Der Kölner Bestsellerautor Frank Schätzing hat mit EXPRESS.de über seinen neuen Roman, gute Ideen im Bad und über Karneval.
Frank SchätzingWo Köln noch Potenzial hat und nicht nutzt – „daran ist der Karneval nicht unschuldig“
Er hat sich Zeit gelassen. Viel Zeit: Knapp 30 Jahre nach seinem höchst erfolgreichen Mittelalter-Krimi um den Dombau zu Köln, „Tod und Teufel“, hat Frank Schätzing (67) mit „Helden“ eine Fortsetzung geschrieben.
Wieder steht „Jacop der Fuchs“ im Mittelpunkt. Aber das ist noch nicht das Ende, denn in drei Jahren soll die Trilogie mit einem weiteren Epos abgeschlossen werden. Grund für ein ausführliches Gespräch mit dem Bestsellerautor – unser Reporter und Schätzing kennen sich schon seit drei Jahrzehnten, und genauso lange duzen sie sich auch.
Frank Schätzing hat die besten Ideen unter der Dusche
„Der Junge lief über die Felder nordwärts“. Frank, kommt dir das bekannt vor?
Frank Schätzing: Klar, das ist der erste Satz von „Helden“.
Ist der auch unter der Dusche entstanden? Du sagtest in einem früheren Gespräch, häufig falle dir der Anfang beim Brausen ein.
Frank Schätzing: (lacht) Ich bin nicht auf die Dusche festgelegt. Der erste Satz von „Der Schwarm“ ist mir zum Beispiel bei einem Strandspaziergang eingefallen. Ich kann dir allerdings bestätigen: Die Idee zu „Helden“ hatte ich in der Tat unter der Dusche. Ich wollte eigentlich einen Science-Fiction-Roman schreiben, hatte sofort einen Ansatz, kam aber an einem bestimmten Punkt nicht weiter. Und da kommt aus der Dusche die Idee geplätschert, der Ansatz eigne sich doch viel besser, um „Tod und Teufel“ fortzusetzen – obwohl ich nie Fortsetzungen zu meinen Romanen schreiben wollte.
Warum bist du diesem Grundsatz untreu geworden?
Frank Schätzing: Weil alles so viel Sinn ergab. In Windeseile breitete sich ein erzählerisches Universum aus. Ich bekam richtig Lust darauf, zu erzählen, wie es mit Jacop, der Hauptfigur aus „Tod und Teufel“, weitergeht. Daraus sind gut 1000 Seiten geworden.
Hattest du beim Schreiben ein Mindestziel, vier Seiten pro Tag?
Frank Schätzing: Nein, das ist nicht kalkulierbar. Es kann sein, dass ich nur eine Seite schreibe und werfe sie am nächsten Tag weg. Es kann aber auch sein, dass ich zehn Seiten am Tag schaffe. Ich habe einen ganz geregelten Arbeitstag und warte nicht, bis mich die Muse küsst, ich bin ja die Muse und muss mich selbst küssen. Ich sitze zwischen 9 und 10 Uhr am Schreibtisch und höre gegen 19 Uhr auf. Aber wenn sich abends im Kopf wieder was tut, setze ich mich auch mal um 23 Uhr hin und schreibe zwei Stunden weiter.
„Helden“ spielt im 13. Jahrhundert. Über die Epoche musstest du nicht viel recherchieren, das hattest du ja schon bei „Tod und Teufel“ gemacht, oder?
Frank Schätzing: Das dachte ich auch, das war aber ein Irrtum. Denn während Tod und Teufel nur in Köln spielt, zieht Jacop in Helden hinaus in die Welt, erlebt Abenteuer nicht nur in Köln, sondern auch in England und Frankreich. Deshalb habe ich mich erst einmal ein Jahr lang nur mit dem 13. Jahrhundert in Europa beschäftigt.
Was hat dich am meisten überrascht?
Frank Schätzing: Es ist unfassbar, was in dieser Epoche alles passiert ist. Es gab schon Warentermin-Geschäfte und quer durch Europa existierte ein Informationsnetz mit Botendiensten und Stationen, an denen die Pferde gewechselt wurde. Das waren quasi die Vorläufer heutiger Autobahnraststätten. Darum habe ich im Nachwort betont, dass ich nichts dazu erfunden habe, sonst denken die Leute noch: „Der Schätzing stand unter Drogen, als er den Roman geschrieben hat“.
Frank Schätzing: Nie wieder Schreiben unter Druckbetankung mit Kölsch
Apropos Drogen: James Joyce oder Ernest Hemingway waren beim Schreiben fast immer betrunken ...
Frank Schätzing: ... und schrieben dabei ihre besten Sachen! Also habe ich das mal ausprobiert, das muss Ende der 90er-Jahre gewesen sein. Ich bin ins Brauhaus Päffgen gegangen und habe unter heftiger Kölsch-Druckbetankung eine Kurzgeschichte geschrieben. Nach dem vierten Bier dachte ich: „Ist ja irre, da öffnen sich Schleusen im Kopf“. Also habe ich noch drei Kabänes draufgekippt. Am nächsten Tag, als der Kater abgeklungen war, habe ich mir das Ergebnis durchgelesen: Alles bis zum dritten Kölsch war okay, bis zum sechsten ging es gerade noch so, danach stand da nur Bullshit. Was mich dann doch erleichterte. Ich musste kein Trinker werden, um meinen Output zu verbessern. Es reichten weiterhin Wasser und Tee. Bis heute.
