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Für immer auf Hilfe angewiesenGucci-Gang prügelte Wuppertaler Rentner zum Pflegefall
Wuppertal – Die Pfleger spornen ihn an: „Und rechts, und jetzt kommt links, und nun wieder rechts.“ Ali Polat, 70, schlurft über den Gang. Auf Kommando schiebt er den rechten und linken Fuß vor. Ein Video, dass dieser Zeitung vorliegt, zeigt, wie zwei Pfleger in einer Reha-Klinik in Haan nahe Wuppertal den Rentner kräftig stützen, so dass er einige Meter bewältigen kann. Polat hat sein rechtes Augenlicht verloren, er kann weder sprechen noch selbständig essen. Meist dämmert der alte Mann im Rollstuhl vor sich hin.
Nach Jahrzehnten als erfolgreicher Betreiber des ersten türkischen Lebensmittel-Ladens in Wuppertal wollte er seinen Altersabend genießen. Und dann kam jener Abend des 21. Mai, an dem alles anders wurde. Polat wollte seine Ehefrau gegen 21 Uhr zur Klink begleiten, das Paar wartete auf den Bus an der nahegelegenen Haltestelle. Als Polat mitbekam, dass sich erneut eine Gruppe Jugendlicher in das Wohnhaus einschlich, in dem er lebte, eilte er zurück.
Wuppertal: Bande hatte den Flur mehrmals als Unterschlupf genutzt
In der Vergangenheit hatte die Gruppe gleich mehrfach den Flur als Unterschlupf genutzt, um dort zu rauchen, mitunter urinierten sie auch in die Ecken. Polat eilte zurück zum Haus. Er forderte die beiden Jungen und vier Mädchen auf, das Objekt zu verlassen. Maik V. und Hendrik S., (Namen geändert) rasteten aus.
Den späteren Ermittlungen zufolge begannen sie auf den Hausherrn einzuprügeln. Binnen Sekunden verlagerte sich die Szene auf die Heckinghauser Straße. Die 14 Jahre alten Jugendlichen jagten demnach den alten Mann vor sich her. Seine Frau schrie vor Entsetzen, als Maik V. auf Polat eindrosch. Sein Kumpel trat ihm von hinten in den Rücken, der Rentner knallte mit dem Kopf gegen die Hauswand und sackte zu Boden. Die Mädchen der Gruppe johlten laut Zeugenaussagen: „Der bewegt sich ja noch, schlagt zu, macht ihn fertig!“
Als Passanten eingriffen, flüchteten die Angreifer. Maik V., der Hauptschläger, wurde durch einen Kampfsportler gepackt. Trotz Kratzens und Beißens hielt der Mann den Tatverdächtigen solange im Griff, bis die Polizei erschien. Auch sein Komplize ging kurz darauf in Untersuchungshaft.
Gucci-Bande macht die Wuppertaler Stadtteile Barmen und Elberfeld seit zwei Jahren unsicher
Wuppertaler Polizei stößt bei Gucci-Bande an ihre Grenzen
Die Polizei stieß hier in der Vergangenheit meist an ihre Grenzen, da die Gucci-Gang das Gros der Straftaten im strafunmündigen Alter bis zu 13 Jahren begangen hatte. Allein für die beiden Hauptbeschuldigten Martin S. und Marc V., beides Deutsche, sind 220 Fälle aktenkundig.
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die beiden Schüler wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Einer von ihnen sitzt weiterhin in U-Haft, weil er bereits zuvor zu einer achtmonatigen Jugendstrafe wegen einer Gewalttat verurteilt worden war. Der andere wurde in eine geschlossene Jugendanstalt verlegt.
Die Stadt hat eigens zwei Sozialarbeiter abgestellt, die sich um die Gucci-Gang kümmert. Kürzlich verkündete das Jugendamt, dass durch die Arbeit der Streetworker, die Bande so nicht mehr existiere. Ein Sprecher der Polizei Wuppertal bestätigte „den positiven Trend, die Fallzahlen sind rückläufig“. Das bedeute aber nicht, dass man in den beiden Vierteln keine Straftaten mehr aus dieser Altersklasse verzeichne.
Prügel-Attacke in Wuppertal: Opfer Ali Polat rang tagelang mit dem Tod
Das Gang-Opfer Ali Polat wird nie wieder der Alte werden. Nach der Attacke rang der türkische Rentner tagelang mit dem Tode. Im Rettungswagen hatte er über üble Kopfschmerzen geklagt und war dann bewusstlos zusammen-gebrochen. Der Angriff hatte offenbar zu massiven Hirnblutungen geführt.
