Das Ende einer Ära: Die letzte Großvideothek in NRW schließt. Wir erinnern uns hier an die Zeiten von Zurückspulen, Strafgeld und Sex-Ecke.
Zurückspulen & Pornos für den ZahnarztEnde einer Ära: Letzte Großvideothek macht dicht
Der „Joker“ zieht nicht mehr. Am Mittwoch, 22. Januar, geht der Thriller noch mal als DVD oder Blu-ray übern Ladentisch, dann schließt auch die letzte Mega-Videothek in NRW für immer. Wolfgang Mohrlang (75), der einst mehr als 40 Videopaläste hatte und „richtig viel Geld damit verdiente“, füttert fortan lieber Fische, als Retro-Fans mit Nachschub zu versorgen.
Ist das das Ende einer Ära oder feiert das Heimkino ohne Streaming doch noch ein Comeback bei der Generation Z? Unsere Redakteurin begibt sich mit Mohrlang auf Zeitreise ...
Sie waren Kult: Zeitreise in die Videotheken von einst
„Kann mir jemand helfen? Videothek, DVD, Blu-ray. Was ist das bitte? Hab ich noch nie gehört“, postet ein User namens lucas_hiii zur Meldung, dass der DVD-Dino aufgibt. EXPRESS hilft dem Streaming-Opfer, offenbar gefangen in einer Blase digitaler Blockbuster, natürlich gern.
Also, lieber Lucas: Früher, in der „guten alten“ Zeit, da war das noch anders. „Kinder, auf zur Videothek!“ FIFA-Spiel für den Sohn, Singstar für die Tochter (ja, voll das Rollenklischee) und dazu drei Videos zum Wochenendtarif: „Das Schweigen der Lämmer“, „TKKG“ und „Basic Instinct“ – für jeden etwas. Und wehe, du hast in den 90ern die VHS-Kassette nicht zurückgespult, das gab einen mächtigen Rüffel samt Strafgeld. Genauso wie beim Überziehen eines Filmes. Der nächste DVD-Fan hatte ihn ja schon reserviert und wartete sehnsüchtig darauf.
„Wir hatten an manchen Tagen bis zu 1500 Menschen bei uns im Laden, von neuen Blockbustern sogar 250 Kopien, damit keiner leer nach Hause gehen musste“, erinnert Mohrlang sich wehmütig. „Spiel auf Zeit“ mit Nicolas Cage – den wollte jeder. „Crocodile Dundee“ über 300 D-Mark im Einkauf – den musste man verdammt oft verleihen, um Gewinn zu machen. Er schmunzelt: „Aber richtig Geld verdient haben wir natürlich mit der Erotik-Ecke, zu Zeiten von Theresa Orlowski, Sybille Rauch und Gina Wild.“ Patentes Mädchen sei das gewesen, „da kamen 1000 Leute zur Autogrammstunde in die Videothek.“ Und man kannte die Kundschaft. Für den Zahnarzt, „der sich jeden Tag einen Porno lieh, mussten wir immer die DVD aus der Hülle nehmen“, lacht er.
Wie oft Mohrlang diesen Dialog wohl gehört hat? „Mama, was ist hinter dem Vorhang?“ – „Nichts, mein Kind, aber wenn du dich dahin wagst, gibts einen Satz heiße Ohren.“ Nur für Erwachsene! Am Wochenende seien gerne Paare gemeinsam in die sündige Ecke gekommen, um sich Filme auszusuchen. Solange zumindest, bis das Internet kam und mit einem Klick daheim jede Stellung bediente. Aber bei Amazon und Co. kann man auch heute noch „Nymphomatic Vol. 1 bis 11“ als Blu-ray kaufen. Das schützt nämlich vor Computerviren, die man sich bei manchem Pussy-Kram im Netz einfangen kann. Aber das sind die Ausnahmen.
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Anfang 2001/2002 ging es bergab mit dem Videogeschäft. Die Videothek wurde ein Küchenstudio, die Video-Taxis, die den Wunschfilm sogar ins Pantoffelkino brachten, liefern heute vegane Kochboxen. Ein Abschied auf Raten! Gut 1000 Filme aus Kölns letzter „Videothek“ in Rodenkirchen sind heute vor dem Kiosk Wind und Wetter ausgesetzt. „Bridget Jones“ hat arg Patina angesetzt, da greifen für drei Euro nur noch Sammler zu. Aber diese DVD-Cineasten gibt es wirklich noch auch in der Generation Z. „Seit ich das Format entdeckt habe, ist Netflix für mich gestorben“, sagt etwa Lena Hütter (26). Man bezahle fürs Streamen viel Geld und „stellt dann fest, dass man auf die Hälfte allergisch reagiert“. In der Videothek hingegen gebe es keinen Algorithmus, hier sei sie selbst diejenige, die etwas finde.
Das ist sicherlich auch ein Grund, warum die Kölner „Traumathek“, vor 31 Jahren von Karin Hüttenhofer gegründet, immer noch existiert. Eine liebevoll zusammengestellte Programm-Videothek mit Tausenden von Filmen, vom Stummfilm über die Werkschau des Kölners Udo Kier bis hin zu aktuellen Kinofilmen. Man kann Filme für zwei Werktage oder auch eine Woche ausleihen – und sogar Clubmitglied werden. Um finanziell über die Runden zu kommen, hat Hüttenhofer zudem ein Café und ein Ladenkino für 25 Personen in ihre „Traumathek“ integriert. Keine Frage: Eine tolle Location für Cineasten, um zu stöbern oder den Geburtstag zu feiern – aber kein Projekt, um reich zu werden.
Die DVD stirbt eben langsam, auch in den großen Mediafachmärkten. Dort stehen jeden Monat nach wie vor ein paar neue DVDs und Blu-Rays im Regal. „Unsere Käufer sind Sammler zwischen 40 und 60 Jahren“, sagt ein Saturn-Verkäufer. Seine Hoffnung: „New Aduld-Bücher sind bei Jüngeren ebenso wie Schallplatten total angesagt. Vielleicht wird auch die DVD-Sammlung wieder ein Hit.“