Kreisliga-Wahnsinn in NRWEx-Poldi-Kollege steht bei 31 Saisontoren – als Innenverteidiger

Spielertrainer Sebastian Eul hält bei einem Freundschaftsspiel des SV Siegfried Materborn als Linienrichter eine Fahne in der Hand.

Spielertrainer Sebastian Eul hat beim SV Siegfried Materborn viele Aufgaben. Der eigentliche Innenverteidiger ist in der laufenden Saison der Torjäger vom Dienst, hier gibt er im Testspiel bei TuB Bocholt am 11. Februar 2023 den Linienrichter.

Spielertrainer, Innenverteidiger, Torjäger: Wofür es bei den meisten Kreisligisten drei Männer braucht, hat der SV Siegfried Materborn seine Allzweckwaffe Sebastian Eul.

von Béla Csányi  (bc)

Der Amateurfußball erwacht wieder zum Leben! In Deutschlands Kreisklassen neigt sich die lange Winterpause dem Ende, es geht langsam aber sicher Richtung Rückrunde. Dabei dürfte kaum jemand so heiß auf den Neustart sein wie Sebastian Eul vom SV Siegfried Materborn.

In Gruppe 1 der Kreisliga B Kleve/Geldern kurz vor der niederländischen Grenze hat der 38-Jährige in der zweiten Saisonhälfte eine ganze Menge zu verteidigen. Als Innenverteidiger hauptamtlich das eigene Tor, gleichzeitig aber auch Platz eins der Torschützenliste seiner Staffel. Und als wäre das nicht genug, betreut Eul den souveränen Tabellenführer auch noch höchstselbst als Spielertrainer.

Kreisliga B: Sebastian Eul führt Tabelle und Torjägerliste an

15 Spiele, 15 Siege und sagenhafte 122 Tore stehen für den Spitzenreiter nach dem ersten Durchlauf zu Buche. Angesichts von elf Punkten Vorsprung (und einer um 72 besseren Tordifferenz) auf Platz zwei scheint der Sprung in die Kreisliga A im Klever Dörfchen Materborn nur noch Formsache.

Trotz aller Bestmarken stapelt Eul tief, sagte am Dienstag (22. Februar 2023) im Gespräch mit „Fussball.de“ bescheiden: „Wenn wir in der Rückrunde so weitermachen wie bisher, dürfte uns der Aufstieg nicht zu nehmen sein.“

Früher erst-, heute unterklassig

Ex-Profis in den Niederungen des Amateurfußballs

Joachim Löw wechselt Max Kruse ein.

Nationalspieler, Olympia-Teilnehmer, Kreisliga-Kicker: EXPRESS.de zeigt dir in dieser Galerie ehemalige Bundesliga-Stars, die heute im Amateurfußball unterwegs sind.

Konstantin Rausch schlägt im Spiel des 1. FC Köln einen hohen Ball.

Konstantin Rausch: Beim 1. FC Köln spielte der ehemalige russische Nationalspieler sogar international, so wie hier am 2. November 2017 in der Europa League. Inzwischen kickt Rausch für den SC Vorwerk II in der Kreisliga Celle. Mit einem Viererpack zum Debüt zeigte er dort im September 2022 gleich, dass er mit der linken Klebe nichts verlernt hat. EXPRESS.de zeigt weitere Beispiele in der Bildergalerie.

Paderborns Max Kruse sitzt nach dem Spiel auf einer Bank.

Max Kruse wollte beim SC Paderborn in der Hinrunde der Saison 2023/24 noch einmal angreifen, stattdessen kam es noch vor dem Jahreswechsel zur Vertragsauflösung und zum Karriereende des ehemaligen Nationalspielers. Wenige Monate später kündigte er im April 2024 an, in Zukunft für die zweite Mannschaft vom BSV Al-Dersimspor aus Berlin-Kreuzberg in der Kreisliga A auflaufen zu wollen.

Sebastian Rudy bei einem Training der TSG Hoffenheim auf dem Rasen.

