Ist das moralisch vertretbar? Das IOC um den deutschen Präsidenten Thomas Bach überlegt, ob russische Athletinnen und Athleten 2024 bei den Spielen in Paris teilnehmen können. Die Ukraine ist entsetzt.
IOC will Russland-Stars bei OlympiaSelenskyj fassungslos: Ukrainer lädt Bach an grausamen Ort ein
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (45) hat die Überlegungen von IOC-Präsident Thomas Bach (69, Würzburg), Sportler aus Russland und Belarus wieder in den Weltsport zu integrieren, scharf kritisiert.
Selenskyj machte dem ehemaligen Fechter Bach nun einen drastischen und gleichzeitig traurigen Vorschlag. Es sind Worte, die seine Verzweiflung und auch seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen. „Ich lade Herrn Bach nach Bachmut ein, dort kann er sich selbst davon überzeugen, dass Neutralität nicht existiert“, wird Selenskyj von der französischen Nachrichtenagentur AFP zitiert: „Es ist offensichtlich, dass jedes neutrale Banner russischer Athleten mit Blut befleckt ist.“
Olympia: Thomas Bach will russische Athletinnen und Athleten nicht ausschließen
Die Frontlinie von Bachmut, 70 Kilometer nördlich von Donezk gelegen, ist aktuell das am härtesten umkämpfte Gebiet in der Ukraine. Augenzeugen berichten von mehreren hundert Opfern täglich. Neben Soldaten sterben auch Zivilisten. Der Sprecher der ukrainischen Heeresgruppe Ost, Serhij Tscherewatyj (46), sprach von einem „Fließband des Todes“.
Dass Bach diese Einladung von Selenskyi annimmt, um sich tatsächlich vor Ort ein Bild des grausamen Geschehens zu machen, ist wohl ausgeschlossen.
Bach hatte zuvor in einer Medienrunde am Rande der Rodel-WM in Oberhof die Haltung des IOC bekräftigt, einer Rückkehr dieser Sportlerinnen und Sportler in den Weltsport offen gegenüberzustehen. Es entspreche „nicht den Werten und der Mission der Olympischen Charta, Athleten aufgrund ihres Passes auszuschließen“, sagte Bach.
„Möglicherweise“ könnten Athletinnen mit russischem und belarussischem Pass als „neutrale, unabhängige Athleten“ auch bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris starten.
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Auf ukrainischer Seite wertet man diese Aussagen als moralischen Tiefschlag. Es sei unmöglich, „von der Haltung des IOC-Präsidenten nicht enttäuscht zu sein“, entgegnete Selenskyj. Er habe „mehr als einmal“ mit Bach gesprochen und nie erkennen können, „wie er den Sport vor Kriegspropaganda schützen will, wenn er russische Athleten zu internationalen Wettkämpfen zulässt“.
Bach vertrat auch am Freitag (27. Januar 2023) in Oberhof den Standpunkt, die Mission des IOC sei es, „alle Athleten aus der ganzen Welt zusammenzubringen, das ist ja das besondere Zeichen von Olympia“. Ein dadurch drohender Boykott der Ukraine, den Sportminister Wadym Hutzajt bei Facebook umrissen hatte, sei in diesem Fall „nicht in Einklang mit unserer Mission. Wir kennen die Auffassung der Ukraine, die Russland nicht nur als Staat isolieren will, sondern die totale Isolierung aller Russen verfolgt“, so der 69-Jährige.
Bach betonte mehrfach die „dreiteiligen Prinzipien“ im Umgang mit dem Thema Ukraine. Die Sanktionen gegen Russland (keine Identifikation, keine internationalen Wettbewerbe auf russischem Boden, keine Einladung für Regierungsvertreter) sollen aufrechterhalten werden, die Solidarität mit ukrainischen Sportlern bleibt – aber der individuelle Athlet dürfe nicht durch Ausschluss „diskriminiert werden, auch wenn sich Länder im Konflikt befinden“. Insgesamt befinde man sich aber noch „in der Konsultation“, so Bach. (sid, ubo)