Seither versucht Ali Polat sich wieder ins Leben zurück zu kämpfen. Wenn sein Sohn Ecevit über die Fotos aus der Reha-Klinik blickt, muss er schwer schlucken: „Die Pfleger und Ärzte versuchen alles, aber mein Vater wird wohl ein Pflegefall bleiben.“ Ecevit Polat, 41, hat die Fotos und Videos dem Kölner Stadt-Anzeiger zur Verfügung gestellt, weil er aufrütteln will. Weil er zeigen möchte, wie solch eine massive und unnütze Gewalt „ein Menschenleben zerstören kann“.
Ecevit Polat ist wie seine drei Geschwister in Deutschland geboren, arbeitet heute als Immobilienvermittler. Er und seine Geschwister haben eine deutsche Staatsbürgerschaft. „Wir sind zwar in einer Straße groß geworden, in der viele Türken lebten, aber mein Vater hat immer gesagt, sucht euch deutsche Freunde, das hier ist ein tolles Land mit vielen Möglichkeiten.“
Ein Land, an das der promovierte Islamwissenschaftler immer geglaubt hat. Mit einem Rechtsstaat, den er unter dem Erdogan-Regime in der Heimat seines Vaters stets vermisst hat. Die Polats sind alles andere als Anhänger des Autokraten in Ankara. „Nun aber verliere ich langsam den Glauben an die hiesige Justiz“, bekennt Ecevit Polat.
Der Grund ist denkbar simpel und zugleich für die Polat-Familie schwer fassbar: Anfangs hatte die Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen die beiden Hauptverdächtigen wegen schwerer Körperverletzung ermittelt, letztlich aber den Strafvorwurf auf gefährliche Körperverletzung herabgestuft.
Zur Begründung berufen sich die Strafverfolger auf ein rechtsmedizinisches Gutachten. „Demnach schließen die Ärzte nicht aus, dass die Hirnblutungen von einem kurz zuvor erlittenen Schlaganfall herrühren könnten, also musste man abstufen“, erklärt Wolf Tilman-Baumert, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Man könne nicht etwas anklagen, was sich nicht beweisen lasse.
Sohn Ecevit Polat reagiert fassungslos auf Gutachten
Ecevit Polat reagiert fassungslos: „Nirgends ist in dem Gutachten die Rede davon, dass mein Vater sein rechtes Augenlicht durch den Angriff verloren hat, überdies war er immer kerngesund.“
Polat hat den Befund einem befreundeten Professor für Neurologie vorgelegt, „und der hat genau das Gegenteil festgestellt“. Und zwar, dass der Zustand seines Vaters mit den erlittenen Schlägen zusammenhänge. Der Sohn würde gerne ein ärztliches Gegengutachten in das Verfahren einbringen. Das aber ist nicht so einfach. Juristischen Feinheiten spielen eine Rolle: Der Fall einer gefährlichen Körperverletzung stellt keinen Verbrechenstatbestand dar.
Folglich darf die Familie Polat im Prozess gegen die Gucci-Schläger nicht als Nebenkläger auftreten. Anders wäre es beim Strafvorwurf der schweren Körperverletzung. Dann hätte die Familie und ihr Nebenklage-Anwalt am Prozess teilnehmen und eigene Beweisanträge stellen können. So aber wird es schwierig, rechtliches Gehör zu finden. „Es steht der Familie frei, ein Privatgutachten bei Gericht einzureichen und den Antrag zu stellen, den Strafvorwurf wieder anzuheben“, erläutert Oberstaatsanwalt Baumert, „der Ball liegt jetzt beim zuständigen Jugendschöffengericht“.
Bei der Verhandlung gegen Jugendliche wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Folglich tun sich für die Familie Polat wenig Chancen auf, zu erfahren, wie und warum letztendlich ihr Vater heute im Rollstuhl sitzen muss, weil er ein paar Jugendliche aufgefordert hatte, seinen Wohnsitz zu verlassen.
Bald, so hat die Krankenkasse wissen lassen, kommen Kosten auf die Familie zu – für Pflege und Unterkunft. Die Frau des Opfers hat sich eigens eine Wohnung nahe der Reha-Klinik gemietet, um täglich bei ihrem Mann zu sein. „Dieser Vorfall hat das Leben unserer ganzen Familie total durch einander gebracht.“
Stets hat Ecevit Polat zu seinem Vater aufgesehen, hat ihn respektiert. „Deshalb ist es auch so schwer zu ertragen, dass man mit ihm nicht einmal mehr ein normales Gespräch führen kann.“
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