Sebastian Rudy, hier am 4. Juli 2021 noch im Dress der TSG Hoffenheim, konnte es nach seinem frühen Karriere-Aus doch nicht lassen. Ende September 2023 verkündete er seinen Profi-Abschied mit 33 Jahren, keinen Monat später feierte der 29-malige Nationalspieler dann schon sein Kreisliga-Debüt. Für die SpG Dilsberg 1/Bammental 2 läuft er fortan im Kreis Heidelberg auf.

Zafer Yelen dribbelt in der Bundesliga im Zweikampf mit Martín Demichelis.

Zafer Yelen (r.) lief 20 Mal für Hansa Rostock in der Bundesliga auf, darunter auch am 11. August 2007 im Gastspiel beim FC Bayern. Der Standard-Spezialist wechselte 2019 nach Jahren beim FSV Frankfurt und einer starken Saison unter Steffen Baumgart beim Berliner AK in die Kreisliga zum MSV Normannia 08 Berlin. Dort ist er seit 2022/2023 Spielertrainer und Torgarant. In der ersten Saison in Doppelrolle waren es 37 Treffer in 25 Spielen.

Raffael feiert ein Tor für Borussia Mönchengladbach beim 1. FC Köln.

Raffael zählte rund ein Jahrzehnt lang zu den prägenden Bundesliga-Figuren, lief für Hertha BSC, Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach in 290 Spielen auf (82 Tore). Nach dem Gladbach-Abschied 2020 fand er in Deutschland keinen neuen Profi-Klub mehr, seit 2023 spielt der Brasilianer bei Ay-Yildizspor Hückelhofen in der Kreisliga A Heinsberg. Dort gelang schon der Start mit zwei Toren beim 4:1 gegen den BC 09 Oberbruch. (Foto: 14. Januar 2018)

Assani Lukimya bei einem Verbandspokalspiel im Zweikampf.

Assani Lukimya (2.v.l.) schaffte 2012 mit Fortuna Düsseldorf den Bundesliga-Aufstieg, lief anschließend vier Jahre lang für den SV Werder im Oberhaus auf (83 Spiele). Seit 2021 ist er unterklassig unterwegs, zunächst zwei Jahre mit für Innenverteidiger sensationeller Offensiv-Statistik (50 Spiele, 28 Scorerpunkte) beim MSV Düsseldorf. In der laufenden Spielzeit schnürt der Abwehr-Hüne für den 1. FC Monheim in der Landesliga Niederrhein die Schuhe. Das Foto zeigt ihn im Niederrheinpokalspiel gegen Rot-Weiß Oberhausen am 24. Oktober 2023.

Edmond Kapllani klatscht nach einem Spiel des Karlsruher SC in die Hände.

Edmond Kapplani lief den Erwartungen in der Bundesliga hinterher, als Mittelstürmer betrieb er mit drei Törchen in 54 Spielen nicht gerade Eigenwerbung. Der Albaner, der in der 2. Liga mit 73 Treffern bei 213 Auftritten deutlich zielsicherer unterwegs war, lässt seine Karriere aktuell in der Verbandsliga Baden-Baden beim FC Lichtental ausklingen. (Foto: 23. August 2008)

Freiburgs Nils Petersen jubelt nach seinem Tor.

Nils Petersen ging als Joker-König in die Bundesliga-Geschichte ein, traf sage und schreibe 34 Mal nach Einwechslung. Zeitweise brachte er es sogar zum Nationalspieler und galt wegen seiner angenehmen Art als Musterprofi. Nach dem Profi-Abschied 2023 tritt er gelegentlich noch unterklassig gegen den Ball, sein Trauzeuge lotste ihn dafür zum Blankenburger FV in der Landesliga Mitte – Sachsen-Anhalt. (Foto: 19. Mai 2023)

Leverkusens Abwehrspieler Sven Bender und sein Bruder, Leverkusens Abwehrspieler Lars Bender am Spielfeldrand bei ihrem letzten Bundesliga-Auftritt.

