„Die Brisanz ist deutlich“Warum Deutschland gerade in die nächste Katastrophe schlittert

Nach der Flutkatastrophe 2021 waren die Bahngleise bei Marienthal im Ahrtal völlig zerstört. Das kleine Dorf wurde weitestgehend zerstört. Eine neue Studie legt nun nahe: Deutschland ist kaum vorbereitet.

Nach der Flutkatastrophe 2021 waren die Bahngleise bei Marienthal im Ahrtal völlig zerstört. Das kleine Dorf wurde weitestgehend zerstört. Eine neue Studie legt nun nahe: Deutschland ist kaum vorbereitet auf die nächste Katastrophe.

Über zehn Monate ist die Sturzflut im Ahrtal her – jene furchtbare Katastrophe, die 134 Menschen das Leben gekostet hat und die sich in das kollektive Gedächtnis gebrannt hat. Eine neue Studie zeigt nun, wie es um die Warnsysteme bei Starkregen in Deutschland steht. Und die gibt Anlass zur Sorge.

von Martin Gätke  (mg)

Der vergangene Sommer 2021 hat auf schreckliche Weise gezeigt, was Starkregen anrichten kann. Kleine Bäche wurden zu reißenden Strömen, Straßen wurden überflutet, Keller und Wohnhäuser weggerissen. Die tödliche Flutkatastrophe Mitte Juli hat das Ahrtal und seine Bewohnerinnen und Bewohner für immer verändert.

Die Aufarbeitung wird wohl noch lange Zeit andauern, Anwohnerinnen und Anwohner sollen vielerorts viel zu spät gewarnt worden sein. Viele Expertinnen und Experten sind sich sicher, dass nicht die Frage ist, ob so eine Katastrophe noch einmal auftritt – sondern wann. Sie bemängeln, dass es kein kreisweit abgestimmtes Katastrophenkonzept gebe.

Zehneinhalb Monate später ist ein mit den Kommunen abgestimmter Alarmplan noch nicht fertig. Eine neue Studie der Technischen Universität Kaiserslautern in Kooperation mit der Universität der Bundeswehr in München hat jetzt ermittelt, wie es um die bundesweiten Warnsysteme steht. Das Ergebnis: Es gibt anscheinend erhebliche Defizite. Kaum eine Stadt oder Gemeinde ist auf dieses Horror-Szenario vorbereitet.

Laut RND lässt sich das Ergebnis der nun vorgestellten Unwetterstudie „Starkregen und urbane Sturzfluten – Agenda 2030″ so zusammenfassen: Deutsche Städte und Gemeinden haben oft keine Ahnung, was ihnen blüht, wenn Starkregen kommt. Theo Schmitt, emeritierter Professor für Bauingenieurwesen der Technischen Universität Kaiserslautern, der federführend an der Studie beteiligt ist, sagt: „Die Brisanz ist deutlich“.

Starkregen und Sturzflut: „Gibt kaum eine Region, die sicher ist“

Der Experte erklärt: „Es gibt kaum eine Region in Deutschland, die vor Starkregen und urbanen Sturzfluten sicher ist.“ Auch Orte, an denen keine Gewässer fließen, seien bedroht. Der Klimawandel würde jene Wetterextreme begünstigen, wie Nordrhein-Westfalen sie im Sommer 2021 erleben musste. Und das an immer mehr Orten.

Gerade Sturzfluten, die durch Starkregen auftreten, seien besonders gefährlich, weil sie meist ohne Vorwarnung und sehr plötzlich kommen. Die Wassermassen, die sich aufbauten, seien ein besonders kritischer Faktor.

Die Autorinnen und Autoren der Studie beklagen nun: Viele kleinere Städte und Gemeinden sind sich dieser Gefahrenlage kaum bewusst. Es gebe erhebliche Defizite beim Schutz vor den Katastrophen, trotz des wachsenden Risikos.

Unwetter und Starkregen: „Lokalpolitiker blenden Probleme oft aus“

„Wenn eine Gemeinde noch nicht Opfer eines Unwetters war, blenden Lokalpolitiker die Probleme oft aus“, wird Schmitt vom RND zitiert. Er fordert: „Die Kommunen müssen zu mehr Prävention gezwungen werden.“ Bund und Länder sollten Kommunen sowohl mehr unterstützen – auch finanziell – als sie auch in die Pflicht nehmen.

Es sei zum Beispiel wichtig, als erstes detaillierte Gefahrenkarten für das Risiko Starkregen zu erstellen – so wie es etwa in Köln der Fall ist. Im nächsten Schritt könnten die Orte dann „wassersensibel“ entwickelt werden, so die Forscherinnen und Forscher.

Starkregen: „Deutschland muss sich auf das, was kommt, vorbereiten“

Das Fazit der Studie: Die Zeit drängt. Denn allein die Kartierung würde wohl bis 2030 dauern, daher sollte sofort damit angefangen werden. Laut Schmitt sei zudem ein bundesweit funktionierendes Frühwarn- und Informationssystem nötig. „Deutschland muss sich auf das, was noch kommt, möglichst effektiv vorbereiten.“

Im Ahrtal jedenfalls steht die Erstellung eines Gesamtkonzepts noch am Anfang. Die Kreisverwaltung in Bad Neuenahr-Ahrweiler erklärte kürzlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass man zu einem möglichen Fertigstellungsdatum keine Aussage treffen könne. „Der Aufbau eines elektronischen Sirenenwarnnetzes für die ahranliegenden Gemeinden ist derzeit in vollem Gange.“ Rund 70 Prozent von etwa 80 geplanten Sirenen im Ahrtal seien bereits montiert.