Kommentar zum Skandal-PfiffBayern-Drama in Madrid: Um diesen Punkt sollte es in der Diskussion gehen

Schiedsrichter Szymon Marciniak (M) bestätigt den Abseitstreffer von Matthijs de Ligt (l) von München.

Schiedsrichter Szymon Marciniak (Mitte) diskutiert am Mittwoch (8. Mai 2024) mit Matthijs de Ligt (l.) über die Skandal-Szene.

Der Abseits-Pfiff in der Nachspielzeit des Halbfinal-Rückspiels der Bayern in Madrid ist ein Skandal. Die Diskussion sollte sich nun nicht darum drehen, ob der Ball ohne Pfiff im Tor gelandet wäre. Ein Kommentar.

von Tobias Schrader  (tsc)

Dieser Pfiff erhitzt die Gemüter der gesamten Fußball-Welt: Matthijs de Ligt (24) erzielt in der 13. Minute der Nachspielzeit im Halbfinal-Rückspiel der Champions League bei Real Madrid das 2:2, das den FC Bayern in die Verlängerung gerettet hätte.

Oder? Nein! Denn Schiedsrichter Szymon Marciniak (43) pfiff die Szene schon vorher ab, aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition von Noussair Mazraoui (26).

Real - Bayern: Schiedsrichter darf nicht abpfeifen

„Die Spielszene muss zu Ende gespielt werden, das ist die Regel – vor allem, wenn sie so eng am Tor ist, vor allem, wenn es so knapp ist“, echauffierte sich Thomas Tuchel nach der Partie: „Den Fehler macht der Linienrichter und den zweiten Fehler macht der Schiedsrichter.“

Selbst beim Blick auf die ersten TV-Bilder war nicht klar, ob der Marokkaner nun im Abseits stand oder nicht. Nach dem Pfiff von Marciniak hörte die Real-Defensive auf, zu spielen.

Viele Fans – vor allem in den sozialen Medien – sind der Meinung, dass de Ligt den Ball nie hätte verwandelt, wäre kein Pfiff ertönt und wären die Madrid-Verteidiger dadurch in der Szene geblieben.

Aber darum sollte es in dieser Situation nicht gehen. Vielmehr geht es um eine ganz einfache Sache: die Szene laufen lassen. Schon lange wird den Schiedsrichtern, egal ob in der Bundesliga oder international, gepredigt, Abseitssituationen laufen zu lassen, um sie im Nachhinein zu checken.

Referees im Mittelpunkt

Die größten Schiri-Aufreger in der Champions League

Schiedsrichter Szymon Marciniak wird von Matthijs de Ligt belagert. Thomas Müller beschwert sich im Hintergrund.

Schiedsrichter treffen in einem Spiel viele Entscheidungen und nicht immer sind sie richtig. EXPRESS.de zeigt dir Schiedsrichterfehlentscheidungen in Champions-League-Spielen, die in Erinnerung bleiben.

Der FC Bayern beschwert sich bei Schiedsrichter Szymon Marciniak.

Real Madrid - FC Bayern München 2:1 (8. Mai 2024): In der 13. Minute der Nachspielzeit warfen die Bayern beim Stand von 1:2 im Halbfinal-Rückspiel bei Real Madrid noch mal alles nach vorne. Ein langer Ball erreichte den aufgerückten Noussair Mazraoui. Dieser verlor das Kopfduell, doch der Ball prallte von Real-Verteidiger Ferland Mendy zu Thomas Müller, der per Kopf zu Matthijs de Ligt weiterleitete. Der Niederländer erzielte das vermeintliche 2:2. Doch Schiedsrichter Szymon Marciniak hatte vorher in die Aktion hinein abgepfiffen, Mazraoui soll in der Entstehung im Abseits gestanden haben. Ein grober Fehler bei einem der wichtigsten Momente der Saison. Dabei soll doch in Zeiten des Videobeweises jede Szene laufen gelassen werden. Noch dazu lag wohl keine Abseitsposition von Mazraoui vor. So schied der FC mit einem faden Beigeschmack aus der Champions League aus.

Harry Kane diskutiert mit Schiedsrichter Glenn Nyberg im Champions-League-Viertelfinale des FC Bayern gegen den FC Arsenal.