Im Roman steht, dass jemand zu Fuß nach Köln gehen will, man liest „es kommt, wie es kommt“. Es wird sogar erklärt, wie es zu „Kölle Alaaf“ kam ...
Frank Schätzing: Man nennt das „Easter Eggs“, also versteckte kleine Hinweise. Davon habe ich mir einige für meine kölsche Seele gegönnt. Und wegen meiner großen Liebe zu David Bowies Musik habe ich einen Gasthof in England „Thin White Duke“ getauft – so hatte Bowie eine von ihm geschaffene Kunstfigur genannt.
Du hast weit ins 13. Jahrhundert zurückgeblickt. Kann man daraus Lehren für die heutigen Zeiten ziehen?
Frank Schätzing: Etliche. Vor allem, dass sich das alte Spiel von Macht und Moral nie geändert hat. Und wie sich Populismus entwickelt!
Angesichts der aktuellen politischen Situation in Deutschland und Europa: Brauchen wir wieder mehr Helden?
Frank Schätzing: Ja. Aber wir müssen die gar nicht lange suchen, denn in jedem von uns steckt ein Held oder eine Heldin. Wir müssen nur aus der deutschen Verzagtheit in die Zuversicht und ins Handeln finden. Unseren persönlichen Gestaltungsspielraum ausloten und nutzen, und sei er noch so klein. Wenn wir uns mit anderen zusammentun, können wir alle Helden sein.
„Helden“ ist deinem Vater Rolf gewidmet, welchen Grund gibt es dafür?
Frank Schätzing: Es war Zeit, meinem Vater mal danke zu sagen. Er hat mich früh in meiner Kreativität gefördert und immer an mich geglaubt. Er ist jetzt 93 Jahre alt, voll fit, gutaussehend, am Puls der Zeit – du würdest ihn mögen!
Frank Schätzing: Köln strahlt einzigartige Herzenswärme aus
Du hast 2016 sinngemäß gesagt: Eigentlich haben wir in Köln eine tolle Kulturlandschaft mit vielen Theatern, einer prima Kunstszene, Comedy und einer riesigen Musikszene. Dennoch beharken sich alle, statt zusammenzuarbeiten. Ist das heute noch so?
Frank Schätzing: Ja, und auf diese Weise finden wir nie zu einem kulturellen Masterplan. Wir schöpfen unsere tollen Möglichkeiten nicht hinreichend aus. Köln hat ja kreative Köpfe, durchaus das Potenzial zur schillernden Weltmetropole. Würden wir dieses Potenzial nur mehr nutzen! Wo wir stilbildend und trendy sein könnten, geben wir uns mit Frohsinn und Gemütlichkeit zufrieden. Woran der Karneval nicht ganz unschuldig ist, so viel Spaß er auch macht. Dafür strahlt Köln eine wirklich einzigartige Herzenswärme aus. Menschen von außerhalb werden willkommen geheißen und fühlen sich sofort heimisch. Das ist kein Klischee. Das bestätigen viele meiner auswärtigen Bekannten.
Du hast den Karneval selbst erwähnt. Wir haben ja sehr bald den Elften im Elften. Deshalb sei die Frage an dieser Stelle erlaubt: Wäre Frank Schätzing als Prinz Karneval vorstellbar?
Frank Schätzing: (lacht) Es ist wahrscheinlicher, dass ich von Aliens entführt werden, als dass ich je in Köln Prinz werde. Außerdem sehe ich in weißen Strumpfhosen scheiße aus.
Frank Schätzings neuester Wurf: Weitere Abenteuer für Jacop der Fuchs
Wir schreiben das Jahr 1260: Jacop der Fuchs hat beim Bau des Kölner Doms einige Abenteuer erlebt und will jetzt weg von Köln und weg von der geliebten Richmodis. Er ist kurz davor, sich einer Gauklertruppe anzuschließen, aber der Gelehrte Jasper Rodenkirchen holt ihn zurück, vermittelt eine Lehre als Kaufmann bei der Patrizier-Familie Overstolz. Jacop lernt schnell und reist mit einer Kölner Delegation nach England, um König Edward, der von Aufständischen bedroht wird, dringend nötiges Gold zu überbringen. Aber der Kampf um die englische Krone wird ein Sturm, der ganz Europa erfasst. Und in Köln proben die Patrizier den Aufstand gegen den mächtigen Klerus ...
Tipp: Vor der Lektüre von „Helden“ empfiehlt es sich, eine Zusammenfassung von „Tod und Teufel“ zu lesen. Dann findet man schneller Zugang zu den neuen Abenteuern. („Helden“ von Frank Schätzing, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1002 Seiten, 36 Euro).