Bei der Kölner Polizei ist eine neue Ermittlungsgruppe an den Start gegangen. Die EG „Cold Cases“ rollt ungeklärte Mordfälle auf.
Kölner OpferWarum Seckin (†16)? Warum Jana (†21)? So sollen ihre Mörder endlich gefasst werden
Seckin Caglar war gerade mal 16, als sie nahe der KVB-Haltestelle „Poll-Autobahn“ getötet wurde. Jana Kyselova (†21) wurde in ihrem Appartment in Köln-Mitte erstochen, Anna Gass (†82) starb durch massive Gewaltanwendung in ihrem Haus in Köln-Brück. Es sind schlimme Fälle, die zwei Sachen gemeinsam haben: Sie liegen Jahrzehnte zurück und konnten bis heute nicht aufgeklärt werden.
Es sind sogenannte „Cold Cases“. Doch Mord verjährt nicht. Und die Kölner Ermittler setzen alles dran, um die Täter früher oder später zu erwischen – jetzt sogar mit einer eigenen Ermittlungsgruppe (EG). Am Dienstag (8. Februar 2022) wurde die Arbeit der neuen EG „Cold Cases“ vorgestellt. Besonders spannend: Dafür wurden auch bereits pensionierte Kriminalbeamte aus dem Ruhestand geholt.
Köln: Einer der erfahrensten Mordermittler leitet EG „Cold Cases“
Die Kölner EG „Cold Cases“ besteht zunächst aus fünf Ermittlerinnen und Ermittlern, die aus verschiedenen Bereich wie Fahndung oder Organisierte Kriminalität kommen. Geleitet wird sie von Markus Weber, einem der erfahrensten Mordermittlern. In Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft durchforsten sie systematisch die alten Akten nach Ermittlungsansätzen, um Kapitalverbrechen aus den vergangenen 50 Jahren doch noch aufklären zu können.
Dabei liegt die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten bei über 90 Prozent. „Aber einige wenige Prozent blieben ungeklärt – und die lassen uns nicht ruhen“, erklärt Kripochef Klaus-Stephan Becker. Angehörige von Opfern hätten ein Recht auf Klarheit. Becker: „Täter können und dürfen nicht glauben, dass sie ungeschoren davon kommen.“ Das wolle man mit der neu eingerichteten Ermittlungsgruppe deutlich machen.
Die Mitglieder der EG „Cold Cases“ werden nicht im Alltagsgeschäft eingesetzt, sondern kümmert sich ausschließlich um die alten Fälle. Jedes kleinste Detail wird dann noch mal beleuchtet.
Kölner Cold Cases: Rentner-Cops erledigen die Vorarbeit
Sechs „Rentner-Cops“ erledigen die Vorarbeit und prüfen insgesamt 196 Cold Cases aus dem Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Köln, die ihnen vom LKA zugewiesen werden. Unter anderem bewerten sie die Spuren mit Blick auf die inzwischen deutlich verbesserten kriminaltechnischen Untersuchungsmöglichkeiten. Becker: „Sie bereiten die Fälle vor, die Ermittlungen macht die Polizei.“ Insgesamt 28 ehemalige Todesermittler aus ganz NRW wurden beim LKA befristet eingestellt, um sich um Altfälle in ganz NRW zu kümmern.
Seckin Caglar, Jana Kyselova, Anna Gass und die vielen anderen Opfer: Wird ihr Tod endlich geklärt, landen ihre Mörder endlich hinter Gittern? Um diese Fälle wird sich die Ermittlungsgruppe unter anderem kümmern:
- Seckin Caglar (16) wurde am 17. Oktober 1991 tot im Gebüsch nahe der KVB-Haltestelle „Poll- Autobahn“ gefunden. Sie war am Abend zuvor dort getötet worden. Im Rahmen der Ermittlungen bestätigten sich Anhaltspunkte für ein Sexualdelikt. Umfangreiche Überprüfungen im Umfeld führten nicht zum Täter. Mit den Möglichkeiten der DNA-Analyse wurden mutmaßlich vom Täter stammende Blutspuren ab Ende der 1990er Jahre untersucht.
