Stadt Köln in Überstunden-FalleLangjährige Praxis wird nun schweres Nachspiel haben
Köln – Die Stadt steckt in der Überstunden-Falle. Allein durch Corona hat sich inzwischen ein Berg von 100.000 Überstunden in der Kölner Verwaltung angehäuft. Auszahlen? Abfeiern?
Auch in den vergangenen Jahren haben Mitarbeiter der Stadt kräftig Überstunden geleistet. Recherchen des EXPRESS haben ergeben, dass diese langjährige Praxis ein Riesen-Problem ist und ein noch größeres Nachspiel hat.
Stadt Köln in der Überstunden-Falle: Das hat jetzt ein Nachspiel
Denn: In all den Jahren haben Vorgesetzte und Mitarbeiter auf eine interne Richtlinie zu Überstunden vertraut, die heute als „missverständlich“ und mit „formellen Fehlern behaftet“ angesehen wird. Der Verdacht: Wurde in Köln massenhaft gegen die eigentlich strengen gesetzlichen Vorgaben des Beamtenrechts für Mehrarbeit als angeordnete Ausnahme und deren Ausgleich (eigentlich durch Freizeit) verstoßen? Ist ein finanzieller Schaden entstanden?
Die städtische Richtlinie wurde im Sommer 2019 geändert. Wie EXPRESS erfahren hat, werden hunderte Überstunden-Fälle der Vergangenheit derzeit im Rathaus aufgerollt. Ein interner Prüfbericht steht noch aus, der in Einzelfällen arbeitsrechtliche oder disziplinarische Konsequenzen nach sich ziehen könnte.
Wie geht die Stadt – auch im Hinblick auf die Corona-Stunden – damit um? Das alles wirft Fragen auf, die die Stadtverwaltung so beantwortet:
Wie geht die Stadtverwaltung mit den massenhaften Überstunden um, die sich durch die Corona-Pandemie in einzelnen Ämtern angehäuft haben? Abfeiern? Wären dann zig Ämter über Monate unterbesetzt? Oder wird ausbezahlt?Die coronabedingten Überstunden können, wenn sie angeordnet und genehmigt sind, ausbezahlt werden. Grundsätzlich wird der Freizeitausgleich einem Ausgleich durch Mehrarbeitsvergütung vorgezogen, aber hier gilt: Wenn die Überstunden durch Freizeitausgleich in Teilen abgegolten werden, muss dies in den Dienststellen so organisiert werden, dass der Dienstbetrieb aufrecht gehalten werden kann. Denn natürlich können dadurch bei den vertretenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wieder Überstunden durch die zusätzliche Arbeitsbelastung entstehen.
Wie ist es mit den Angestellten, wie mit den Beamten?Für Beamtinnen und Beamte gibt es wesentlich engere gesetzliche Anforderungen für die Auszahlung von Überstunden als für Tarifbeschäftigte. Beamte haben Überstunden vorrangig durch Freizeitausgleich abzubauen.
Abseits Corona. Nach Meinung einiger Juristen dürfen Beamte grundsätzlich (eigentlich) keine Überstunden machen, Wie wird dies in der Verwaltung gesehen? Wie wird dies umgesetzt?In einer Krise wie der Coronapandemie kann eine Anordnung von Überstunden für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begründet werden. Außerhalb von Krisen fällt jedoch trotzdem Mehrarbeit an, zum Beispiel durch Sonderaufgaben (Karneval, CSD, Silvester oder sonstige Großereignisse) oder punktuelle Arbeitsspitzen, aber auch die Vertretung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die beispielsweise erkrankt sind. Dies gilt in einer kommunalen Verwaltung wie Köln ebenso wie beispielsweise bei den Polizeibeamtinnen und -beamten im Land.
