Er ist zurück im Ring. Doch seit wenigen Monaten unter neuen Vorzeichen: Ex-Box-Weltmeister Felix Sturm (42) setzt auf seinen besten Freund als neuen Trainer...
Im Doppel-InterviewFelix Sturm: Das läuft falsch im deutschen Boxen
Köln. Der heißt Maurice Weber (40), war selbst erfahrener Profi und ist Sturms bester Freund aus gemeinsamen Kindheitstagen in Leverkusen.
Nach seinen jüngsten Siegen nach dem Comeback infolge der Haftentlassung (im Dezember gegen Timo Rost, zuletzt Mitte Juni gegen James Craft) hat der frühere fünfmalige Weltmeister im Mittelgewicht weitere Pläne für eine sportliche Zukunft.
Im EXPRESS-Interview sprechen die beiden Freunde über ihre Beziehung, die Fehler und die Zukunft des deutschen Boxsports.
Herr Weber, Herr Sturm, trennen Sie die Trainer-Boxer-Beziehung komplett von Ihrer Freundschaft? Geht das überhaupt?
Felix Sturm: Mo ist mein Trainer, weil er professionell und akribisch arbeitet und es schafft, mich noch zu verbessern. Dazu gehört es auch Dinge zu verlernen, die meinem Boxstil zuwider sind.
Dass wir dazu noch beste Freunde sind, wobei Freundschaft das falsche Wort ist, es ist bei weitem mehr als eine Freundschaft, führt dazu, dass wir in einer Offenheit miteinander trainieren, die sonst nicht möglich wäre. Diese Offenheit führt dazu, dass auch mal Kritik geäußert wird und diese einer falschen Höflichkeit wegen nicht im Verborgenen bleibt.
Denn konstruktive Kritik ist Teil eines jeden Entwicklungsprozesses.
Zudem kennt mich Mo besser also sonst jemand und ich glaube dies ist nützlich in der Belastungssteuerung. Zudem hält er Dinge fern von mir, die meine Vorbereitung belasten könnten.
Maurice Weber: Felix ist ein Kunstwerk
Maurice Weber: Ich möchte dies gar nicht voneinander trennen, denn ich bin kein Trainer der „alten Schule“, dem Distanz und Dominanz wichtig sind. Vielmehr sehe ich den Trainer als einen Partner, der als nahbare und offen Person empfunden werden sollte.
Die notwendige harte Arbeit wird maßgeblich von den Zielen, die gemeinsam verfolgt werden, bestimmt, was automatisch dazu führt, dass jedes Training ernsthaft und konsequent angegangen wird.
Dieser Ehrgeiz und Siegeswille sind mit Sicherheit einige der Charakterzüge, die den Mörtel unserer fast 30-jährigen Freundschaft symbolisieren.
Was können Sie aus Trainersicht an Felix Sturm als Boxer noch verbessern oder verändern?
Weber: Felix ist als Boxer wie ein Kunstwerk, er ist perfekt wie er ist. Meine Arbeit mit ihm betrachte ich daher als Restauration, was in seinem Alter vielleicht zweideutig klingen mag.
Ich bessere dort nach, wo was verstaubt ist, wo was zu bröckeln beginnt. Jedes Material altert über die Zeit und wird porös, weich oder verhärtet.
Das passiert auch mit unserem Geist und Körper, wenn wir nicht gegensteuern. Diese Flexibilität im „Material“ Felix Sturm gilt es zu bewahren, ist unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe sage ich deswegen, weil Felix bereit sein muss zu marschieren, wenn ich die Richtung vorgebe. Damit wir dort ankommen, wohin wir wollen.
Gibt es Dankbarkeit im Boxsport?
Weber: „Undank ist der Welten Lohn“... Spaß beiseite, unabhängig vom Boxsport setzt Dankbarkeit voraus etwas zu tun, wofür jemand anderer dankbar ist. Es zu tun, um Dankbarkeit zu erhalten, finde ich, ist der falsche Ansatz. Ich muss das tun, wofür ich mich berufen fühle, denn im Endeffekt muss ich mir selber dankbar sein dafür, mir selber treu geblieben zu sein. Und wenn dies für ein Danke reicht, nehme ich dies gerne entgegen.
Nach allem, was Sie erlebt haben: Was sind für Fehler im deutschen Boxen gemacht worden und was kann dem Sport Ihrer Meinung nach wieder mehr Interesse in Deutschland bringen?
Sturm: Sport lebt grundsätzlich von der Begeisterung davon, was Menschen imstande sind zu leisten und von der Vergleichbarkeit dieser Leistung.
Mit der Inflation an Titeln, Verbänden und Gewichtsklassen, mit den zahlreichen Fehlurteilen und dem, dass nicht die besten Kämpfer gegeneinander antraten, wurde die Vergleichbarkeit von Leistung untergraben und somit ist die Begeisterungsfähigkeit für den Boxsport abhandengekommen.
Beim Versuch sein Stück vom Kuchen zu schützen, indem all dies zum Teil des deutschen und internationalen Boxsports wurde, wurde der Wert vom Ganzen immer geringer und führte unweigerlich zu dem, was vermieden werden sollte.
Anhand von Ranglisten muss klar sein wer im Augenblick der Beste in seiner Gewichtsklasse ist und die Besten müssen gegeneinander antreten, damit sich die Fans dafür interessieren.
Was fordern Sie?
