Der Lieferdienst Getir Germany sieht sich von Mitarbeitenden in Köln schweren Vorwürfen ausgesetzt.
Zu wenig Lohn und Bedrohung?Ex-Mitarbeiter (26) attackiert Kölner Lieferdienst scharf
Lebensmittel, Kosmetikprodukte und sogar Sex-Spielzeug: In Köln können sich die Anwohner und Anwohnerinnen mittlerweile so gut wie alles nach Hause liefern lassen – und das meist in wenigen Minuten. Der Markt ist umkämpft, neben Gorillas, Wolt oder Flink expandierte im Sommer 2021 auch das türkische Start-up Getir nach Deutschland.
Seit wenigen Monaten ist der 2015 in Istanbul gegründete Lieferdienst auch auf den Kölner Straßen unterwegs. Fetullah Andug (26) war ebenfalls als „Rider“ (Fahrer) für das Unternehmen tätig. Nun ist er das nicht mehr, denn vor kurzem flatterte die fristlose Kündigung bei ihm ein.
Zuvor habe es massive Probleme zwischen Getir und seinen Mitarbeitenden gegeben, wie Andug EXPRESS.de erzählt. Es geht unter anderem um problematische Lohnzahlungen, verkehrsunsichere Fahrzeuge und die Verhinderung einer Betriebsratswahl.
Köln: Schwere Vorwürfe gegen Lieferdienst Getir
Seit Dezember 2021 war der 26-jährige Kölner bei Getir angestellt. In all den Monaten sei es bei Andug und vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen zu falschen oder zu geringen Lohnzahlungen gekommen. „Bei mir sieht es sogar tatsächlich so aus, dass mir knapp 1300 Euro fehlen und diese auch nicht ausgezahlt werden. Die Buchhaltung trickst meiner Wahrnehmung nach sehr an den Abrechnungen und zeigt die Nachzahlungen auch als Abschlagszahlungen an“, sagt Andug gegenüber EXPRESS.de.
Er habe zudem die Informationen, dass es bei vielen weiteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von Getir ebenfalls zu falschen Abrechnungen gekommen sei (Screenshots liegen EXPRESS.de vor): „Ich habe in jedem Store in Köln und auch durch andere Quellen aus Hamburg, Berlin oder München mitbekommen, dass etwa 80 Prozent der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht ihren richtigen Lohn erhalten haben.“
Dazu kommen weitere schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen: So werde die gesetzlich-geregelte Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen von elf Stunden regelmäßig nicht eingehalten (Dienstpläne liegen EXPRESS.de vor), Feiertage nicht ausbezahlt und die Fahrer und Fahrerinnen auf verkehrsuntauglichen Fahrzeugen auf ihre Touren geschickt, wodurch es vermehrt zu Unfällen gekommen sei.
Köln: Getir soll Betriebsratswahl verhindert haben
Um gegen diese Punkte vorzugehen und die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten, trat Fetullah Andug als Initiator für die Gründung eines Betriebsrates auf. Dieses Bestreben sei jedoch auf eine große Gegenwehr gestoßen. Es sei ein großer Druck entstanden, Andug und andere Initiatoren seien beispielsweise bei ihren Toilettengängen Zeit-überwacht worden.
Nun wolle Getir Germany kurzfristig einen eigenen Betriebsrat gründen, mit Personen an der Spitze, die bereits Managerpositionen bekleiden. „Dazu ist zu erwähnen, dass leitende Angestellte aus Sinnesgründen laut Gesetz keinen Betriebsrat besetzen können. Also würde es mich nicht wundern, wenn sich die Positionen der betroffenen Manager plötzlich ändern und sie von wenigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Wahlvorstand gewählt werden. Auch, da ein Großteil der Belegschaft aufgrund fehlender Lohnzahlungen die Wahl gar nicht erst antreten kann“, sagt Fetullah Andug.
Lieferdienst in Köln: Mitarbeiter plädiert für Durchhaltevermögen
Zu der Mitgliederversammlung, die in Berlin stattfindet, sei außerdem nicht fristgerecht eingeladen und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen keine Möglichkeit zur Anreise geboten worden.
„Nachdem ich und meine Kollegen und Kolleginnen aus dem Raum Köln vorgehabt hatten, die Anreise zur Betriebsversammlung auf eigene Kosten zu finanzieren, wurde ich durch den Besuch höherer Manager bei mir zu Hause fristlos gekündigt. Diese Kündigung kann gar nicht gültig sein, da ich als Betriebsrats-Initiator unter besonderem Kündigungsschutz stehe und es auch kein Grund gibt, eine außerordentliche und fristlose Kündigung einzuleiten, da ich definitiv keine Straftat begangen habe“, sagt Andug.
Vielmehr sei Andug selbst von ranghohen Personen von Getir aufgrund seines Engagements bedroht worden – eine gestellte Anzeige liegt EXPRESS.de vor. Trotz seiner Kündigung, gegen die er ebenfalls vorgehen möchte, gibt Fetullah Andug nicht auf.
Er plädiert in Richtung aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Lieferdienstes: „Ich bitte jeden einzelnen, das Recht zu nutzen und bei der Wahl anzutreten. In keinem Fall sollte man Angst haben und sich zurückzuziehen. Es ist das gute Recht eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin, einen Betriebsrat zu wollen und auch zur Wahl anzutreten.“ Er persönlich werde auch vor Ort sein und die ganze Aktion privat begleiten.
Lieferdienst in Köln: Getir reagiert auf Anschuldigungen
Auf eine entsprechende EXPRESS.de-Anfrage äußerte sich Getir Germany zu den weitreichenden Vorwürfen wie folgt: „Wir widersprechen den Anschuldigungen in aller Deutlichkeit. Die Mitarbeiter von Getir bekommen ihre Gehälter in voller Höhe. Getir begrüßt ausdrücklich die Gründung eines Betriebsrats. Die Mitarbeiter von Getir sind herzlich eingeladen, ihre verbrieften Rechte durch die Gründung eines Betriebsrates wahrzunehmen. Bei der Dienstplangestaltung und den Ruhezeiten halten wir uns an die geltenden gesetzlichen Bestimmungen.“