Hollywood kämpfte für BegnadigungCaryl Chessman – Der Gangster mit den acht Leben
San Quentin – Es ist der 19. Februar 1960. In einem Käfig neben der Gaskammer im berüchtigten Knast San Quentin in Kalifornien wartet Caryl Chessman (38) auf seine Hinrichtung. Da klingelt das Telefon.
Kurz und knapp teilt Gouverneur Edmund Brown Gefängnisdirektor Fred Dickson mit, dass er die Exekution um 60 Tage verschiebe. Es ist bereits der achte Aufschub für den zum Tode verurteilten Häftling mit der Nummer 66565 B...
Caryl Chessman: Hollywood-Stars kämpften für sein Leben
Sein Fall sorgte weltweit für Schlagzeilen und mobilisierte Zehntausende Gegner der Todesstrafe – darunter prominente Hollywood-Stars wie Shirley MacLaine und Marlon Brando.
Zwölf Jahre saß Chessman zu diesem Zeitpunkt schon in der Todeszelle – ein Gangster, dem es wieder gelungen war, seine Hinrichtung herauszuzögern. Der seit seinem 16. Lebensjahr kriminelle Amerikaner war 1948 verurteilt worden, weil die Justiz sicher war, dass er berüchtigte Rotlicht-Bandit sei.
Caryl Chessman soll der Rotlicht-Bandit gewesen sein
Der hatte seit Wochen Los Angeles in Atem gehalten. Auf einsamen Parkplätzen hatte er Liebespaare überfallen, sie ausgeraubt und mehrere Frauen missbraucht. Der Sextäter gab sich als Polizist aus – mit Hilfe roter Blinklichter auf dem Dach seines Autos. Daher der Name Rotlicht-Bandit.
Anfang 1948 schließlich war einer Polizeistreife ein Ford aufgefallen, der zur Beschreibung des Täter-Wagens passte. Die Insassen – Chessman und ein Begleiter – versuchten zu fliehen, konnten aber nach einer wilden Verfolgungsjagd gestellt werden.
Die Ermittler waren sich sicher, den Rotlicht-Banditen gefasst zu haben. Schon wenige Monate später begann in Los Angeles der Prozess gegen Chessman, der abstritt, der Gesuchte zu sein. Doch niemand glaubte ihm – handfeste Beweise gab es allerdings auch nicht.
Caryl Chessman erhält umstrittenes Todesurteil
Aufgrund von Indizien und umstrittener Augenzeugen-Aussagen verhängte das Schwurgericht am 25. Juni 1948 dennoch die Höchststrafe gegen den 27-Jährigen: zweimal die Todesstrafe (sollte durch Vergasen gesehen), plus 15 Freiheitsstrafen, darunter einmal lebenslänglich – wegen Raubes, Kidnapping und Vergewaltigung.
Es war jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bis Chessmans Leben in der Gaskammer enden würde. Doch der beschloss, sich zu wehren. Kaum in den Todestrakt von San Quentin verlegt, ließ er sich juristische Handbücher bringen und schöpfte dann clever alle Mittel aus, um die Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen.
Caryl Chessman wird zum Medienstar
So entging er immer wieder seiner Hinrichtung – der erste Termin war für den 28. März 1952 festgelegt. Und er versuchte sein Glück als Schriftsteller. Mit Erfolg. Schon sein erstes Buch „Todeszelle 2455“ wurde ein millionenfach, in 13 Sprachen übersetzter Bestseller, der auch verfilmt wurde.
Drei weitere Bücher sollten noch folgen. Für Irritationen sorgte allerdings seine Behauptung in einem der Bücher, dass er die wahre Identität des Rotlicht-Banditen kennen und eines Tages lüften würde. Die Antwort blieb er schuldig, doch seiner Popularität als damals berühmtester Todeskandidat schadete das nicht.
Längst war Chessman ein Medienstar – ein PR-Profi in eigener Sache. Sein Konterfei zierte die Titel von „Time“ und „Life“. TV- und Radiosender, Zeitungen und Magazine rissen sich um Interviews, machten gegen die Todesstrafe mobil.
Weltweit Demos für Chessman
In den USA und vielen anderen Ländern weltweit demonstrierten Gegner der Todesstrafe, sammelten Unterschriften für Petitionen, um Chessman zu retten.
Auch viele Prominente setzten sich für seine Begnadigung ein – neben Marlon Brando und Shirley MacLaine auch der Komiker Steve Allen, die Bestsellerautoren Norman Mailer, Ray Bradbury und Aldous Huxley sowie der berühmte Arzt, Philosoph und Pazifist Albert Schweitzer. Ihr Protest lief ins Leere.
Caryl Chessman erzielt achtmal einen Vollstreckungsaufschub
Chessman selbst gab allerdings nie auf. Nachdem er bereits mit Hilfe von Anwälten achtmal einen Vollstreckungsaufschub erreicht hatte, hoffte er, auch den neunten Hinrichtungstermin am 2. Mai 1960 zu überleben.
In der englischen Version eines berühmten Sprichwortes hat eine Katze neun Leben. Chessman sprach einmal davon, dass es „ein großartiger Scherz wäre, auch noch das neunte einzusacken“. Fast wäre ihm das auch tatsächlich gelungen.
Kaffee, Milch und Eis als Henkersmahlzeit
Ein Tag vor der Hinrichtung ließ er sich als Henkersmahlzeit Kaffee, Milch und Eiscreme bringen. Gegen 10 Uhr am nächsten Morgen holten Wärter Chessman aus seiner Zelle, schnallten ihn in der Gaskammer auf einem Metallstuhl fest und schlossen hermetisch die Tür.
Der Todescountdown begann. Der Henker setzte den Mechanismus in Gang, der Säckchen mit Zyankalipulver in Schwefelsäure fallen ließ.
Caryl Chessman: Letzter Aufschub kommt zu spät
Schnell stiegen in der Gaskammer die tödlichen Dämpfe auf, als draußen plötzlich das Telefon klingelte. Am anderen Ende die Sekretärin eines Richters, der überraschend einen weiteren Aufschub verfügt hatte. Einige Minuten vorher hatte sie es schon mal versucht, doch sie hatte dummerweise die falsche Nummer gewählt und damit das Schicksal Chessmans besiegelt.
Für einen Abbruch war es zu spät. Chessman war tot – zusammengesackt in seinen Fesseln. Insgesamt hatte er 4.319 Tage und Nächte im Todestrakt verbracht – das Opfer eines Justizmordes, wie viele bis heute glauben. Fest steht, dass die Beweise für seine Schuld umstritten waren.
Ob er der Rotlicht-Bandit war, bleibt auch 60 Jahre nach seiner Hinrichtung ein ungelöstes Rätsel der Kriminalgeschichte.