Corona wäre ihr TodesurteilKölnerin hat drastische Botschaft an alle jungen Menschen
Köln – Wenn Greta Vogelmann (18) aus dem Fenster schaut, sieht sie ein paar Bäume, die Häuser gegenüber. Sie geht möglichst selten raus. Ab und zu setzt sie sich auf die Terrasse, die meiste Zeit verbringt die angehende Abiturientin am Schreibtisch. Mittags geht sie eine Stunde im Park mit dem Hund spazieren, ganz alleine.
„Ich weiche den Leuten so gut aus, wie es geht, weil ich schon Angst davor habe, mich anzustecken“, sagt sie. Denn für Greta wäre eine Infektion mit dem Coronavirus leicht ein tödliches Risiko.
Greta leidet an Mukoviszidose, einer vererbten Stoffwechselkrankheit, bei der unter anderem zäher Schleim das Lungengewebe verklebt. 5000 Menschen in Deutschland sind davon betroffen. Greta gehört damit zu einer Hochrisiko-Gruppe für einen schweren Covid-19-Verlauf. Nur sieht die Kölnerin nicht nach einem vorerkrankten, besonders gefährdeten Menschen aus. Schon allein, weil sie noch so jung ist.
Deshalb bekommt sie auch die Ignoranz uneinsichtiger Mitmenschen besonders krass mit. Wie durch ein Brennglas sieht sie, wo es immer noch hakt, und genau deshalb gibt sie jetzt auch ihre sonstige Zurückhaltung auf und spricht im EXPRESS über ihren aktuell besonders schwierigen Alltag.
Corona-Krise: Kranke Greta macht großen Bogen um Gruppen und Familien
„Am Wochenende war ich mit dem Hund zum Joggen im Park. Superwetter, sehr voll. Ich bin auf die Wiese ausgewichen, um Familien herumgekurvt, die durchaus noch in größeren Gruppen unterwegs waren. Viel zu viele, auch andere Jogger, sind immer noch extrem eng an mir vorbeigelaufen, keiner kam auf die Idee, gegenseitig links oder rechts auszuweichen.“
Einkaufen? Traut sie sich seit einer Woche nicht mehr. Freunde sieht sie nur virtuell über Facetime.
Sie selber tut alles, was sie kann, um sich und andere zu schützen. Ohne ihre Besonderheit an die große Glocke zu hängen: Abstand halten, immer gründlich die Hände waschen.
Coronavirus: Mukoviszidose-Patienten ernten statt Mitgefühl böse Blicke
„Als ich noch mit der Bahn zur Schule fahren musste, habe ich mich immer auf den Fensterplatz gesetzt, meine Tasche auf dem freien Sitz neben mir abgestellt, Kopfhörer auf – aus Selbstschutz.“ Öffentliche Veranstaltungen waren da schon abgesagt. Dennoch tippte eine ältere Dame sie an, was das denn sollte. Husten muss sie, wie viele Mukoviszidose-Patienten, Gottseidank kaum. Bei anderen Betroffenen sorgt das erst recht für böse Blicke statt Mitgefühl.
Greta hat sich in freiwillige häusliche Quarantäne zurückgezogen. Vater und Mutter arbeiten eine Etage unter Gretas Zimmer im Homeoffice. „Nachbarn und Freunde kaufen für uns ein und stellen die Tüten vor die Tür“, freut sich die Schülerin über den Zusammenhalt.
Kranke Greta über Corona-Krise: „Viele Menschen haben es noch nicht begriffen”
Gleichzeitig sieht Greta Menschen aus dem Viertel, die eng zusammen auf der Bank vor ihrem Haus sitzen, Gruppen von Kindern, die die Köpfe beim Spielen zusammenstecken.
„Sie haben es noch nicht begriffen, weil sie alle denken: mir passiert schon nichts“, sagt sie. „Ich weiß nicht ob das Ignoranz, Egoismus oder Desinteresse ist, ich habe das Gefühl, dass gerade zwischen 16 und 25 Jahren viele die Situation nicht ernst nehmen, weil sie von so vielem keine Ahnung haben oder die Gefahr nicht wahrhaben möchten.“
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Auch in ihrem Freundeskreis sind beispielsweise viele Jugendliche Raucher. Greta: „Dass Raucher auch ein erhöhtes Risiko haben, unabhängig vom Alter, wissen viele nicht.“
Greta ist mit einer kranken Lunge geboren – die Diagnose Mukoviszidose bekam sie als Baby
Greta ist geboren mit einer kranken Lunge, verbrachte schon Wochen im Krankenhaus, behandelt mit hochdosiertem Cortison. Ihre Eltern sind gesund, hatten jeweils nur eine Hälfte der Genveränderung, die Mukoviszidose auslöst. Bei Greta wurde die Diagnose im Alter von elf Monaten gestellt. Die Abweichung fiel auf, weil sie als Baby viel schrie, ständig Hunger hatte, Durchfall, dazu einen aufgeblähten Bauch und Husten. Mittlerweile werden Neugeborene im Krankenhaus automatisch auf das defekte Gen untersucht.
Greta legte immer Wert darauf, dass sich ihr Leben nicht um die Krankheit dreht. Vermeidet es, darüber zu reden, weil sie keine Sonderbehandlung wünscht. Auch in ihrer Klasse wissen davon nicht alle.
Greta über Corona-Krise: „Gerade in dieser Zeit muss ich aufklären”
„Aber gerade in dieser Zeit muss ich aufklären, stellvertretend für alle Menschen mit einer Vorerkrankung“, sagt sie. „Dass man es einem Menschen eben nicht ansieht, ob er zu einer Risikogruppe gehört. Dass für kurze Zeit der Egoismus lahmgelegt wird und man an die anderen Menschen denkt. Ich hoffe sehr, dass die Menschen aufwachen, dass sie begreifen, dass es beim Abstandhalten in Zeiten von Corona um Leben und Tod geht.“
Ihr selber ginge es zum Glück gesundheitlich aktuell noch bestens. Zwei Mal pro Tag inhaliert sie ihr Medikament. Für akute Luftnot trägt sie ein bronchienerweiterndes Spray bei sich. „Es kostet mich große Überwindung regelmäßig draußen zu joggen“, lacht sie, „weil ich es eigentlich nicht so mag.“ Aber das Fitness-Studio, das sie sonst besucht, ist geschlossen. „Und das Laufen ist super für meine Lunge.“