Er verbrannte Adolf HitlerDer letzte Adjutant: Vom Führerbunker nach Köln-Nippes

von Ayhan Demirci  (ade)

Otto Günsche (1917-2003) war SS-Sturmbannführer

SS-Sturmbannführer Otto Günsche 1934/35

Köln – 75 Jahre nach den dramatischen Ereignissen im Bunker der Neuen Reichskanzlei in Berlin und dem Selbstmord Adolf Hitlers (30. April 1945) enthüllt EXPRESS die bislang geheimnisvolle Vita von Hitlers letztem Adjutanten, Otto Günsche.

Hitlers letzter Helfer: Otto Günsche wurde Zeuge des „Untergangs”

Er war der Mann, dem der Diktator unter vier Augen auftrug, seine und die Leiche Eva Brauns, die er einen Tag zuvor in einer bizarren Zeremonie in der Betongruft geheiratet hatte, zu verbrennen und zu vergraben. Was niemand weiß: SS-Offizier Günsche, einer der wichtigsten Zeugen des „Untergangs“, lebte später in Köln.

EXPRESS hat die Rheinland-Akte des 1917 in Jena geborenen, bis zu seinem Tod 2003 überzeugten Nationalsozialisten mit Recherchen in Archiven und Gesprächen mit Zeugen und Angehörigen erstmals rekonstruiert. Die Spuren führen nach Köln, Bergisch Gladbach und Lohmar.

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Kaum jemand, der dem engen Hitler-Vertrauten begegnete, wusste um seine Geschichte: SS-Mann Otto Günsche, mit 1,89 Meter von überragender Statur, (so seine Angabe in einem SS-Formular, laut seinem bundesdeutschen Personalausweis 1,93 Meter), war Mitglied der „Leibstandarte Adolf Hitler“.

Am 12. Januar 1943 hatte der „Führer“ ihm eröffnet: „Günsche, von heute an sind sie mein persönlicher Adjutant. Ich habe sie ausgewählt, weil ich keine neuen Leute um mich haben will."

Günsche mit Hitler

Otto Günsche, Hitlers Adjutant, mit Adolf Hitler

Beim Stauffenberg-Attentat in der Wolfsschanze (1944) stand Günsche Hitler gegenüber. Er wurde wie dieser leicht verletzt und stützte den Diktator, als der ins Freie humpelte. Da liefen die Dinge aus deutscher Sicht schon länger nicht mehr gut.

Compiegne

Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland, 22. Juni 1940; links Wilhelm Keitel als deutscher Verhandlungsleiter, ihm gegenüber die französische Delegation. Im Hintergrund Mitte: SS-Oberscharführer Otto Günsche, der die Szenerie überwacht.

Das Pendel des Hasses und der Vernichtung schlug zurück, Deutschland war in einem Strudel der Zerstörung. Und die Welt sollte das ganze Ausmaß der Menschheitsverbrechen der Nazis noch kennenlernen, als im März 1945 mit dem Abstieg der deutschen Führung in den Führerbunker die letzten Wochen, Tage und Stunden schlugen.

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Als Hitler die illusorische Hoffnung, Russlands Rote Armee noch stoppen zu können, aufgegeben und sich zum Suizid durch Erschießen und anschließende Feuervernichtung entschlossen hatte, besorgte Adjutant Günsche 200 Liter Benzin in Kanistern. Nach den Selbstmorden sah er die Hitlers leblos auf dem Sofa sitzen.

Otto Günsche meldet Josef Goebbels den Tod Adolf Hitlers

„Der Führer ist tot!“ rief Günsche, zurück im Lageraum, wo sich der ebenfalls todgeweihte Joseph Goebbels aufhielt und Kette rauchte. Günsche trug dann Eva Braun nach draußen, Hitlers Diener Heinz Linge den toten Diktator. Im Garten der Reichskanzlei wurden die Körper in Brand gesteckt.

Am nächsten Tag gerieten Günsche und Linge beim Versuch, aus Berlin zu entkommen, in die Hände der Sowjetarmee. In Moskau wurden beide auf Geheiß Stalins monatelang verhört, weil Hitlers Erzfeind alles über seinen Gegner, dessen Ansichten, Angewohnheiten, Vorlieben und die Umstände seines Todes wissen wollte. Die Protokolle füllten 413 Seiten. Günsche wurde in ein Lager in Sibirien gebracht. Einzelzelle, Zwangsarbeit, minus 50 Grad. Während der zehnjährigen Haft starb Günsches Ehefrau.

Als Bundeskanzler Konrad Adenauer die letzten russischen Kriegsgefangenen diplomatisch rausgepaukt hat, ist Günsche unter den Freigelassenen.

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Otto Günsche, am 29. April 1956 nach seiner Abschiebung aus der Sowjetzone im Lager Friedland.

Hitlers letzter Adjutant, der 1956 bei Null anfängt, arbeitet erst bei einer Versicherung in Hamburg. Dann holt ihn ein aus Köln stammender Freund von der SS (beide traten am 1.8.1934 in die „Schutzstaffel" ein, auch der Kölner wurde Mitglied der „Leibstandarte Adolf Hitler“) in dessen Heimatstadt am Dom. Der 1914 geborene Kriegsveteran aus Riehl, der mit Günsche auch an der Ostfront war, ist als Manager bei der Arzneimittelfirma Rowa in Bergisch Gladbach eingestiegen. Günsche soll auch dort anfangen.

