Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar wirft ihre Schatten voraus. Für Béla Réthy wird sie das letzte Turnier. Im EXPRESS-Interview blickt er auf eine Karriere voller Höhepunkte und Abenteuer zurück.
Katar ist für Kult-Kommentator das FinaleIrre Geschichten: Béla Réthy plaudert aus dem Nähkästchen
Seine Stimme ist jedem Fußball-Fan ein Begriff, denn seit Jahrzehnten ist Béla Réthy aus der Fußball-Berichterstattung des ZDF nicht wegzudenken. Unvergessen sein „Was ist denn hier los?“, als Deutschland 2014 Gastgeber Brasilien mit 7:1 im Maracana auseinandernahm.
Nach dem Turnier aber ist für ihn Schluss. Im Interview mit Express.de blickt der Kommentator zurück auf eine bunte und ereignisreiche Karriere und er erklärt, warum er guter Dinge ist, dass er zum Abschluss seiner Karriere das WM-Halbfinale mit einer Beteiligung der deutschen Mannschaft präsentieren kann.
Aber am Kuriosesten dürfte die Anekdote sein, wie Rethy vom damaligen KSC-Coach Winfried Schäfer plötzlich zum Teil einer Mannschaftsitzung gemacht wurde. Aber lesen Sie selbst!
Béla Réthy, das letzte Turnier steht für Sie an – wann ist die Entscheidung gefallen: Nach der WM ist für mich Schluss?
Béla Réthy: Ich bin beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen, da gibt es eine vorgegebene Altersgrenze. Auch wenn ich mich viel jünger fühle – auf dem Personalausweis steht ein anderes Datum. Und da war klar, dass es dieses Jahr so weit ist.
Haben Sie sich noch nicht mit Manuel Gräfe zusammengetan, um für ein Ende der Altersgrenze zu kämpfen?
Béla Réthy: (lacht) Nein, dann müsste ich ja das ZDF verklagen und dafür hatte ich eine viel zu schöne Zeit bei einem guten Arbeitgeber in den vergangenen Jahrzehnten. Wir gehen in Frieden auseinander.
Was waren den die tollsten Spiele ihrer Karriere?
Béla Réthy: Da könnte ich das 7:1 gegen Gastgeber Brasilien bei der WM 2014 nennen. Aber das muss ich in Klammern setzen, denn ein Spiel, bei dem es nach 28 Minuten 5:0 steht, das ist handwerklich sehr anstrengend. Eines der größten Spiele war mein erstes Finale bei der Europameisterschaft 1996 in Wembley, als Oliver Bierhoff das Golden Goal schoss. Damals habe ich erst drei Tage vorher erfahren, dass ich am Sonntag das Finale kommentieren durfte. Ebenfalls in Wembley war das deutsche Champions League-Finale 2013 zwischen Bayern München und Borussia Dortmund – auch das ein ganz besonderes Spiel. Ebenso das WM-Finale 2002 in Yokohama, als erstmals Deutschland und Brasilien in einem Pflichtspiel aufeinandertrafen und es am Ende diese tragische Szene mit Oliver Kahn gab.
Und die kuriosesten Momente ihrer Laufbahn?
Béla Réthy: Die ergaben sich aus den verschiedenen Pannen. Wir hatten 2008 beim EM-Viertelfinale in Basel fast eine Viertelstunde Bildausfall beim Spiel Deutschland gegen die Türkei. Wir haben dann das Schweizer Signal angezapft, hatten dabei aber einen Bild-Ton-Versatz. Das heißt, die Flanke war noch in der Luft und ich sagte schon: „Tor Klose“. Da hatte ich in den Tagen danach viele Anfragen von Zuschauern, dass ich ihnen die Lottozahlen vorhersagen möge. Mit Wehmut denke ich an die EM 2012 zurück, als in Donezk noch in einem wunderschönen Stadion Fußball gespielt werden konnte. Dort traf die Ukraine mit Andrij Schewtschenko auf Frankreich, unter anderem mit Franck Ribery. Damals gab es nach vier Minuten ein Gewitter und einen Wolkenbruch, sodass die Partie unterbrochen werden musste. Mein Kollege Martin Schneider und ich kommentierten über 56 Minuten live Regenbilder und Menschen, die Zuflucht suchten – das war eine besondere Herausforderung.
