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Körperwelten in KölnHier werden Leichen präpariert – „Ich weiß nur, dass es ein Mann war“

Einen exklusiven Blick hinter die Kulissen von Gunther von Hagens Plastinarium durfte EXPRESS.de erhaschen. Wir nehmen dich mit auf eine außergewöhnliche „Reise“ zu den Toten.

von Alexandra Miebach  (mie)

Es ist im ersten Moment ein komisches Gefühl, wenn man das Plastinarium in Guben, direkt an der polnischen Grenze, betritt. Am Eingang stehen zwei Skelette. Echte Skelette, keine Plastikmodelle wie im Bioraum einer Schule. Ein bisschen weiter hinten begrüßt uns ein anderes Skelett mit aufgerissenen Augen und erkennbaren muskulären Strukturen.

Es ist nur schwer zu begreifen, dass man hier gerade vor den sterblichen Überresten von Menschen steht – Leichen, wenn man so will. Morbide, ja. Gleichzeitig aber auch unfassbar faszinierend, denn SO stellt man sich eine Leiche nicht vor ... Bevor die Ausstellung Körperwelten in Köln Station macht (ab 21. Juni 2024), haben wir uns am „Produktionsort“ der Ausstellungsstücke in Brandenburg umgesehen.

Plastinarium von Gunther von Hagens: Formalin und Körperteile

Für Rurik von Hagens (44) ist das alles total normal. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie alt ich war, als ich die erste Leiche gesehen habe. Das ist so, als würde ich Sie fragen, wann Sie das erste Mal eine Blume gesehen haben“, scherzt der Sohn von Plastinations-Erfinder Gunther von Hagens – und führt uns durch die Produktion.

Von der Präparation an kann man hier jeden Schritt bis hin zum fertigen Plastinat sehen und den Mitarbeitern über die Schulter gucken. Ja, das ist nichts für schwache Nerven. Als wir die Präparationswerkstatt betreten, riecht es im ersten Moment etwas komisch. Formalin, mit dem die Verwesung gestoppt wird. Auf einem Tisch liegen ein Bein und ein Fuß.

Wir treffen Judy. Die 23-Jährige arbeitet als Präparatorin – ihr absoluter Traumberuf seit Kindertagen, sagt sie. Ob es für sie nicht komisch ist, dass sie mit Leichenteilen arbeitet? „Nein, gar nicht“, sagt sie. „Ich weiß über den Menschen nichts Persönliches. Ich weiß nur, dass es ein Mann war und welche Körperstruktur ich darstellen soll.“

Rurik führt uns weiter. Schon vor Ruriks Geburt hat sein Vater Dr. Gunther von Hagens (79), Schöpfer der berühmten Wanderausstellung Körperwelten, damit begonnen, das Plastinationsverfahren zu entwickeln. Damals arbeitete Gunther von Hagens, der Medizin an der Universität Lübeck studiert hatte, als Wissenschaftler und Assistent am Institut für Pathologie und Anatomie der Universität Heidelberg.

1977 begann er, sich damit zu beschäftigen, wie man Körper(-teile) haltbar machen kann, ohne sie in Kunststoffblöcke zu gießen oder sie in Formalin einzulegen. „Er dachte sich, dass man den Kunststoff, in dem man das Präparat sonst einschließt, irgendwie in die Zellen bekommen müsse“, erzählt uns Rurik von Hagens. Die Idee zur Plastination war geboren.

Blick hinter die Kulissen im Plastinarium in Guben

Erfinder Gunther von Hagens (r.) und sein Sohn Rurik vor dem Plastinarium in Guben nahe der polnischen Grenze.

In den folgenden Monaten tüftelte Gunther von Hagens an dem Verfahren, das ihm ermöglichte, anatomischen Präparaten Flüssigkeiten und lösliche Fette zu entziehen, dadurch deren Zersetzung zu verhindern, und diese Flüssigkeiten dann durch Kunststoffe zu ersetzen. Zeitgleich arbeitete er an einem Verfahren, dass es möglich machen sollte, Organe oder ganze Körper in Scheiben geschnitten zu konservieren, um Querschnitte darzustellen – Scheibenplastinate. Mit Erfolg.

Im März 1978 meldete von Hagens das Patent für die Plastination an. Ab da entwickelte er das Verfahren weiter und verbesserte es. Das erste Ganzkörperplastinat, wie es bei Körperwelten ausgestellt wird, gelang ihm erst 13 Jahre später.

Rurik von Hagens schaute seinem Vater als kleines Kind im Labor über die Schulter. „Mein Vater hat mal ausrangierte Anatomie-Puppen mitgebracht und die bei uns auf den Balkon gestellt – für uns Kinder zum Lernen. Im Kindergarten habe ich erzählt, wir hätten Leichen auf dem Balkon. Dann hat die Kindergärtnerin ganz entsetzt zu Hause angerufen. Mein Vater musste ihr erklären, dass da keine Toten liegen, sondern nur Modelle.“

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Rurik von Hagens erlebte mit, wie aus der kleinen Produktion für Universitäten eine große Firma wurde. 1995 dann die erste Ausstellung in Japan. Bei den ersten Körperwelten-Ausstellungen in Europa, Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre, half die ganze Familie mit. Rurik erinnert sich noch gut an die Ausstellung in Köln im Jahr 2000. „Die Schlangen waren so lang, dass wir rund um die Uhr öffnen mussten, um den Besucheransturm bewältigen zu können.“

Das Plastinarium in Guben, Produktionsstelle und Ausstellung, wurde Ende 2006 eröffnet. Besucher können hier sehen, wie Plastinate hergestellt werden. Warum man das so offen zeigt? „Es gab früher oft Kritik. Leichen ausstellen sei unethisch, hieß es zum Beispiel. Unser Weg, gegen Kritik anzugehen, ist Transparenz.“

Und das schonungslos – und auf beeindruckende Art und Weise. Präparatorin Judy zeigt uns ihre „Schatzkiste“. Darin befinden sich neben Nieren- und Gallensteinen u. a. verschiedene Herzschrittmacher. Judy nimmt sich Zeit und erklärt uns genau, was wofür ist – Medizin zum Anfassen. Spannend, aber auch leicht befremdlich.

Körperwelten: Schöpfer Gunther von Hagens möchte posthum im Plastinarium ausgestellt werden

Ob sie selbst auch Körperspenderin ist? „Ja“, sagt sie lachend. „Ich auch“, erfahren wir von Rurik von Hagens. Und klar, auch sein Vater möchte nach seinem Tod plastiniert werden. „Eine Zeit lang wollte er als Scheibenplastinat auf die ganze Welt verteilt werden. Inzwischen ist sein Wunsch, hier im Plastinarium die Menschen zu begrüßen“, so Rurik.

Das bestätigt uns Gunther von Hagens später selbst. Wir bekommen die seltene Chance, den 79-Jährigen persönlich zu treffen. 2008 wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert. Sprechen fällt ihm heute schwer. Er habe aber immer alles im Blick, erzählt er uns und muss lachen. Und er dränge auch gerne mal, neue Projekte anzugehen, erzählt uns sein Sohn. Sein Plastinarium wird Gunther von Hagens nie ganz verlassen. Nicht mal nach seinem Tod.