Viele Kölnerinnen und Kölner fühlen sich der latenten Bedrohung durch offenen Drogenhandel, aggressiv bettelnde Junkies sowie herumliegenden Müll aus Spritzen und Exkrementen ohnmächtig ausgesetzt.
Doch jetzt geht die Bürgerinitiative „Zukunft Neumarkt” in die Offensive. Immer wieder will sie den Finger in die Wunde legen und der Stadtspitze zeigen, was wirklich los ist am Neumarkt. Ihr Instrument: Eine neue App, die das Elend detailliert dokumentieren wird.
Die Bürgerinitiative um Anwohner Guido Köhler und Stortz-Chef Walter Schuch will mit Hilfe der Nutzer alle bekannten Vorfälle mit Junkies, Dealern, Sachbeschädigungen oder starken Verunreinigungen registrieren.
Die Chronik stellt sich dann auf einer Google-Maps-Karte des City-Areals mit Stecknadel-Symbolen dar. Werden sie angeklickt, öffnet sich eine Maske mit Ort, Uhrzeit und Fotos. Köhler: „Wir wollen transparent machen, was hier wirklich passiert."
Drogen am Neumarkt: Neue App von Bürgerinitiative
Schon jetzt in der Testphase der App wimmelt der Neumarkt von kleinen Pünktchen.
Wie so ein Vermerk aussehen kann, zeigt folgendes Beispiel aus dem Parkhaus an der Cäcilienstraße. Der von der Stadt organisierte Drogenkonsumraum ist nur wenige Meter entfernt, trotzdem ziehen sich die Junkies offenbar zum Fixen in die Treppenabgänge zurück und hinterlassen dort jede Menge Müll und Verwahrlosung.
Guido Köhler: „Die Zahlen der Polizei können täuschen. Offiziell sehen die Einsätze von der Summe her eher gering aus. Unser Eindruck hier vor Ort ist aber ein anderer.“
EXPRESS bat die Polizei um Stellungnahme: Was ging am Neumarkt in den letzten Monaten wirklich ab?
Polizeisprecher Christoph Gilles: „Der Neumarkt und die angrenzenden Bereiche stehen unverändert im polizeilichen Fokus. Die Polizeiinspektion 1 beobachtet die dortige Einsatzlage, wertet diese aus und passt die polizeilichen Maßnahmen, auch in Form von polizeilicher Präsenz, an.
Wir begegnen der vorherrschenden Situation am Neumarkt auch zukünftig konsequent mit starker offener und verdeckter Präsenz. Weiterhin existiert seit dem 11. November 2019 auf dem Neumarkt eine polizeiliche Videobeobachtung."
Drogen-Brennpunkt Neumarkt: Das sagt die Kölner Polizei
Gilles weiter: „Bei verdächtigen Feststellungen können Mitarbeiter der Videoleitstelle so unmittelbar Streifenwagenbesatzungen heranführen. Für den Bereich des Neumarkts ist die Polizei, neben anderen Teilnehmern wie der Staatsanwaltschaft Köln, dem Gesundheitsamt, dem ASC (Aufsuchendes Suchtclearing) sowie dem Ordnungsamt der Stadt Köln, Bestandteil der Kooperation »Netzwerk Drogen«.“
Im Vergleichszeitraum April bis Juni nahm die Polizei 2019 62 Einsätze mit unmittelbarem Betäubungsmittelbezug wahr. 2020 wurden 55 Einsätze wahrgenommen. Ein Minus von elf Prozent.
55 Einsätze in drei Monaten. Heißt: Etwa alle zwei Tage muss die Polizei vor Ort einschreiten.
Und was macht die Stadt? Sie baut die Plätze zum Drogenkonsum weiter aus.
Stadtsprecherin Simone Winkelhog: „Das Gesundheitsamt ist zuständig für gesundheitliche und soziale Hilfsangebot für drogenabhängige Menschen. Der Konsumbus mit vier Plätzen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist bekannt, dass der Bedarf an Konsumplätzen in Neumarktnähe deutlich höher ist.
Daher plant das Gesundheitsamt die Einrichtung eines Drogenkonsumraumes im eigenen Haus mit insgesamt zwölf Plätzen; davon sechs Plätze für den intravenösen Konsum und sechs Plätze für den inhalativen Konsum. Das erweiterte Angebot wird auch am Wochenende geöffnet sein, allerdings nicht in der Nacht. Der Aufenthaltsbereich ist leider begrenzt."
Stadt: Drogenkonsumplätze am Neumarkt werden verdreifacht
Winkelhog weiter: „Die Mitarbeitenden des mobilen Drogenhilfeangebotes machen tägliche Rundgänge, bei denen sie Konsumenten ansprechen und Spritzen aufsammeln. Die Streetworker des Aufsuchenden Suchtclearings (ASC) sind weiterhin an dem Hotspot Neumarkt und in der Innenstadt unterwegs mit dem Auftrag, drogenabhängige Menschen an das Hilfesystem anzubinden.“
Im Dezember 2019 nahm das mobile Drogenhilfeangebot am Cäcilienhof den Betrieb auf. Zwei Fahrzeuge stehen bereit – ein Fahrzeug, in dem Beratungen stattfinden, und ein Fahrzeug, in dem Abhängige unter medizinischer Aufsicht Drogen konsumieren können.
Konsumbus: 100 Mal täglich wird gefixt oder Crack geraucht
Im April wurden die Öffnungszeiten auf werktäglich zwölf Stunden von 8 bis 20 Uhr ausgeweitet. Aktuell finden täglich bis zu 100 Konsumvorgänge statt, die Stadt nennt einen Kreis von rund 300 Abhängigen, die regelmäßig das Angebot nutzen. Dr. Harald Rau, Beigeordneter für Soziales: „Wir wussten um den großen Bedarf eines Drogenkonsumraums am Neumarkt. Aber diese überwältigende Inanspruchnahme durch die Drogenkonsumenten hat uns selbst überrascht.“
Walter Schuch von der „BI Zukunft Neumarkt“ kritisiert neben der Sogwirkung des Drogenmobils auch den Einsatz von Security im Kirchenhof: „Hier richtet die Stadt für sehr viel Geld ein Drogenhilfsangebot ein, um Süchtigen zu helfen. Dann muss sie aber auch noch einen privaten Sicherheitsmann engagieren, um sich vor den eigenen Klienten zu schützen. Das ist doch bezeichnend.“