Sturm: Es muss faire und nachvollziehbare Urteile geben, wobei die Leistung im Ring alleine zählt. Als Zuschauer muss ich verstehen können warum welches Ergebnis zustande kommt.
Im Fußball ist es einfach, da zählt die Anzahl an Toren und die Anzahl an Punkten in der Tabelle. Im Boxen gibt es diesbezüglich kaum Transparenz und die brauchen wir.
Weber: Neben den strukturellen Schwächen im Boxsport kamen Versäumnisse in der Nachwuchsförderung hinzu.
Es ist verdammt schwierig als junges Talent den Sprung zu den Profis zu schaffen oder sich im Amateur-Boxsport dauerhaft zu etablieren. Mit 16 Jahren beginnt für viele der berufliche Alltag einhergehend mit einer Ausbildung und der Schule. Spätestens mit 19 muss man in der Lage sein mit seinem Hobby Geld zu verdienen.
Um die Talente nicht zu verlieren und weiter zu entwickeln, muss es mehr Förderung geben. In den Jubeljahren des deutschen Profiboxens wurde dies versäumt. Anstatt deutsche Boxer zu unterstützen, kaufte man zahlreiche Kämpfer über den Globus verteilt ein. Hierbei wurde jedoch nicht berücksichtigt, dass das deutsche Boxsportpublikum sich mit einem eingekauften Söldner nicht identifizieren kann.
Gleichzeitig verpasste man eine Internationalisierung, die Promoter fokussierten sich fast alleine auf den deutschen Markt, was mit den internationalen Stars nicht funktionierte. Das beste Beispiel ist Gennady Golovkin, der in Deutschland ausschließlich auf der Undercard als Füllstoff diente, dann zu den Klitschkos ging und zum international gefeierten Star avancierte.
Felix Sturm: Es werden deutsche Boxer in Las Vegas überraschen
Sehen Sie in Deutschland ein Talent, das eines Tages auch eine große Karriere hinlegen könnte?
Weber: Genau das ist unser Ziel, als Talentschmiede den jungen deutschen Nachwuchs zu großen Champions zu formen.
Es gibt nämlich viele Talente im Boxsport. Wir sind eng mit der Basis, dem Amateur-Boxsport, verbunden und sehen, was da heranreift. Die Frage ist, wie man diese Talente langfristig binden und entwickeln kann, denn dies ist, wie vorhin gesagt, vor allem eine finanzielle Frage.
Sturm: Mir persönlich ist die Nachwuchsförderung in Deutschland eine Herzensangelegenheit. Den Boxsport üben vor allem benachteiligte Jugendliche aus, die aus schlechten Verhältnissen kommen und diesen entkommen möchten. Daher liegt mir viel dran, dies zu ermöglichen, zumal ich das Glück hatte, viel erreicht zu haben.
Ich engagiere mich immer mehr in diesem Bereich und sehe es als Aufgabe meines gesamten Teams, Träume wahr werden zu lassen. In einigen Jahren werden wieder junge deutsche Boxer für eine Überraschung in Las Vegas sorgen.
Werden Ihre Kinder eines Tages auch Boxen oder verbieten Sie es ihnen?
Sturm: Meine beiden Kinder sind sehr selbstbewusst und wissen bereits jetzt, was sie tun wollen. Wenn es eines Tages heißt, dass sie das Boxen erlernen wollen, verweigere ich es ihnen genauso wenig wie die Hobbies, die sie im Augenblick ausüben. Selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen gehört zur Persönlichkeitsentwicklung.
Mir ist es wichtig, dass meine Kinder Persönlichkeiten werden, die das Leben in allen Situationen meistern, mit oder ohne Handschuhe.
Weber: Als Vater von zwei kleinen Töchtern ist es schwer vorstellbar, dass meine beiden Engel Boxhandschuhe anhaben. Grundsätzlich halte ich den Boxsport für einen Sport, den jedes Kind ausüben sollte, weil es sich positiv auf Koordination, Kondition, Kraft, Konzentrationsfähigkeit und die Wahrnehmung auswirkt.
Ich kann mir daher schon vorstellen, dass ich die beiden zum Training mitnehme, um von diesen positiven Einflüssen zu profitieren. Den Vollkontakt allerdings schließe ich aus, das sorgt nur für platte Nasen.
Was ist Ihre Meinung zum neuen Kinofilm Srebrenica? Sie haben an die Historie im Ring stets erinnert.
Sturm: Ich habe den Film bisher nicht gesehen, finde es grundsätzlich aber richtig und gut, an dieses menschliche Gräuel zu erinnern. Mitten in Europa wurde ein Völkermord praktiziert, unter den Augen der UN und der Weltöffentlichkeit.
Ich wünsche den Familien und Angehörigen die Kraft mit dieser Unmenschlichkeit, der Hilflosigkeit und dem Schmerz, der ihr tägliches Leben bestimmt, umgehen zu können.
Und ich glaube, dass die öffentliche Aufbereitung, das Hinsehen und die Anklage dabei helfen können. Wir Bosnier sind ein kleines Volk, dass durch den Zusammenhalt eine Stärke entwickelte, die ihm das Überleben über viele Jahrhunderte inmitten von Krieg und Gewalt sicherte.
Und wir werden immer zusammenstehen, gemeinsam trauern, gemeinsam gedenken und gemeinsam nach vorne gehen, mit Gottes Willen.