- Jana Kyselova (21) arbeitete als Prostituierte in einem Appartement in der Kyffhäuserstraße. Am 8. September 1992 wurde sie in ihrem Appartement erstochen. Es existiert ein Phantombild des Täters, der bei Verlassen des Tatortes gesehen wurde. Anhaltspunkte sprechen für einen Angehörigen der Bundeswehr. In diesem Fall sollen seinerzeit gesicherte Spuren mit Blick auf die Gewinnung einer Täter-DNA überprüft werden.
- Anna Gass (82) wurde am Vormittag des 2. Oktober 1992 tot in ihrem Haus in Köln-Brück, Hameler Weg, gefunden. Ihr Körper wies massive Verletzungen auf. Der Täter dürfte vermutlich aus ihrem Umfeld kommen und von ihr ins Haus gelassen worden sein, da keine Aufbruchspuren vorhanden waren. Offensichtlich hat der Täter einen größeren Geldbetrag entwendet. Die EG „Cold Cases“ will hier unter anderem erneut Ermittlungen im damaligen Lebensumfeld der Getöteten aufnehmen.
- Dr. Hans Gerd Tuchel (63) wurde am 8. März 2000 um 16 Uhr zuletzt lebend gesehen und am 10. März erstochen in seiner Wohnung gefunden. Der Getötete war homosexuell und verkehrte in einschlägigen Lokalen in der Altstadt. Bekannt ist, dass er Kontakt zu jüngeren Männern suchte. Vermutlich hat er den Täter mit in die Wohnung genommen. Eine DNA-Spur ist vorhanden.
- Am 14. Oktober 2001 wurde die bereits skelettierte Leiche einer Frau (vermutlich 20 bis 30 Jahre alt) im Worringer Bruch gefunden. Sie dürfte über vier Monate bis zu einem Jahr dort gelegen haben. Es gibt Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt. Der Versuch, die Frau mit Plakaten zu identifizieren, die nach einer Gesichtsrekonstruktion erstellt worden waren, blieb ohne Erfolg. Eine neue Methode der Gesichtsweichteilrekonstruktion soll gegebenenfalls helfen, die junge Frau zu identifizieren.
- Der am 12. Dezember 2003 in Reichshof-Eckenhagen in einem von der Straße (Höher Weg) abgewandten Hauseingang abgelegte Neugeborene starb infolge einer Unterkühlung. Die Mutter des Jungen dürfte aufgrund der Fundsituation Ortskenntnisse gehabt haben. Ihre DNA konnte zwischenzeitlich durch Untersuchungen des damals gesicherten Blutes festgestellt werden. Die EG „Cold Cases“ plant eine DNA-Reihenuntersuchung in Eckenhagen.
- Am 8. Februar 1991 wurde in Leverkusen-Schlebusch eine Taxifahrerin (41) mit Stichverletzungen neben ihrem Taxi gefunden, nachdem sie einen Notruf abgesetzt hatte. Die 41-Jährige überlebte den Angriff. Das Motiv deutet auf einen versuchten Raubmord hin. Eine Fallanalyse soll helfen, das Motiv für die Tat zu finden.
- Nach Schüssen auf Polizeibeamte bei einer Verkehrskontrolle am 19. April 1993 in Leverkusen-Opladen entkamen zwei Personen in einem gestohlenen schwarzen Opel Omega, der wenig später sichergestellt wurde. Die Ermittlungen der eingerichteten Soko Blasberg blieben ohne Erfolg. Hier steht eine Überprüfung damals gesicherter Spuren an.
Die Untersuchungsmethoden haben sich in all den Jahren weiterentwickelt, erklärt EG-Leiter Weber. Früher habe man Faserspuren, Blutgruppen abgeglichen, DNA-Analyse gab es noch nicht. „Es ist viel Zeit vergangen, auch bei den beteiligten Personen“, sagt er. So könnte es zum Beispiel Zeugen geben, die damals nicht mit der Polizei kooperieren wollten, aber vielleicht jetzt.
Langer Atem und Ausdauer sind gefragt. Aber eins ist den Ermittlern ganz wichtig: Sie wollen ein Zeichen setzen, dass die Opfer nicht vergessen werden. Die EG „Cold Cases“ soll mehrere Jahre lang laufen. (iri)