An Kölner Party-Hotspots ging es in den vergangenen Monaten hoch her. Am Aachener Weiher setzt die Kölner Polizei nun sogar Reiterstaffeln ein, um die Lage in den Griff zu bekommen. Ein Kölner Streetworker fordert nun weitreichende Veränderungen.
Party-Hotspots in Köln eskalierenAachener Weiher und Co.: Experte hält Vorgehen für großen Fehler
Köln. Er spricht die Sprache der Jugend, er kennt die Sorgen, Nöte und Ängste der jungen Menschen in allen sozialen Räumen. Streetworker Franco Clemens weiß daher, warum die Party-Hotspots in Köln in letzter Zeit eskalieren. Flaschenwürfe auf Polizisten, Drohungen gegen Sanitäter – im EXPRESS erklärt Clemens, woran das liegt.
EXPRESS: Herr Clemens, ist die Bereitschaft zur Gewalt auf der Straße gestiegen? Franco Clemens: Ja, absolut. Seit vielen Jahren erleben wir eine schrittweise Verrohung und einen Respektverlust gegenüber der herrschenden Erwachsenengesellschaft einiger Jugendkulturen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren. Dazu gehört auch eine massive Gewaltbereitschaft unter Einsatz von Messern.
Was sind die Gründe für diesen Respektverlust? Die Gründe dafür sind als Einflüsse vielschichtig, dabei strahlen falsche Leitbilder aus der Subkultur, ein uneingeschränkter Zugang zum Internet ohne Jugendfilter, Drogen, gewaltverherrlichende Ego-Shooter, Bildungsarmut und prekäre Lebensverhältnisse und eine Gettoisierung als soziale Brennpunkte mit hinein.
Warum bewerfen junge Menschen Polizisten mit Flaschen am Aachener Weiher, die für ihre Sicherheit da sind? Seit Corona erleben wir, dass sich auch eine bürgerliche Jugend und junge Erwachsene zunehmend ein Ventil für ihre ganzen Frustrationen suchen. Eine Frustration, die mit den Kontaktverboten, Ausgangssperren, geschlossenen oder reglementierten Freizeitangeboten wie Fitnessclubs, Sportvereine aber auch Diskotheken und Konzerten einhergeht. Es sind einzelne Rädelsführer, die dann die Stimmung zum Kippen bringen.
Aber was hat das damit zu tun? Die Repräsentanten des Staates wie Polizisten, Ordnungsamt oder Sanitäter gelten als „greifbare“ Projektionsfläche und Ablassventil. Der große Fehler, der von Anfang an schon mit dem ersten Lockdown und Kontaktbegrenzungen gemacht wurde, war, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen dabei mit ihren Bedürfnissen nicht mit auf dem Schirm zu haben.
Welche Bedürfnisse sind das? Aus entwicklungspsychologischer Sicht von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist Corona nur eine Bedrohung ihrer Freiheit, sich entwickelndem Sexual- und Werbeverhaltens, Bewegungsdrangs und Wunsch nach Gemeinsamkeit und Freizeitaktivität außerhalb von Schule, Ausbildung und Arbeit.
Wie kann man diese Jugend wieder mitnehmen? Wir müssen jugendgerecht als Kampagnen in die Kommunikation einsteigen, Freiräume schaffen, gewaltverstärkende Einflüsse, prekäre Lebensumstände und Bildungsarmut bekämpfen. Freiräume dürfen nicht gleich überpädagogisiert oder einer zu hohen Sozialkontrolle durch die Polizei unterworfen werden. Auch der verstärkte Einsatz von Streetworkern wäre erforderlich, wenn auch kein Allheilmittel.