FC Arsenal - FC Bayern München 2:2 (9. April 2024): Beim Stand von 1:2 spielte Arsenal-Torwart David Raya im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals einen Abstoß zu seinem Verteidiger Gabriel im Fünfmeterraum. Der Brasilianer berührte den Ball mit der Hand, legte ihn zurück auf den Rasen und spielte ihn wieder zu Raya. Schiedsrichter Glenn Nyberg pfiff bereits kurz vor der Ausführung des Abstoßes an, hätte regeltechnisch also Elfmeter pfeifen müssen. Der Unparteiische habe gegenüber den Spielern von einem Anfängerfehler gesprochen, den er nicht in einem Viertelfinale der Champions League pfeife, berichtete Bayern-Trainer Thomas Tuchel empört: „Das ist ja eine ganz neue Form der Regelauslegung.“

Michael Ballack ist außer sich und schreit Schiedsrichter Tom Hennig Övrebö an.

FC Chelsea - FC Barcelona 1:1 (6. Mai 2009): An diesem Abend zeigte Schiedsrichter Tom Henning Övrebö eine abenteuerliche Leistung. Chelsea hätte bis zu vier Elfmeter bekommen können, aber der Norweger verlegte ein Foul nach außerhalb des Sechszehners und pfiff dreimal gar nicht. Didier Drogba war nach dem Spiel völlig außer sich und schrie in die TV-Kamera: „Habt ihr das gesehen? Das ist eine verdammte Schande!“ Unvergessen blieb auch, wie Michael Ballack dem Unparteiischen nach einem ausgebliebenen Pfiff in der Nachspielzeit wild gestikulierend hinterherlief. Barcelona zog am Ende aufgrund eines 0:0 im Hinspiel und dank der Auswärtstorregel ins Finale ein.

Klaas-Jan Huntelaar und Eric-Maxim Choupo-Moting feiern zusammen den Sieg vom S04.

FC Schalke 04 - Sporting Lissabon 4:3 (21. Oktober 2014): In der 93. Minute erzielte Eric-Maxim Choupo-Moting im Gruppenspiel das 4:3, allerdings durch einen unberechtigten Handelfmeter. Nach einer Flanke von Dennis Aogo in den Sechszehner köpfte Klaas-Jan Huntelaar den Ball an den Kopf seines Gegenspielers Jonathan Silva an. Schiedsrichter Sergej Karasew wollte das Spiel weiterlaufen lassen, doch der damals noch von der Uefa eingesetzt Torlinienrichter entschied auf Handspiel. Lissabon legte anschließend sogar Protest gegen das Ergebnis ein – erfolglos.

Thiago Silva von PSG zeigt seinen Mitspielern die richtige Position.

FC Barcelona - Paris Saint-Germain 6:1 (8. März 2017): Nach einer 0:4-Niederlage im Hinspiel benötigte der FC Barcelona im Rückspiel ein kleines Wunder, um das Viertelfinale zu erreichen. Der 6:1-Sieg war jedoch nicht frei von Kritik an Schiedsrichter Deniz Aytekin. Es gab Beanstandungen eines vermeintlichen Abseits-Tores, verschiedener Elfmetersituationen und der Länge der Nachspielzeit. Abgesehen von einer Entscheidung erwiesen sich alle Pfiffe des Unparteiischen als richtig. Lediglich das angebliche Foul von Marquinhos an Luis Suárez wurde von Aytekin zu hart als Elfmeter bewertet. In Wiederholungen war klar zu erkennen, dass Suárez das Foul unbedingt wollte. In französischen Medien tobte am Folgetag ein Sturm der Entrüstung.

Vitolo versucht einen Ball abzuwehren, der ihm entgegenkommt.

FC Sevilla - Borussia Mönchengladbach 3:0 (15. September 2015): Zum dritten Mal wurden einer Mannschaft in einem Champions-League-Spiel gleich drei Elfmeter zugesprochen. Der erste jedoch war eine Fehlentscheidung: Vitolo legte sich den Ball an Yann Sommer vorbei, der Torwart berührte ihn allerdings nur minimal. Trotzdem zeigte der Unparteiische im Gruppenspiel auf den Punkt. Lucien Favre schimpfte danach über Vitolo: „Er ist der beste Schauspieler der Welt, Vitolo. Das wusste ich schon seit langem. Er fällt einfach.“ Die anderen beiden Elfmeter waren jedoch unumstritten, verhinderten die ganz große Gladbacher Schiri-Wut auf den Tschechen Pavel Kralovec.