Woran liegt es, dass die Verwaltung nicht mit weniger Überstunden auskommt?Überstunden fallen nicht flächendeckend an. Ursachen liegen zum Beispiel im Fachkräftemangel sowie der Schwierigkeit Stellen zu besetzen und im Personalabbau früherer Jahre. Aufgrund des großen Aufgabenzuwachses der Kölner Stadtverwaltung mussten und müssen nicht nur die Rückstände bei der Stellenbesetzung aufgeholt werden, sondern zugleich die neu geschaffenen Stellen für die neuen Aufgaben besetzt werden. Das führt automatisch dazu, dass die anfallenden Aufgaben nur durch hohes Engagement und eben auch durch zusätzliche Arbeitsstunden der vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erledigt werden konnten.
In der Vergangenheit haben also auch Beamte in der Kölner Stadtverwaltung Überstunden geleistet (Personalmangel). Und das nicht zu knapp. Und die Beamten sollen jetzt bei der Auszahlung von Überstunden in die Röhre gucken?Die bisherige Dienstvereinbarung aus dem Jahre 2008 war überholt und entsprach nicht mehr den aktuellen rechtlichen Vorgaben. Darauf hat das Rechnungsprüfungsamt im letzten Jahr hingewiesen. Diese Hinweise hat die Verwaltung ernst genommen und eine neue Dienstvereinbarung erlassen, die die Voraussetzungen zusammenfasst und auf deren Basis die Dienststellen seitdem entscheiden.
Welche Konsequenzen hat es, dass eine formell unkorrekte Richtlinie angewandt wurde? Ist der Stadt ein finanzieller Schaden entstanden? Oder gar dem Steuerzahler?In der Regel fehlten nur die formellen Voraussetzungen für die Gewährung – konkret: die vorherige formale Anordnung der Mehrarbeit. Die Stunden wurden aber geleistet. Es ist davon auszugehen, dass die Dienststellen bei korrektem Verständnis der Rechtslage die Überstunden auch formal richtig angeordnet hätten. Der Verwaltung dürfte kein monetärer Nachteil entstanden sein – die Arbeit, also die Gegenleistung, wurde ja erbracht.
Wurden Überstunden auch pauschal vergütet? Welche Konsequenzen kann das für die Mitarbeiter der jeweiligen Konstellation haben?Da die Anordnung von Überstunden in der Verantwortung der jeweiligen Dienststelle liegt, ist eine Gesamtauswertung aller Vorgänge kaum möglich. Unstreitig und eindeutig ist aber, dass grundsätzlich keine Auszahlung für nicht geleistete Überstunden erfolgen darf. In einem solchen Fall prüft die Stadt Köln Konsequenzen in jeglicher Hinsicht.
Wie geht eine große Stadtverwaltung wie Köln in Zukunft mit dem Problem der Überstunden um? Massenhafte Neueinstellungen werden wohl kaum über Nacht gelingen, oder? Ist der Gesetzgeber (Land und Bund) gefragt, um hier etwas zu ändern? Wie könnte eine Lösung aussehen?Es wurde eine Reihe von Maßnahmen erarbeitet, um einerseits eine rechtlich richtige Handhabung sicherzustellen und andererseits das Problem organisatorisch-strukturell anzugehen. Die Zahl der Neueinstellungen seit 2017 zeigt, dass die Verwaltung intensiv dabei ist, aufzuholen.
So wurden seitdem an die 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neu eingestellt. Über Nacht wird dies leider nicht gelingen, schließlich ist nicht zu verkennen, dass in den nächsten Jahren auch die Zahl der Ruheständler anwachsen wird. Die Stadtverwaltung arbeitet daher neben der Beseitigung der Vakanzen auch an der Optimierung der Prozesse und an Digitalisierungsmodellen.
Der Verweis auf den vorrangigen Abbau von Überstunden durch Urlaub oder Freizeitausgleich ist in der Praxis nur schwer umzusetzen – und löst in der Konsequenz häufig Mehrarbeit bei der Vertretung aus. Der öffentliche Dienst benötigt in Gänze mehr Flexibilität, um Arbeitsspitzen aufzufangen. Dieses Problem hat nicht nur die Stadt Köln. Eine praxisorientiertere gesetzliche Lage würde helfen, ebenso wie eine auskömmliche Finanzierung bei der Aufgabenübertragung von Bund und Land auf die Kommune.