Sven (l.) und Lars Bender verabschiedeten sich 2021 von der Bundesliga-Bühne, gaben am 22. Mai ihre Abschiedsvorstellung im Trikot von Bayer Leverkusen. Ganz aufgehört haben die Zwillinge aber nicht: Nach Bundesliga, Champions League und Olympia Seite an Seite spielen sie nun gemeinsam vor den Toren Münchens beim TSV Brannenburg in der Kreisklasse Inn/Salzach.

Christian Träsch im Zweikampf mit Neymar.

Christian Träsch spielte im DFB-Trikot gegen die ganz Großen, stellt hier im August 2011 Gegenspieler Neymar. Seine Profi-Karriere hat der Außenverteidiger 2020 beendet, in der Kreisliga Donau/Isar I läuft er seit 2021 für den FC Gerolfing auf.

Der Ingolstädter Marvin Matip freut sich über einen Sieg in der 2. Bundesliga.

Marvin Matip erlebte beim FC Ingolstadt seine erfolgreichste Zeit als Profi, hier jubelt er (übrigens mit Christian Träsch rechts im Hintergrund) im Dezember 2017 nach einem Zweitliga-Sieg bei Union Berlin. In Ingolstadt spielt der Defensiv-Spezialist zwar noch immer, inzwischen aber bei Kreisligist SV Hundszell. Beim Aufstieg aus der Kreisklasse II zeigte er in der Saison 2021/2022 ungeahnte Offensiv-Qualitäten, erzielte in sieben Spielen vier Tore und legte einen weiteren Treffer auf.

Marco Reich hadert bei einem Spiel des 1. FC Köln.

Marco Reich konnte beim 1. FC Köln die hohen Erwartungen nie erfüllen und war damals erleichtert, dass sich seine Millionen-Ablöse (6 Mio. D-Mark) aus dem Sommer 2001 nach der Euro-Umstellung Anfang 2002 zumindest nummerisch halbiert hatte. Nach nur einem Jahr ging es für nur 250.000 Euro zu Werder Bremen, seit 2013 läuft er unterklassig für die SG Schmittweiler/Callbach auf. In der B-Klasse Bad Kreuznach I ist er noch mit Mitte 40 sowohl auf dem Platz auch als auch abseits in verschiedenen Rollen aktiv.

Braunschweigs Dominick Kumbela (l) und Hamburgs Heiko Westermann kämpfen um den Ball.

Dominick Kumbela stieg erst spät zum Bundesliga-Stürmer auf, überzeugte in seiner einzigen Erstliga-Spielzeit aber mit starken neun Toren in 30 Spielen für Kurzzeit-Gast Eintracht Braunschweig. Zweieinhalb Jahre nach dem Karriereende 2018 packte ihn noch einmal die Fußball-Lust, seitdem geht der Dribbler für den SSV Delrath in der Kreisliga Grevenbroich & Neuss auf Torejagd. Hier läuft er Heiko Westermann am 31. August 2013 im Bundesliga-Gastspiel beim HSV davon.

Martin Hinteregger im Zweikampf mit Ousmane Dembélé.

Martin Hinteregger spielte gerade noch auf allerhöchstem Niveau, wie am 14. April 2022 mit Eintracht Frankfurt im Camp Nou, da beendete er nach dem Gewinn der Europa League mit 29 Jahren seine Karriere. Kurz darauf schnürte der Österreicher zwar schon wieder die Stiefel, allerdings nur noch in der Heimat bei der SGA Sirnitz in der Kärntner Unterliga Ost.

Der Berliner Arne Friedrich (l) kämpft gegen Mamadou Diabang von Arminia Bielefeld um den Ball.

Mamadou Diabang nahm es zu besten Zeiten (hier am 23. Februar 2003) auch mit Nationalverteidigern wie Arne Friedrich auf. Für Bielefeld und Bochum schoss der Senegalese im Oberhaus 17 Tore in 69 Spielen, in der Kreisliga A Herford läuft er seit 2020 auch noch mit über 40 für den SV Löhne-Obernbeck auf.

