Mit Vivianne Miedema hat sich die nächste Top-Spielerin das Kreuzband gerissen. Die Hintergründe der schweren Verletzung im Frauenfußball.
Frauenfußball-Kolumne„Die Diskussion über die Kreuzbandriss-Krise ist in vollem Gange“
Es war bereits einmal Thema dieser Kolumne, jedoch ist es (leider) noch immer aktuell: die Kreuzbandriss-Krise im Fußball der Frauen.
Seit Freitag steht mit Vivianne Miedema (26) ein weiterer, prominenter Name auf der Liste schwer verletzter Spielerinnen. Wie kann es sein, dass sich die Fälle von Kreuzbandrissen im Jahr 2022 derartig summieren?
Kreuzbandriss-Problematik reicht tief
Miedema ist, wie auch viele andere Spielerinnen, einer hohen Belastung im Fußball ausgesetzt. Deswegen nahm sich die Niederländerin im Oktober eine zweiwöchige Auszeit vom Fußball. Doch jetzt wird man sie für lange Zeit nicht mehr auf dem Rasen sehen. Die Stürmerin wurde Opfer einer Verletzungskrise, die aktuell den Fußball der Frauen erschüttert.
Miedemas Kreuzbandriss fällt in eine Woche, in der die Fifa mit der Klub-WM einen neuen Wettbewerb für den Fußball der Frauen angekündigt hat. Im Herbst 2023 beginnt zuvor die neue Nations League. Änderungen am internationalen Spielplan hat der Weltverband für die nächsten drei Jahre ausgeschlossen. Die Problematik, die hinter den Kreuzbandrissen steckt, reicht jedoch viel tiefer, als die gestiegene Belastung im professionellen Spielbetrieb.
Fehlende Strukturen
Wie so oft sind fehlende Gelder und Investitionen im Fußball der Frauen ein springender Punkt. Zu viele Strukturen sind chronisch unterfinanziert. Es beginnt bereits im Nachwuchsbereich, wo längst nicht jede junge Spielerin professionelle Trainingsstrukturen vorfindet. Nur wenige von ihnen gehen, anders als im Fußball der Männer, den Weg ins Profi-Geschäft über Leistungszentren oder Vereinsakademien.
Das Training vieler weiblicher Nachwuchstalente beschränkt sich daher auf das mit der Mannschaft. Einheiten außerhalb des Fußballs tragen jedoch einen erheblichen Teil zur Verletzungsprävention bei. Man nehme Krafttraining als Beispiel: das Kreuzband wird von Muskelmasse im Knie umgeben. Diese kann es, sofern gut ausgebildet und trainiert, vor Verletzungen schützen. Fehlt dieses Training in jungen Jahren, wird es zu spät oder ohne fachkundige Anleitung durchgeführt, wirkt es einem Kreuzbandriss kaum entgegen.
Fehlende Forschung
Obwohl bekannt ist, dass Frauen die schwere Knieverletzung vier- bis fünfmal häufiger erleiden, wird auch im Profi-Fußball zu wenig unternommen, um dieses hohe Risiko zu minimieren. Das liegt auch an der unzureichenden Forschung zu körperlichen Risikofaktoren. Dabei ist es nachgewiesen, dass vor allem der Zyklus einen erheblichen Einfluss auf die Leistung und Verletzungsanfälligkeit von Athletinnen hat.Nehmen Sie hier an der EXPRESS.de-Umfrage teil:
Trotzdem unterstützen nur wenige Vereine in Deutschland und Europa Spielerinnen beispielsweise beim Tracking ihres Zyklus und mit ihm zusammenhängenden Symptomen. Nach der Auswertung dieser Daten könnten Trainingsintensität, Ernährungs- und Schlafpläne an die jeweiligen Bedürfnisse der Spielerinnen angepasst werden. Vielen Vereinen fehlt jedoch das Geld, um in dafür benötigtes Personal und Technik zu investieren.
Fehlender Fokus
Kreuzbandrisse und schwere Verletzungen werden auch durch Stress abseits des sportlichen Betriebs begünstigt. Viele Spielerinnen in der Frauen-Bundesliga können mit dem Fußball alleine ihren Lebensunterhalt nicht sichern. Stattdessen gehen sie häufig einem zweiten Beruf nach, auch um sich finanziell für die Zeit nach der Sport-Karriere abzusichern. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich auch daraus, dass die Frauen-Bundesliga nicht vollständig professionalisiert ist.
Alina Ruprecht ist freie Autorin bei EXPRESS.de und kümmert sich in ihren Kolumnen um das Thema Frauenfußball. Sie ist Mitglied von FRÜF - Frauen reden über Fußball.
Die Tätigkeiten außerhalb des Fußballs sorgen jedoch für großen Aufwand, Stress und verkürzen die Zeit, die einer Spielerin zur Regeneration zur Verfügung steht. Diese ist jedoch umso wichtiger, da sich eine anstrengende Trainingseinheit nur in wenigen Aspekten von einem Spiel über die vollen 90 Minuten unterscheidet. Wenn sich eine Fußballerin von beidem nicht ausreichend erholen kann und außerhalb des Sports von Alltagsstress umgeben ist, so ergibt sich auch hieraus ein erhöhtes Verletzungsrisiko.
Wie geht es weiter?
Während die Intensität und die Anforderungen an den Fußball der Frauen rasant gesteigert wird, entwickelt sich der Sport in vielen Aspekten nur langsam weiter. Viele Vereine können aufgrund fehlender Strukturen, Gelder und Forschung nicht mithalten, was wiederum die Spielerinnen zu spüren bekommen. Einen zentralen Grund für die hohe Zahl an Verletzen in diesem Jahr gibt es nicht. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, denen auch weiterhin nachgegangen werden muss.
Die Diskussion über die Kreuzbandriss-Krise ist in vollem Gange. Spielerinnen, wie die verletzte Vivianne Miedema, und Sport-Fans verschaffen ihrem Unmut und ihren Sorgen Gehör. Doch diese sind noch nicht bei den Verantwortlichen angekommen. Die notwendigen Gelder fehlen weiterhin. Auch die Versäumnisse in Sachen Investition und Forschung können nicht innerhalb weniger Wochen nachgeholt werden. Das Umdenken hat immerhin begonnen. Doch für viele schwer verletzte Spielerinnen kommt es zu spät. (aru)