Der gebürtige Thüringer zieht ins Rheinland. In Köln-Nippes findet er seine erste Wohnung. 1959 heiratet Otto Günsche ein zweites Mal, er hat seine Frau bei einem Ausflug in den Karneval in Karlsruhe kennengelernt. Bald zieht das Ehepaar nach Bergisch Gladbach. Der Mann, der bis 1945 als Wohnadresse „Wilhelmstraße 77“ in Berlin-Mitte angab (Reichskanzlei), wohnt jetzt „Am Mühlenweg“.

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Die Firma Rowa an der Frankenforster Straße in Bergisch Gladbach. Hier führte Otto Günsche die Geschäfte.

Bei Rowa soll Otto Günsche gleich nach ganz oben. Das hängt zusammen mit den Eskapaden des Firmengründers Roland Wagner. Der Kölner Kaufmann hat Rowa zwar zum Wirtschaftswunder gemacht, ist mit der Firma aus einem Eckhaus in der Kempener Straße in Köln in das ehemalige Hotel „Haus Frankenforst" in Bergisch Gladbach gezogen.

Vor allem Leber- und Gallenpräparate wie „Rowachol“, die sich bald weltweit verkaufen, haben Wagner reich gemacht. Er hat ein Flugzeug, ein Boot, ein Anwesen im Wald, „aber er hat vergessen, Steuern zu zahlen“, wie ein Zeuge jener wilden Jahre heute anmerkt. „Die Steuerbehörden drängen“, gesteht Wagner in einem (im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv, RWWA in Köln) aufbewahrten Schreiben von 1961. Da ist der Geschäftsmann bereits umgesiedelt – nach Irland.

Hier gründet er eine zweite Rowa, den neuen Produktions- und Entwicklungssitz. In Bergisch Gladbach, wo die Ware konfektioniert wird, braucht er nun einen Statthalter. Das wird Günsche. Er wird Komplementär der Firma und haftet formal mit seinem Vermögen.

Doch mit den Jahren überwerfen sich Wagner und Günsche. Das Management-Konstrukt erweist sich als Verhängnis. Wagners damalige Frau, die jetzige Rowa-Chefin Brigitte Wagner-Halswick, erklärt: „Seit Anfang der 70er Jahre haben mein Mann Roland Wagner und Otto Günsche bereits nur noch über Anwälte kommuniziert. Mein Mann hatte sogar Hausverbot in der Rowa Wagner. Die ständigen Prozesse haben mit zum frühen und plötzlichen Tod meines Mannes im November 1979 beigetragen.“ Wagner war erst 57.

Eine andere Version der Geschichte ist, dass Günsche sich mit Roland Wagner in dem Moment endgültig überworfen hat, als er als Komplementär der Firma für Wagners Wagnisse persönlich haften sollte und die Polizei zwecks Vermögenssicherung gleichzeitig in der Firma sowie bei Günsche im Privathaus gestanden hat.

In den Kino-Verfilmungen von Hitlers Ende galt es stets, die Figur des Adjutanten Otto Günsche zu besetzen: von Hannes Schiel („Der letzte Akt“, 1955, Hitler: Albin Skoda) über John Hallam („Hitler – Die letzten zehn Tage“, 1973, Hitler: Alec Guinness), Andrew Rayn („Der Bunker“, 1981, Hitler: Anthony Hopkins) bis zu Götz Otto („Der Untergang“, 2004, Hitler: Bruno Ganz). Die Bernd-Eichinger-Produktion sahen in Deutschland allein im Kino 4,5 Millionen Besucher.

Zwölf Jahre habe sie gegen Günsche auf Rückgabe der Firma prozessiert, erklärt Brigitte Wagner-Halswick. Erst 1991 gab Günsche im Rahmen eines Vergleichs die Geschäftsführung ab.

Nazi-Prominenz traf sich am Frankenforst

Zu seiner Nazi-Biografie äußerte sich Günsche kaum. Im Prozess um die „Hitler-Tagebücher“ des Stern sagte er in Hamburg als Zeuge aus, Hitler sei schreibfaul gewesen. Die aus dem „Untergang“ bekannten Gefährten, die Sekretärinnen, der Telefonist, oder SS-Generäle wie Sepp Dietrich und Jagdflieger wie Adolf Galland lud Günsche in das vis a vis von Rowa liegende „Café Schulte“ oder nach Lohmar ein, wo er seit 1966 mit seiner Familie lebte.

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Otto Günsches Wohnhaus in Lohmar. Hier starb er 2003 an Herzversagen.

Günsche, der im Sommer mit freiem Oberkörper durch den Rhein-Sieg-Kreis radelte und noch mit 80 Jahren im Freibad in Rösrath vom Sprungturm sprang, hatte die Attitüden eines Herrenmenschen – und mehr.

Der Mann, der Hitler verbrannte, wollte mit Hitler nie Schluss machen. Ein Bild mit dem Diktator hing bis zuletzt an der Wand.