Wie hat sich der Job über die Jahre verändert?
Béla Réthy: Ich war schon dabei, als wir für die Spielberichte noch mit richtigen Filmen gearbeitet, die dann ins Kopierwerk mussten. Als junger Reporter stand ich mal neben der Trainerbank des VfB Stuttgart, Helmut Benthaus war Trainer. Da haben wir ihm mitgeteilt, dass der HSV hinten liegt – er hat sich zu uns gedreht und gesagt: Dann sind wir ja Meister! Solche Momente sind heute undenkbar. Das Produkt „Fußball“ ist durchkommerzialisiert und dadurch auch entemotionalisiert worden. Aber der Fußball selbst ist viel besser geworden.
Noch eine Anekdote auf Lager?
Béla Réthy: Der Sportjournalismus war früher unmittelbarer. Ich habe einmal mit dem Team des Karlsruher SC vor einem Europapokalspiel beim AS Rom im selben Hotel gewohnt. Da hat mich Winfried Schäfer in die Mannschaftsbesprechung mitgenommen und mir dort Szenen des Gegners gezeigt. Dann fragte er mich plötzlich, ob mir etwas auffällt. Ich habe geantwortet: Die schieben alle Richtung Ball und der Linksaußen ist völlig frei. Und Winnie sagte: ‚Genau! Und da steht dann Sergej Kirjakow und so machen wir unsere Tore. Danke, Bela!‘ Solche Momente sind heute undenkbar.
Die WM in Katar ist aber nicht das Abschlussturnier, das man sich als Journalist wünscht?
Béla Réthy: Aber es ist eben auch kein Wunschkonzert. Ich habe so viel gesehen, Weltmeisterschaften in Brasilien, Mexiko, Deutschland. Ich würde lieber mit dem Koffer durch ein spannendes WM-Land reisen, als nur in Doha zu sein. Aber Journalisten müssen dahin gehen, wo die Dinge passieren. Katar ist kein Fußballland, aber meine Aufgabe ist es, wenn der Ball rollt, über Fußball zu sprechen. Außerhalb der Spiele werden wir in unseren Sendungen ganz genau hinschauen, was zudem aus Katar zu berichten ist. Aber es ist auch zu respektieren, dass sich die Spieler auf das Turnier freuen – ein Niclas Füllkrug würde alles dafür geben, um zur WM mitzufahren. Wir Journalisten sind übrigens bei dieser WM alle zusammen in einem Hotel – da können wir nach dem letzten Spiel schon mal meinen Ausstand feiern.
Das ZDF hat die Rechte am Halbfinale – wie groß ist die Chance, zum Abschluss der Karriere die deutsche Mannschaft dort auf dem Weg ins Finale zu kommentieren?
Béla Réthy: Die Aussichten sind gar nicht so schlecht. Wir sollten uns nicht nur von den letzten Eindrücken leiten lassen. Wenn die deutsche Mannschaft das Achtelfinale übersteht, in dem es gegen Belgien oder Kroatien gehen könnte, dürfte das Viertelfinale machbarer sein. Mein Turnierfavorit ist allerdings Brasilien, die sind zur Zeit gut in Form und haben in der WM-Qualifikation ein Torverhältnis von 40:5 erzielt. Die einzige Frage ist nur, ob sie sich mit ihrem Selbstbewusstsein nicht wieder selbst im Weg stehen werden.
Wenn das Mikrofon fällt und alles vorbei ist – was wird dann überwiegen: Wehmut oder Freude auf neues?
Béla Réthy: Das schließt sich beides nicht aus. Es war eine coole Zeit, die ich nicht missen möchte. Andererseits ist der größte Luxus für mich: Terminlosigkeit. Dann kann ich spontan entscheiden, was ich machen möchte. Ich freue mich auf eine Zeit, die ich komplett selbst gestalten kann.