Erneut sorgt ein Jahrhundert-Hochwasser in Deutschland für Chaos: Aktuell spitzt sich die Lage im Süden weiterhin zu, andernorts beginnen bereits die Aufräumarbeiten. Bei einer Bäcker-Familie aus Ahrweiler rufen die Bilder schreckliche Erinnerungen an das fatale Hochwasser 2021 wach. Nun will sie helfen.
„Es war unheimlich“Hochwasser-Opfer berichten von dramatischem Erlebnis
Wieder versinken Häuser, Autos, ganze Dörfer in den Fluten. Wieder schwellen kleine Bäche und Flüsschen zu reißenden Strömen an. Erneut müssen Menschen um ihr Leben fürchten, ihr Hab und Gut, ihre Existenz.
Das Hochwasser im Süden Deutschlands forderte bereits mindestens fünf Tote. Seit Tagen kämpfen Helferinnen und Helfer mit ganzer Kraft gegen die Flut, doch für einige kommt jede Hilfe zu spät.
Hochwasser in Bayern erinnert an dramatische Lage in Ahrweiler
Die Lage in Süddeutschland bleibt kritisch. Schon jetzt steht fest: Es ist ein Jahrhundert-Hochwasser, so wie vor fast genau drei Jahren in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, als die Fluten das Ahrtal trafen. Insgesamt kamen dabei 184 Menschen ums Leben.
Die Bilder der Wassermassen, die über die Dörfer und Gemeinden hinwegrollen und alles mit sich mitreißen; Fahrräder, Autos, Stühle, Haushaltsgegenstände, die im Wasser treiben – all das lässt auch bei Familie Schmitz die Erinnerungen an die schreckliche Zeit wieder hochkommen, als ihre kleine Bäckerei im Herzen von Ahrweiler unter Wasser stand.
Seit 1992 verkaufen Jürgen und Petra Schmitz Brot, Printen, Lebkuchen mitten in der Altstadt von Ahrweiler, mittlerweile führt die Familie zwei weitere Filialen in Ramersbach und Bachem. Sohn Jan-Philipp soll das Unternehmen in zweiter Generation fortführen, doch im Jahr 2021 stand die Familie knapp vor dem Ruin. Denn auch die Bäckerei versank in den Fluten – so wie ganz Ahrweiler.
„In dem Video, das ich sah, schwammen Mülltonnen und Autos“
Jan-Philipp Schmitz saß damals abends in einer Kneipe, um mit Freunden Dart zu spielen, als er das erste Video vom Hochwasser auf seinem Handy sah. „In dem schwammen Mülltonnen, Autos – und wir haben noch gesagt: Das kann doch gar nicht sein. Uns war noch nicht bewusst, dass sich diese Szenen ein paar Stunden später auch bei uns so abspielen werden.“
Nur zwei Stunden später rief die Mutter an: „Komm schnell Sandsäcke befüllen.“ Beide befüllten die Säcke auf einem Spielplatz direkt an der Ahr. „Und innerhalb von nur zwei Minuten rauschte das Wasser an uns vorbei und wir standen auf einer Insel.“
Zu dem Zeitpunkt hat die Familie noch gar nicht verstanden, dass auch ihre Bäckerei bald unter Wasser stehen wird. Jan-Philipp fuhr noch in eine Parallelstraße, um dort Bekannten zu helfen. Irgendwann kurz vor Mitternacht war er dann Zuhause, als plötzlich die Sirene aufheulte.
„Ich dachte erst, sie wollen die restlichen Leute rufen. Das war aber der Katastrophenalarm. Das haben wir gar nicht realisiert.“
„Als das Wasser kam, es ging alles sehr schnell“
Und dann passierte es: „Das Wasser kam. Dann ging alles sehr schnell.“ Die Schwester eilte zur Hilfe, ebenso der beste Freund, mit dem Jan-Philipp kurz zuvor noch gemütlich in der Kneipe saß. Viele Hände wurden plötzlich gebraucht. „Wir haben alles aus dem Keller geholt, was uns irgendwie wertvoll in diesem Moment erschien.“
Zunächst wurde alles im Erdgeschoss gelagert. „Wir konnten noch gar nicht ahnen, dass auch das wenig später absäuft.“
Denn während noch Mehlsäcke aus dem Keller nach oben wanderten, stieg und stieg der Pegel vor dem Eingang der Bäckerei. „Und dann haben wir von innen gesehen, wie das Wasser draußen gegen das Schaufenster im Erdgeschoss drückte. Das halbe Fenster stand schon unter Wasser.“ Ab da an war dann klar, dass nicht nur der Keller überflutet werden wird. Die Familie flüchtete in den nächsten Stock. „Aber zum Glück waren wir alle zusammen!“
Und während Familie Schmitz nachts im Wohnzimmer im ersten Stock ausharrte und immer mehr Wasser in das uralte Fachwerkhaus und ihre Bäckerei unter ihnen drang, hörten sie, wie die Scheiben der anderen Häuser um sie herum zerbarsten. „Vor unserem Haus schwammen Autos vorbei, Fässer, alles Mögliche. Und irgendwann war unser Schaufenster dran.“
„Es wurde schlagartig kälter. Es roch nach Öl, ekelhaft. Es war unheimlich.“
Jan-Philipp erinnert sich an den Moment: „Es wurde schlagartig kälter. Es roch nach Öl, ekelhaft. Es war unheimlich.“ Über das offene Treppenhaus beobachtete die Familie den Pegel im Verkaufsraum, wie er stieg und stieg. „Wir haben schon damit gerechnet, noch eine Etage höher zu müssen.“
Am nächsten Tag dann wurde der Schrecken für alle sichtbar: Der Sohn balancierte über das Dach in die Backstube, machte die ersten Fotos vom Schaden, von dem Schlamm, den zerstörten Geräten und Möbeln. „Wir haben da noch gar nicht geahnt, was da wirklich auf uns zukommt und dachten: Wir machen jetzt eine Woche lang sauber und das war es. Dann machen wir die Bäckerei wieder auf.“
Doch es wird ganze neun Monate lang dauern, bis die Bäckerei wieder Brötchen verkaufen kann, bis alles wieder renoviert ist. Und die letzten Spuren der Katastrophe verschwunden. Allein das Wasser aus dem Haus zu pumpen und den Schlamm zu entfernen, dauerte mehr als zwei Wochen. Weitere acht, um alles mit großen Geräten zu trocknen.
„Wenn wir die Bilder sehen, kommt der Schrecken von damals wieder hoch“
Immerhin eine große Befürchtung verschwand schnell, als die Versicherung anrief und erklärte: Familie Schmitz muss sich keine Sorgen machen. Aufatmen. „Auch für die Hilfen und die Spenden sind wir extrem dankbar!“
Und nun steigt das Wasser wieder, diesmal in Bayern und Baden-Württemberg. Und wo die Pegel sinken, wird der ganze Schaden sichtbar. Das Aufräumen beginnt.
„Wenn wir die Berichte im Radio hören, die Bilder im Fernsehen sehen, kommt der ganze Schrecken von damals wieder hoch, das ist ganz klar“, erklärt Jan-Philipp. „Man sieht die Flut mit anderen Augen, man sieht wie hilflos die Leute sind.“
Deshalb wolle die Familie helfen, erklärt sie. Freunde und Bekannte aus Ahrweiler sind bereits in Bayern, um mit anzupacken. „Wir wollen jetzt unsere Erfahrungen teilen. Und vielleicht den Bäckereien in der Region helfen, die betroffen sind und das Gleiche durchmachen müssen wie wir damals.“ Zusammen mit seinem Vater plane er gerade diese Hilfe.