Tod durch Drogen? In NRW keine Seltenheit mehr. In den vergangenen Jahren hat sich die Anzahl der Drogentoten enorm erhöht. Wie konnte es nur so weit kommen?
Schockierende Entwicklung in NRWImmer mehr Menschen sterben an Drogen – das sind die Ursachen
Die Zahl der Drogentoten hat sich in NRW in wenigen Jahren mehr als verdreifacht – auf zuletzt fast 700 im Jahr 2021. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr starben in NRW im gleichen Jahr bei Unfällen 425 Menschen.
Bundesweit wäre die Zahl der Drogentoten 2021 sogar rückläufig gewesen, wenn man Nordrhein-Westfalen herausrechnet. Dass es trotzdem zu einem deutlichen Anstieg kam, liegt an Nordrhein-Westfalen mit 292 Drogentoten zusätzlich in nur einem Jahr.
NRW: Mehr Drogentote durch Langzeitschäden?
Aber was ist die Ursache? Fachleute bringen eine Reihe von Faktoren ins Spiel, geben aber auch zu: „So richtig aufgeklärt ist das nicht.“ In den letzten Jahren gehe 80 Prozent des Anstiegs der Todesfälle in NRW auf die Gruppe der Drogenabhängigen zurück, die an den Langzeitschäden ihres Konsums sterben. „Der durchschnittliche Drogentote ist aktuell über 40 Jahre alt“, sagt Prof. Norbert Scherbaum, Klinikdirektor für Psychiatrie an der LVR-Uniklinik Essen.
Durch die besseren Hilfsangebote sind die Abhängigen älter geworden. „Es geht nicht mehr um den 19-Jährigen auf dem Bahnhofsklo.“ Die Langzeitabhängigen würden oft auch nicht an einer Überdosis sterben, sondern etwa an Lungenkrebs oder einer Leberzirrhose. „Wir betreuen in der Substitutionsbehandlung Menschen, die sind seit 40 Jahren abhängig und inzwischen 60 Jahre alt“, sagt Scherbaum.
„Nur bei einem Teil der Todesfälle finden Obduktionen und toxikologische Blutanalysen statt“, sagt Scherbaum. „Was uns umtreibt, ist der Mischkonsum“, ergänzt Prof. Heino Stöver (Uni Frankfurt). Bei Entzug greifen die Süchtigen schnell zu anderen Drogen, was es anschließend schwierig macht festzustellen, welche die tödliche war.
Eine Opioid-Krise wie in den USA durch synthetische Opiate wie Fentanyl sehen die Experten und Expertinnen unisono nicht. Dort starben zuletzt 107.000 Menschen in einem Jahr an Drogen.Hier nehmen Sie an unserer EXPRESS.de-Umfrage teil:
„Natürlich wäre eine Fentanyl-Welle hochgefährlich. Ein massenhaftes Phänomen scheint das aber nicht zu sein. Vor zwei, drei Jahren haben wir Urinproben in ein Spezial-Labor gegeben“, sagt Scherbaum. Herausgekommen ist eine sehr geringe Zahl von Fentanyl-Nachweisen, die der Selbstauskunft der Abhängigen ungefähr entsprach.
Ob sich daran etwas geändert hat, untersuchen Forscher und Forscherinnen seit Dezember erneut. „So was wie in den USA wird es bei und nicht geben. Dazu sind die Ärzte viel zu alarmiert“, ist sich Suchtforscher Stöver sicher.
Corona-Pandemie wird zum großen Problem für Drogensüchtige
Geschlossene Anlaufstellen, Hilfsangebote auf Sparflamme: Dass die Corona-Pandemie für die Süchtigen ein großes Problem war, bestätigen alle. Die Isolation dürfte in vielen Fällen rasche Hilfe verhindert haben.
Auch die Suizide unter den Süchtigen verdoppelten sich während der Pandemie. „Die Einsamkeit war ein Problem und das Virus selbst, für die gesundheitlich geschwächten Süchtigen natürlich auch“, sagt Caritas-Suchtexpertin Angelika Schels-Bernhards. „Skandalös war, dass die Kontaktläden der Süchtigen als gastronomische Einrichtungen eingestuft und geschlossen wurden. Man hat die Leute buchstäblich auf der Straße stehenlassen.“ Waren andere Bundesländer liberaler?
In den Drogenkonsumräumen in Nordrhein-Westfalen wird mehr Crack geraucht, berichtet Dorothee Mücken von der Suchtkooperation NRW. Crack und seine Variante Freebase seien „in der Breite angekommen und nicht mehr nur auf einzelne Szenen beschränkt“, sagt auch Markus Lahrmann von der Caritas NRW.
Der Anstieg um 25 Todesfälle in diesem Bereich ist mit 132 Prozent in einem Jahr zwar enorm, macht andererseits für 2021 nicht einmal ein Zehntel des gesamten Anstiegs aus.
Das Lagebild des Landeskriminalamts NRW weist einen Anstieg der Drogentoten für 2021 in allen Bereichen aus. Zwischen 51 Prozent bei den unbekannten Vergiftungen und 400 Prozent bei den Unfällen im Zusammenhang mit illegalen Drogen variieren die Steigerungsraten. Bei den Opiaten und Opioiden liegt der Anstieg bei über 200 Prozent.
Nach wie vor stirbt ein Großteil der Süchtigen an Opiaten wie Heroin oder synthetischen Opioiden. Positive Wirkung versprechen sich die Experten und Expertinnen von der häufigeren Verwendung eines Nasensprays mit Naloxan, das die Atemlähmung bei einer Überdosis sehr schnell auflöst.
Weil man die Abhängigen damit zugleich abrupt in die Realität zurückholt, dürfe man bei der Anwendung aber nicht mit Dankbarkeit rechnen, berichtet Stöver: „Die Leute sind eher verärgert. Man hat ihr Leben gerettet, aber ihnen den Schuss versaut.“ (dpa)