AusgangssperreKölner Brennpunkte: Neues Phänomen nach 21 Uhr
Köln – Die nächtliche Ausgangssperre – wird sie wirklich überall eingehalten? Oder treffen sich junge Leute in den Veedeln heimlich in den Seitenstraßen und Gassen? EXPRESS war nachts in den sozialen Brennpunkten von Meschenich, Finkenberg und Bocklemünd unterwegs. Denn vor allem dort belastet die Ausgangssperre die jungen Leute.
- Nächtliche Ausgangssperre in Köln
- Wird sie überall eingehalten?
- EXPRESS nimmt Brennpunkte ins Visier
Jahrelang war Streetworker Franco Clemens in den Ortsteilen unterwegs. Er begleitete den EXPRESS-Reporter in der Nacht. Und er erklärt zu Beginn: „Der Besuch dieser Veedel soll keine Stigmatisierung sein. Aber es ist nun mal Fakt, dass die Jungs und Mädels dort in engen Wohnverhältnissen in Hochhauswohnungen leben. Sie haben keinen Garten oder meist kein eigenes Zimmer. Daher stehen die Menschen vor allem dort abends oder nachts auf den Straßen. Oder anders gesagt: Sie verbringen dort ihre Zeit.“
21 Uhr in Meschenich, An der Fuhr. Einzelne kleine Gruppen huschen in die Hochhäuser. Draußen am Kiosk stehen vier junge Männer. „Hey Jungs, was geht. Geht ihr nicht gleich rein?“, fragt Franco die Gruppe. Zögerlich antworten sie: „Wir haben keinen Bock auf Stress mit den Bullen. In unseren Augen ist die Ausgangssperre totaler Unsinn. Jetzt hocken wir dann mit vier Mann in einem Zimmer, zocken Playstation und chillen. Ob das besser ist, bezweifeln wir.“
Köln: Brennpunkte wegen Ausgangssperre wie ausgestorben
Nach und nach verschwinden die Jungs von der Straße. Um 22 Uhr herrscht gähnende Leere im Veedel. Dafür ist im Hausflur eines Hochhauses richtig was los: 10 Jugendliche sind da versammelt. Quatschen, reden, lachen. Ohne Masken. Aber raus geht keiner von ihnen. Aus Angst, erwischt zu werden.
Um 22.10 Uhr fährt ein Streifenwagen langsam durch Meschenich. Die Beamten steigen nicht einmal aus. Ihnen reicht, dass keine Leute in Gruppen vor den Häusern stehen. Ab jetzt sind nur noch Ratten auf den Straßen zu sehen - Dutzende flitzen dort umher. Eine Plage.
22.55 Uhr. Ortswechsel nach Finkenberg. Es herrscht schon fast gespenstische Stille. Der Streetworker ist verblüfft: „Sowas habe ich hier in all den Jahren nicht erlebt. Kein Mensch zu sehen. Unfassbar, dass man keinen Lärm, keine Musik, keine Stimmen aus den Häusern hört“, stellt er fest.
Doch auf einem engen Seitenweg stehen plötzlich vier junge Männer. Nach der Begrüßung gestehen sie: „Wir sind grade von der Polizei weggerannt. Die Ausgangssperre ist Kacke. Wir sind nicht gegen die Corona-Maßnahmen, aber hier ist Schluss für uns. Wir treffen uns weiter draußen. Mit Abstand. Wir hätten auch kein Problem mit einem harten Lockdown für 14 Tage. Aber wir lassen uns nicht einsperren“, erklären sie gemeinsam.
100 Meter weiter wird ein Kumpel von ihnen auf der Straße erwischt. Beamte der Einsatzhundertschaft durchsuchen ihn, überprüfen seine Personalien. Dann darf er heim – mit einer Anzeige.
23.56 Uhr, Bocklemünd. Das Görlinger Zentrum in Köln - wie ausgestorben. Nur ein Mann hält die Stellung: Lokman in seinem Kiosk. Er freut sich über Streetworker und Reporter und serviert zwei heiße Kaffee. Lohnt sich denn überhaupt, den Laden geöffnet zu halten. „Ja. Es kommen auch nach 21 Uhr Leute. Sie rufen vorher an, fragen: Lokman, ist Polizei da? Dann kommen sie schnell runter, kaufen sich Zigaretten, Süßes, Chips oder Kaffee.“
Verrückt, dass sich auch ein neues Phänomen aufgetan hat: „Immer öfter kommen Anwohner mit Hunden zu mir. Ich frage, ob sie sich aus Langeweile einen Vierbeiner angeschafft haben. Antwort: Nein, nur von Nachbarn geliehen, um mal nachts rausgehen zu können. Die Hunde kommen öfter raus denn je“, lacht er.