Man sieht die Szene des vermeintlichen 1:0, welches wegen Abseits strittiger Weise aberkannt wird.

RB Leipzig - Real Madrid 0:1 (13. Februar 2024): Ins Achtelfinal-Hinspiel starteten die Leipziger vermeintlich stark. Xaver Schlager spielte den Ball aus dem Rückraum in den Sechszehner, wo Benjamin Sesko einnickte. Obwohl der Torschütze nicht im Abseits stand, hob der Schiedsrichter-Assistent sofort die Fahne. Benjamin Henrichs befand sich jedoch im Abseits und berührte den Keeper auch kurz. Gegenspieler Kroos äußerte sich nach dem Spiel: „Ich denke, dass er am Ende Abseits pfeifft, weil er ihn behindert. Aber der Torwart erreicht niemals den Ball. Es war ein Tor, das hätte man geben müssen.“

Franck Ribery tröstet David Alaba nach dem Champions-League-Aus der Bayern.

Real Madrid - FC Bayern München 4:2 n.V. (18. April 2017): Nach der 1:2-Niederlage im Viertelfinal-Hinspiel waren die Bayern unter Druck. Sie kämpften sich bis in die Verlängerung, spielten ab der 84. Minute jedoch in Unterzahl, da Arturo Vidal nach einer zweifelhaften Geld-Roten-Karte vom Platz flog. Ronaldo erzielte den 2:2-Ausgleich und fünf Minuten später die Führung. Beim ersten Tor stand er jedoch klar, beim Zweiten knapp im Abseits. Karl-Heinz Rummenigge fand deutliche Worte über den ungarischen Referee Viktor Kassai: „Wir sind beschissen worden.“

Die Spieler von Paris und Basaksehir setzen ein Zeichen gegen Rasssismus und knien sich vor dem Spiel hin.

Paris Saint-Germain - Istanbul Basaksehir 5:1 (9. Dezember 2020): Das Gruppenspiel der beiden Teams sollte ursprünglich am 8. Dezember über die Bühne gehen, wurde jedoch nach einer rassistischen Beleidigung des vierten Offiziellen Sebastian Constantin Coltescu nach 23 Minuten abgebrochen. In der 14. Minute wurde Basaksehir-Assistenzcoach Pierre Webo wegen unsportlichen Verhaltens auf die Tribüne geschickt, wobei das N-Wort gefallen sein soll. Coltescu beteuerte, das rumänische Wort für „Schwarzer“ (negru) verwendet zu haben. Die UEFA stufte den Vorfall nicht als Rassismus ein, aber sperrte den rumänischen Schiedsrichter wegen unangemessenem Verhalten für 6 Monate.

Raheem Sterling feiert nach seinem Treffer zum 3:0 gegen Schachtar Donezk.

Manchester City - Schachtar Donezk 6:0 (7. November 2018): In der 23. Minute des Gruppenspiels führte der Favorit aus England bereits 1:0, als Fernandinho mit einem feinen Pass Raheem Sterling bediente, der vor Donezk-Verteidiger Mykola Matwijenko aufs gegnerische Tor zustürmte. Plötzlich fiel der Engländer im Strafraum. Es war deutlich zu sehen, dass der Stürmer mit dem linken Fuß im Rasen hängenblieb. Doch Schiedsrichter Viktor Kassai pfiff in einer eklatanten Fehlentscheidung Strafstoß, den Gabriel Jesus verwandelte. Selbst City-Trainer Pep Guardiola sagte nach dem Spiel: „Wir haben gleich gemerkt, dass es kein Elfmeter war.“

Buffon verlässt nach seiner roten Karte das Spielfeld.

