Noch vor dem ersten Spiel nötigt die FIFA die Verbände, die „One-Love“-Binde nicht zu tragen. Besser hätte man die Ohnmacht der Europäer nicht unter Beweis stellen können, findet unser Autor in seinem Kommentar.
Kommentar zum „One-Love“-SkandalHerbe Niederlage: DFB beugt sich Infantinos Erpressung
FIFA-Boss Gianni Infantino (52) hat sich vorgenommen, den Protest am Gastgeberland Katar schon im Keim zu ersticken – und schreckt dabei auch vor Erpressung ganz offensichtlich nicht zurück.
Was mit dem Verbot der dänischen Menschenrechtstrikots begann, fand nun im Rückzieher der sieben Verbände, doch nicht die „One-Love“-Binde zu tragen, ihren unrühmlichen Höhepunkt.
FIFA-Boss Gianni Infantino will keinen Unmut bei WM-Gastgeber Katar
War das kurzfristig verhängte Bierverbot in den Stadien noch eher folkloristischer Natur, stellt das Vorgehen beim Binden-Thema schlicht einen Skandal dar. Die WM ist nicht einmal 24 Stunden nach ihrer Eröffnung nur noch ein Scherbenhaufen.
Die „One-Love“-Binde war ohnehin schon ein lächerlicher Kniefall vor dem internationalen Fußball-Verband, der eine Regenbogenbinde nicht genehmigen wollte. Den Antrag, mit der „One-Love“-Binde zu spielen, ließ die FIFA unbeantwortet, nur um vor dem ersten Spiel deutlich zu machen: Wer nicht nach unseren Regeln spielt, wird verwarnt – oder spielt möglicherweise gar nicht.
Die FIFA lässt also einmal kurz die Muskeln spielen und die Verbände ziehen kleinlaut den Schwanz ein. Wochenlang redeten sie über Haltung, Werte und Protest, aber als es darauf ankam, können sie „nicht verantworten, dass ihre Spieler verwarnt oder gar gesperrt werden“.
Die Botschaft dieser Kraftprobe ist klar: Was die richtigen Werte sind, welche Botschaften gesendet werden, das bestimmen FIFA-Chef Infantino und sein kleiner Machtzirkel immer noch alleine. Und auf die großen Fußball-Nationen aus Europa ist der Schweizer nicht angewiesen. Die sind zwar gut genug, die Show mit ihren Top-Ligen, den finanzstarken Fernsehsendern und den vielen zahlungskräftigen Fans am Laufen zu halten, doch die Regeln machen längst andere.
Europäische Verbände ziehen vor FIFA den Schwanz ein
Wer sich noch Illusionen machte, dass die FIFA in irgendeinem Punkt bei diesem Turnier klein beigeben würde, der muss sich getäuscht sehen. Wie ein Sonnenkönig regiert Infantino das Fußball-Reich, seine Macht stützt er auf die vielen afrikanischen, asiatischen oder karibischen Stimmen: Barbados hat bei einer Abstimmung oder Wahl das gleiche Gewicht wie England, Trinidad und Tobago den gleichen Einfluss wie Deutschland.
Was die europäischen Staaten über Werte und Normen denken, über die Gleichberechtigung von Frauen oder die Rechte Homosexueller, das ist der FIFA und Infantino herzlich egal. Er braucht die Europäer nicht. Und er weiß: Im Zweifel geben die auch klein bei.
Denn bei aller Kritik an der Haltung der FIFA muss man auch die Verbände hinterfragen. Sie hatten nicht mal den Mut, es darauf ankommen zu lassen, zu sehen, ob der Verband sich wirklich traut, es auf offener Bühne zum Eklat kommen zu lassen. Stattdessen knicken sie ein.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf hat nun auch ein Imageproblem
Auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf (61) ist damit als Tiger gesprungen und als Infantinos Bettvorleger gelandet. Noch am Sonntag hatte er Stärke vorgegaukelt, um nun so erbärmlich einzuknicken. Diese Gelben Karten wären wichtig gewesen.
So hat auch er spätestens jetzt ein massives Problem, nachdem es schon etwas lächerlich angemutet hatte, dass der DFB einen Tag, nachdem die Bewerbungsfrist für eine Infantino-Alternative auf dem FIFA-Chefposten abgelaufen war, ankündigte, den Schweizer nicht mehr zu unterstützen. Glaubwürdig sind seine markigen Ankündigungen nun nicht mehr. Aber was ist in diesem Fußball-System noch glaubwürdig?