Seine Karriere war aufgrund heftiger Rückenschmerzen fast schon beendet. Doch Timo Boll kämpfte sich zurück in die Weltspitze und wurde im Juni 2021 Europameister. In Tokio startet er bei seinen sechsten Olympischen Spielen.
Olympia 2021 Setzt Timo Boll den letzten perfekten Pinselstrich auf sein Karriere-Kunstwerk?
Tokio. Zu den Olympischen Spielen, die am Freitag (23. Juli) in Tokio gestartet sind, gehören Fans normalerweise wie die Farbe zur Leinwand. Die Sommerspiele, die aufgrund der Corona-Pandemie ohnehin einen schweren Stand haben, finden ganz ohne Zuschauer statt.
Die Sportler dürfen das Olympische Dorf nur zu ihren Wettkämpfen verlassen. Das dürfte einem deutschen Athleten vielleicht sogar ein wenig entgegenkommen.
Timo Boll (40) kennt das Geschehen rund um eine Olympiade von seinen bisher fünf Teilnahmen nicht nur ganz genau, er kann in einigen asiatischen Ländern zu denen auch Japan gehört, kaum vor die Tür gehen, ohne von einer Menschentraube umzingelt zu sein. Denn die Tischtennis-Legende ist vor allem in China aber auch ungleich weniger in Japan ein Superstar.
Timo Boll fehlt die olympische Einzelmedaille
In China geht Boll zum Teil sogar verkleidet auf die Straße, um dem Rummel zu entgehen. Auch mit Journalisten spricht das Tischtennis-Ass nicht gerne.
„Für jemanden, der so introvertiert ist, wie ich es bin, und nicht gerne über sich erzählt, waren die ersten Tage nach der EM ein kleiner Horror. Nur noch Interviews, Radio, Fernsehen, Zeitungen. Alle Telefone haben gleichzeitig geklingelt“, erzählte Boll dem Sportjournalisten Friedhard Teuffel einst über eine Reise nach China. Teuffel beschreibt Boll so: „Sein Temperament zu beschreiben ist schwierig, er scheint keines zu haben, nur das Tischtennis scheint es aus ihm herauszuholen.“
Der erfolgreichste Tischtennisspieler Europas scheint alles erreicht zu haben. Acht EM-Titel, zweimal World-Cup-Sieger, Erster der Weltrangliste. Doch ihm fehlt eine olympische Einzel-Medaille. Diese will er sich in Tokio, mit 40 Jahren, endlich holen. Denn seine sechsten Spiele werden „wahrscheinlich meine letzten sein“, wie Boll sagt. Und das, obwohl seine Karriere im vergangenen Jahr beinahe ein abruptes Ende gefunden hätte.
Timo Boll dachte: „Vielleicht hat es keinen Sinn mehr“
Schon 2020 war ein turbulentes Jahr für den Altstar. Aufgrund einer Verletzung an einem Rückenwirbel zwang ihn zu einer monatelangen Turnierpause. Vor gut einem Monat holte er dann seinen achten EM-Titel im Einzel.
Nach dem Sieg gegen seinen Kumpel und Teamkollegen Dimitrij Ovtcharov (32) gab er einen Einblick in seine Gefühlswelt: „Ich hänge sehr an dem Sport. Aber da habe ich zum ersten Mal wirklich gedacht: Vielleicht hat es keinen Sinn mehr. Vielleicht ist jetzt der Punkt gekommen.“
Zwischenzeitlich habe der Fahnenträger der deutschen Olympia-Mannschaft 2016 fast schon die Hoffnung verloren, „weil es so lange gedauert hat und die Schmerzen im Alltag so massiv waren. Die Gedanken an ein Karriereende kamen dadurch immer näher.“
Doch Boll biss sich trotz großem Trainingsrückstand zurück. In Tokio will er nun seine wiedergewonnene Stärke beweisen.
Timo Boll hofft bei Olympia auf Krönung seiner Tischtennis-Karriere
Doch was macht den in Erbach im Odenwald geborenen Tischtennis-Profi seit 20 Jahren so stark, dass er sich konstant in der Weltspitze hält? Metaphorisch beschrieb der ehemalige Pressesprecher des Deutschen Tischtennis Bundes (DTTB) Manfred Schillings dem Magazin „brand eins“ das wohl am besten.
„Bei den meisten bleibt alles Handwerk. Timo ist ein Künstler, der den genialen Pinselstrich setzen kann.“ Bei seinen vermutlich letzten Olympischen Spielen kann Timo Boll nun seiner phänomenalen Karriere den allerletzten Feinschliff verpassen.