Ketamin, Chrystal Meth & Co.Aidshilfe warnt vor Chem-Sex – „aktuell ein großes Problem in Köln“

Oliver Schubert, Geschäftsführer der Kölner Aidshilfe, steht vor dem Café Bach. Die Gastronomie hat seinen Namen in Erinnerung an den im Jahr 2012 verstorbenen Kölner Schauspieler Dirk Bach erhalten. Sie fungiert auch als Kontakt- und Begegnungsstätte. Menschen mit und ohne HIV kommen hier ins Gespräch.

Oliver Schubert, Geschäftsführer der Kölner Aidshilfe, steht vor dem Café Bach. Die Gastronomie hat ihren Namen in Erinnerung an den im Jahr 2012 verstorbenen Kölner Schauspieler Dirk Bach erhalten. Sie fungiert auch als Kontakt- und Begegnungsstätte. Menschen mit und ohne HIV kommen hier ins Gespräch.

EXPRESS.de hat sich mit Oliver Schubert, Geschäftsführer der Kölner Aidshilfe, getroffen und über aktuelle Probleme in der queeren Community gesprochen.

von Julia Bauer  (jba)

Rund 5.000 Menschen kommen pro Jahr zur Aidshilfe in Köln, um sich beraten oder auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen testen zu lassen.

Viele Menschen koste es aber noch immer Überwindung, die Schwelle des Haupteingangs direkt an der KVB-Haltestelle „Heumarkt“ (Pipinstraße 7) zu überschreiten, berichtet Oliver Schubert, Geschäftsführer des im Jahr 1985 gegründeten Vereins.

Menschen mit HIV leiden auch heute noch unter Stigmatisierung

„Wir wissen das vor allem aus bestimmten Kulturkreisen. Wo auch das Stigma in der eigenen Community ganz krass ist, obwohl es einen selbst auch betrifft. Wir machen daher auch mal Außentermine.“ Aber selbst Deutsche trauen sich oft nicht, so Schubert. „Bei aller Szenegröße ist Köln ja doch ein Dorf.“

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Die Ängste und Hemmungen kommen nicht von ungefähr. Denn die Stigmatisierung – privat, beruflich und selbst im medizinischen Bereich – besteht auch heute noch. Menschen mit HIV bekommen beispielsweise beim Zahnarzt oft immer noch den letzten Termin angeboten, erzählt Schubert von Erfahrungen der Betroffenen – mit der Begründung, es müsste nach der Behandlung gesondert desinfiziert und gereinigt werden. „Das ist totaler Schwachsinn!“, betont er.

Oliver Schubert: „Keine Smarties, die man als HIV-positiver Mensch nimmt”

Was jedoch stimmt: Schwule oder Männer, die mit anderen Männern Sex haben, sind die größte Gruppe unter den Betroffenen von HIV. Dies sei auch statistisch zu erklären. Denn: „Ein Virus – und das gilt für jeden anderen Virus auch – verbreitet sich in kleineren Gruppen, und schwule Männer sind nun mal eine Minderheit in der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft, automatisch schneller.”

Oliver Schubert: „Was sich seit den 90er Jahren aber ganz klar geändert hat, sind die Möglichkeiten, sich vor HIV zu schützen. Die Forschung hat im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Tablettenkombinationen und Wirkstoffe auf den Markt gebracht.” Er sagt aber auch: „Es sind natürlich keine Smarties, die man als HIV-positiver Mensch täglich nimmt.”

Doch die Kombination der Medikamente bewirke inzwischen, dass die Viruslast von HIV-Infizierten unter die Nachweisgrenze geht. Bedeutet konkret: Menschen mit HIV könnten sogar „kondomlosen Sex“ mit einer negativen Person haben – und es findet keine Ansteckung statt.

Die Aidshilfe beschäftigt 34 Festangestellte, 200 ehrenamtliche Mitarbeitende und hat ein Jahresfinanzvolumen von 2,5 Millionen Euro. Damit gehört der Verein zu den größten privaten Trägern im Gesundheitswesen in Köln. Viele Angebote und Projekte werden aus Eigenmitteln finanziert. Hier kannst du spenden: ahkoeln.de/spende

HIV-Infektionszahlen bei Heterosexuellen steigen an

Dann gibt es da noch die PrEP, eine Tablette, die man nimmt, um sich vor HIV zu schützen. „Die bewirkt, wenn der Virus, z. B. durch Geschlechtsverkehr, in den Körper gelangt, nicht andocken kann.“ Das Medikament bekommt man bei sogenannten Schwerpunkt-Ärztinnen und -Ärzten, die Menschen mit HIV besonders willkommen heißen.

Bei der Aidshilfe gibt es eine Liste mit entsprechenden Praxen in Köln. Wichtig: Die PrEP-Tablette schützt nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen.

Aids ist also vermeidbar. Umso verwunderlicher: „In den letzten Jahren hatten wir einen Anstieg der HIV-Infektionszahlen in der Zielgruppe der heterosexuellen Menschen.” Ein Grund hierfür sei, dass sich nach der Corona-Zeit mehr Menschen testen lassen. „Das führt zwangsläufig zu mehr positiven Ergebnissen.“

HIV sei zudem nicht mehr so im Bewusstsein der Leute, vermutet Schubert. Dazu komme der Gedanke „mich trifft es nicht“, aber auch der mangelnde Zugang zu Prävention. Vereine wie die Kölner Aidshilfe gehen in die queere Szene, informieren auf Partys, in schwulen Kneipen oder Saunen. „Diese Zielgruppe weiß genau, dass es die PrEP gibt.“ Doch sogar für viele „normale“ Ärzte und Ärztinnen ist die PrEP unbekannt. Gerade auf dem Land oder außerhalb von Großstädten. „Die sagen dann: Benutzen sie doch Kondome. Ich verschreibe das hier nicht.“

„Wirkmacht von Chrystal Meth & Co. in Kombination mit Sex ist enorm”

Der Hauptansteckungsweg einer HIV-Infektion sei neben ungeschütztem Sex mit einer infizierten, aber nicht in Behandlung befindenden Person, der Spritzentausch – also das gemeinsame Benutzen von Spritzen beim Drogenkonsum. So sei etwa Substanzkonsum in Kombination mit Sexualität aktuell auch in Köln ein großes Problem, kurz: Chem-Sex. 2023 sind vier Menschen in Köln an den Folgen gestorben.

„Die Wirkmacht von Ketamin, Chrystal Meth etc. in Kombination mit Sex ist enorm. Das, was die Menschen da erleben, wird in den schillerndsten Farben beschrieben. Und dem wird hinterhergehechelt, weil das natürlich so besonders war. Aber so, wie es beim ersten Mal war, wird es nie wieder.“

Konsumierende fänden sich in verschiedenen Altersgruppen, das Thema beschränke sich nicht nur auf jüngere Menschen, so Schubert. „In der Aidshilfe Köln finden Betroffene eine Anlaufstelle für eine vorurteilsfreie Beratung, in der gemeinsam geschaut werden kann, wie der Substanzkonsum sich verändern oder beendet werden kann.“

Egal, ob homo- oder heterosexuell, was sich in 40 Jahren leider nicht geändert hat, sind am Ende die Vorurteile und Stigmata rund um HIV und Aids, resümiert der Aidshilfe-Chef. So geht der Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung auch 2024 weiter.