Herthas Maximilian Nicu freut sich nach seinem Tor zum 1:0 gegen den Karlsruher SC.

Maximilian Nicu lässt es inzwischen nicht nur sportlich ruhiger angehen: Einst Bundesliga-Profi im trubeligen Berlin, lebt der Flügelspieler heute wieder am malerischen Chiemsee und spielt in der Landesliga Südost-Bayern für seinen Jugendklub 1860 Rosenheim. In der Bundesliga sprangen für Nicu bei Hertha BSC (43) und den SC Freiburg (27) insgesamt 70 Einsätze heraus, mit Berlin spielte er außerdem im UEFA-Cup und der Europa League. Hier bejubelt er im Dezember 2008 einen seiner drei Bundesliga-Treffer.

Anthony Annan dreht sich um Gegenspieler Lars Bender herum.

Anthony Annan traf 2010 in der Europa League mit Rosenborg Trondheim auf Bayer Leverkusen und Lars Bender, jetzt lassen beide ihre Laufbahn im Amateurfußball ausklingen. Annan, der in Deutschland 14 Mal für Schalke und dreimal für 1860 München auflief, kickt seit der Saison 2023/2024 in Oberhausen für DJK Arminia Lirich in der Kreisliga A Siegemund. Zuvor führte die Europareise den Ghanaer nach Norwegen, Spanien, Finnland, Israel und in die Niederlande.

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Entscheidend für die Rückkehr in die höchste Kreisklasse werden seine Treffer auch in der zweiten Saisonhälfte. Mit den bisherigen 31 führt er die Torjägerliste souverän vor Teamkollege Dennis Thyssen (25) an. Und obwohl Eul als Innenverteidiger eigentlich für andere Aufgaben zuständig ist, schürt der Torhunger des Spielertrainers keinen Neid im Team.

„Die Jungs wissen, dass ich nicht mehr ganz so viele Jahre als Aktiver habe, da gestehen sie mir meine jetzige Erfolgssträhne gerne zu“, gibt Eul einen Einblick in die lockere Stimmung bei seinen Schützlingen.Nehmen Sie hier an der EXPRESS.de-Umfrage teil:

Die weit über 100 Tore zeigen, dass die Materborner Offensiv-Macht für die Liga-Konkurrenz nicht zu stoppen ist – da steht dann auch mal der Spielertrainer richtig. Eul lachend: „Wenn mich dann einer anschießt, dann ziehe ich das Bein bestimmt nicht weg.“

Sebastian Eul kickte einst mit Lukas Podolski

Ob er sich das Toreschießen einst bei Lukas Podolski (37) abgeguckt hat? Dass es auch der Weltmeister noch immer draufhat, zeigte er erst kürzlich mit dem Tor des Jahres aus 60 Metern für Górnik Zabrze in Polen. Vor rund 20 Jahren kickten „Poldi“ und „Eule“ zu B-Jugend-Zeiten im 1985er-Jahrgangs unter dem Dach des Westdeutschen Fußballverbands in den Auswahlen von Mittelrhein und Niederrhein. Auch Ex-Nationalspieler Marcell Jansen (37) gehörte damals zum Aufgebot.

Auch im hohen Alter ist das Trio noch nicht satt. HSV-Präsident Jansen spielt nebenbei für die dritte Mannschaft in der Oberliga, Podolski hält sich eine weitere Spielzeit in seinem Geburtsland offen und Eul würde die Kreisliga A gerne mitnehmen.

„Mindestens eine weitere Saison traue ich mir noch zu, denn ich fühle mich nach wie vor sehr fit und lebe für den Fußball“, berichtet er. Die aktuelle Sahne-Saison als möglicher Aufstiegs-Trainer und Torschützenkönig soll für den Innenverteidiger daher noch nicht der Schlusspunkt auf dem Rasen sein. (bc)