Real Madrid - Juventus Turin 1:3 (11. April 2018): Die Partie steuerte nach furioser Aufholjagd auf die Verlängerung zu, nachdem Real Madrid das Viertelfinal-Hinspiel mit 3:0 gewonnen hatte. Doch in der Nachspielzeit stieg die Dramatik. In der dritten Minute ging Lucas Vazquez nach einem Zweikampf mit Medhi Benatia im Strafraum zu Boden und Schiedsrichter Michael Oliver entschied auf Elfmeter. Die Emotionen kochten hoch und Gianluigi Buffon flog wegen Schiedsrichter-Beleidigung mit Rot vom Feld. Ronaldo verwandelte den Elfmeter und Real Madrid zog ins Halbfinale ein. Im Nachgang des Spiels erhielten der Unparteiische und seine Frau Morddrohungen. Der Brite habe statt eines Herzens eine Mülltonne, schimpfte Buffon später außerdem frustriert.

Anders Frisk hilft Didier Drogba nach seinem Platzverweis auf.

FC Barcelona - FC Chelsea 2:1 (23. Februar 2005): Es war das letzte Spiel, das Anders Frisk pfiff, da er nach dem Achtelfinal-Hinspiel Morddrohungen gegen sich und seine Familie erhalten hatte. Auslöser war der Platzverweis von Didier Drogba in der 56. Minute. In der Folge drehte einen 0:1-Rückstand noch durch Treffer von Maxi Lopez und Samuel Eto'o. Frisk begründete sein Karriere-Aus: „Ich werde nie wieder einen Fußballplatz betreten. Ich habe dem Fußball viel zu verdanken, aber die Sicherheit meiner Familie geht vor.“

Die Dortmunder verstehen die Wiederholung des Elfmeters nicht und beschweren sich beim Schiedsrichter.

FC Chelsea - Borussia Dortmund 2:0 (7. März 2023): Die Dortmunder verloren das Achtelfinal-Rückspiel und schieden somit aus der Champions League aus. Große Diskussionen gab es jedoch rund um einen Elfmeter. Kai Havertz nahm zwei Schritte Anlauf, stoppte ab und begann mit Trippelschritten. Er schoss ihn mit links an den Pfosten. Schiedsrichter Danny Makkelie erkannte ein strafbares Verhalten, da von beiden Mannschaften Spieler in den Strafraum liefen, bevor Havertz schoss. Ein Bild, das sich bei etlichen Elfmetern bietet und selten zurückgepfiffen wird. Im zweiten Versuch versenkte der deutsche Stürmer den Ball im Tor. Emre Can hatte dazu nach dem Spiel eine klare Meinung: „Der Schiedsrichter war schuld. Mir ist das scheißegal, wer vorher reinläuft.“ BVB-Berater Matthias Sammer beklagte bei Amazon Prime Video einen „Skandal“.

Antoine Griezmann schießt einen Elfmeter.

Real Madrid - Atlético Madrid 5:3 i.E. (28. Mai 2016): Im Finale zwischen den beiden Vereinen aus Madrid entstanden beide Tore in der regulären Spielzeit aus Schiedsrichter-Fehlern. Wie Schiedsrichter Mark Clattenburg im Nachhinein erklärte, entstand das 1:0 aus einer leichten Abseitsposition. In der Halbzeit wurde das dem Referee offenbar bereits bewusst. Daraufhin sprach er zu Beginn der zweiten Halbzeit Atlético einen Elfmeter zu, weil Pepe Fernando Torres gefoult haben sollte. Als sich Pepe daraufhin beschwerte, erklärte der Unparteiische ihm: „Euer erstes Tor hätte nicht zählen dürfen.“ Später sprach Clattenburg offen über seine strittige Konzessionsentscheidung im wichtigsten Spiel der Vereinssaison.

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Zwar führte das auch schon oft genug zu Frust bei Fans und Spielern, wenn sehr klare Abseitsstellungen laufen gelassen wurden, aber es gab am Ende immer Klarheit.

Für den Aufreger in Madrid heißt das Folgendes: Pfeift Marciniak nicht und de Ligt verwandelt den Ball, wird die Szene vom VAR gecheckt, auf Abseits oder nicht entschieden, niemand regt sich auf und die jetzt geführte Diskussion kommt nie zustande. Erst recht nicht, wenn de Ligt nicht getroffen hätte.

Dass das alles in einem Halbfinal-Rückspiel in der Champions League beim Gesamtstand von 3:4 aus Bayern-Sicht geschieht, ist umso bitterer für die FCB-Fans. Der Ärger und die Wut durchaus verständlich. So ist die Geschichte der Champions League aber um einen Skandal reicher.