Leistungsfähigkeit eines jungen Sportlers eben oft ganz andere Faktoren eine Rolle spielen. Er muss sich wohlfühlen, gut behandelt fühlen und engmaschig betreut werden. Für mich ist es keine Überraschung, dass wir im Ligavergleich konkurrieren können oder sogar oft eine Nasenspitze vorne sind. Neben den guten Trainern verfügen wir auch über eine gute Scouting-Abteilung, die immer wieder die richtigen Empfehlungen abgibt.

Wie kann man es zukünftig verhindern, dass der FC einen jungen Spieler ausbildet, der dann in Leverkusen zum Profi wird?Berg: Es geht darum, die richtigen Perspektiven aufzeigen. Es gehört auch Mut dazu, in der Potenzial-Prognose zu fragen: „Glauben wir, dass das funktioniert?“ Und, wenn alle Bedenken haben, ist es vollkommen okay, sich gegen einen Spieler zu entscheiden. Wenn wir jedoch von jemandem überzeugt sind, dann können wir das auch offen und mutig sagen und das dann auch mit einer Vertragslänge untermauern. Es wird für uns ein strategisch wichtiger Ansatzpunkt sein, die U21 anders zu denken und ganz klar zu sagen, dass das der wichtigste Entwicklungsschritt auf dem Weg in den Seniorenbereich ist. Denn in der Regel müssen sich neun von zehn Spielern da beweisen. Jan Thielmann war der Letzte, der diese Stufe übersprungen hat. Justin Diehl ist jetzt vielleicht der Nächste. Bei allen anderen kann ich mir vorstellen, dass die U21 mit der wichtigste Entwicklungsschritt auf dem Weg in den Profibereich sein wird.

Dafür ist es aber auch entscheidend, dass die U21 in der Regionalliga bleibt.Berg: Das ist essenziell, ja.

Lukas Berg: „Wir können uns keine Oberliga-Saison erlauben“

Es gab im Winter Diskussionen um Trainer Mark Zimmermann. Warum ist der Verein überzeugt, dass der richtige Weg mit ihm ist?Berg: Wir haben die Winterpause dafür genutzt, auf allen Ebenen die Erwartungshaltung und die Wichtigkeit der U21 in der Regionalliga klarzumachen. Das Trainer-Team bekommt unsere volle Rückendeckung. Wir hatten eher das Gefühl, dass nicht jedem einzelnen in der Mannschaft klar war, welchen wichtigen Auftrag hat. Das haben wir jetzt nochmal deutlich kommuniziert – wir können uns keine Oberliga-Saison erlauben.

Der Vertrag mit Mark Zimmermann läuft im Sommer aus. Besteht nicht das Risiko, dass er zu einer „Lame Duck“ wird?Berg: Dass es diese Perspektive in der Öffentlichkeit gibt, ist nachvollziehbar. Intern sind wir aber fest davon überzeugt, dass wir unsere Ziele in dieser Konstellation erreichen werden.

Aktuell gibt es Ärger um Ihren U19-Spieler Jaka Potocnik. Sein Ex-Klub Ljubljana hat den FC verklagt. Wie ist der Stand?Berg: Wir erwarten zeitnah ein Urteil der Fifa. Dabei haben wir unsere Sichtweise des Sachverhalts hinterlegt. Unabhängig davon sind wir sehr froh, dass er bei uns ist.