8000 wehrlose Menschen getötetAls es mitten in Europa einen Völkermord gab

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Holländische UN-Soldaten in Potočari am 11. Juli 1995 vor Hunderten von muslimischen Zivilisten, die aus dem nahegelegenen Srebrenica vor dem serbischen Terror geflüchtet waren. Doch auch hier waren sie nicht sicher.

von Maternus Hilger  (hil)

Srebrenica – Die Welt war geschockt als vor 25 Jahren die ersten Nachrichten aus Srebrenica eintrafen – einem kleinen Ort im Osten von Bosnien und Herzegowina im ehemaligen Jugoslawien.

Serbische Soldaten und Paramilitärs unter Führung von General Ratko Mladić hatten dort im Juli 1995 mehr als 8000 muslimische Männer und Jugendliche kaltblütig ermordet, Frauen vergewaltigt und Tausende Menschen misshandelt und vertrieben.

Völkermord von Srebrenica: Das Kriegsverbrechen

Das Massaker gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Was dort geschah, war ein eiskalt geplanter Völkermord. So stuften der Internationale Strafgerichtshof und das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag das Abschlachten wehrloser Menschen ein.

Srebrenica war nach Ausbruch des Bürgerkriegs Anfang der 90er Jahre zu einem Zufluchtsort vor allem für bosnische Muslime geworden. Die Vereinten Nationen hatten die Region zur UNO-Sicherheitszone erklärt, in der niederländische Blauhelmsoldaten die Sicherheit garantieren sollten.

Bosnische Flüchtlinge in der Todesfalle

Eine trügerische Sicherheit, wie die Flüchtlinge bald schmerzvoll erfahren mussten. Denn in Wahrheit saßen sie in einer Todesfalle. In jenen Sommertagen hatte die bosnisch-serbische Soldateska mit ihrem politischen Führer Radovan Karadžić und Oberbefehlshaber Mladić an der Spitze bereits mehr als zwei Drittel von Bosnien und Herzegowina erobert.

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Prosten sich zu: General Mladić (l.) und der holländische Oberstleutnant Karremans (r.).

Systematisch hatten sie Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen ermordet und vertrieben. Schützenhilfe bei dieser „ethnischen Säuberung“ bekamen sie von Slobodan Milošević, dem Präsidenten der serbischen Republik.

Niederländische Soldaten ließen es zu

Bald hatten die Milizen auch Srebrenica erreicht. Als sie am 11. Juli in den Ort einmarschierten, stießen sie auf keinerlei Widerstand. Die rund 350 UN-Soldaten rührten keinen Finger. Die Niederländer hatten zwar das Recht auf Selbstverteidigung, aber auch das nutzten sie nicht mal.

Für Kopfschütteln sorgte auch ein Foto, das Mladić und den niederländischen Oberbefehlshaber, Oberstleutnant Thomas Karremans, am Abend des 12. Juli entspannt bei einem gemeinsamen Drink zeigt.

Zu diesem Zeitpunkt lebten in Srebrenica etwa 36.000 Flüchtlinge. Tausende versuchten noch, durch die Wälder zu entkommen oder flohen zur UN-Basis im sechs Kilometer entfernten Potočari. Als die serbischen Milizen am Nachmittag des 13. Juli auch dieses Lager besetzten, stießen sie wieder auf keinerlei Widerstand der UN-Soldaten.

Völkermord von Srebrenica: Mladić täuschte Opfer

Und General Mladić machte sich einen Spaß daraus, die verzweifelten Flüchtlinge auch noch zu verhöhnen. Filmaufnahmen zeigen, wie er Kindern über den Kopf streichelte und versicherte, dass niemand etwas zu befürchten habe.

„Alle seid ihr sicher. Dieses Mal schenke ich euch das Leben“, log der Schlächter, während seine Spießgesellen Frauen, Kinder und Greise von den Männern und Jugendlichen trennten und diese in Bussen und Lastern in Richtung von Bosniern kontrolliertes Gebiet transportierten. Ein Horror-Trip. Viele Überlebende werden später von Vergewaltigungen und schlimmen Misshandlungen berichten.

Srebrenica: Die Männer wurden eiskalt erschossen

Mit den Männern machten die Serben kurzen Prozess. Die gefesselten Opfer wurden an verschiedenen Stellen rund um Srebrenica erschossen und verscharrt. Ihre sterblichen Überreste konnten erst viele Jahre später geborgen und mühsam identifiziert werden.

Mehr als 1000 Muslime gelten bis heute noch als vermisst. 2003 wurde in Potočari eine Gedenkstätte mit einem Friedhof eingeweiht, auf dem mehrere Tausend Opfer des Massakers beigesetzt worden sind.

Anklagen gegen Politiker, Militärs und Polizeiangehörige

Der Massenmord blieb lange ungesühnt. Erst nach Ende des Bürgerkrieges konnte die Fahndung nach den Verbrechern intensiviert werden. Alle Fäden liefen beim Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag zusammen. Gegen insgesamt 161 Politiker, Militärs und Polizeiangehörige der verschiedenen Parteien des Jugoslawienkonflikts erhob das Tribunal Anklage.

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Pervers: Einer von Mladićs Schergen posiert vor kurz zuvor kaltblütig erschossenen Männern aus Sreberenica.

20 von ihnen wurden für die Verbrechen in Srebrenica angeklagt, darunter auch der nach Den Haag ausgelieferte Ex-Serben-Präsident Milošević. Er starb jedoch im März 2006, bevor ein Urteil gefällt werden konnte.

Auch Ratko Mladić konnte verurteilt werden

Der heute 77-jährige Ratko Mladić konnte zunächst untertauchen, bevor er am 26. Mai 2011 in Serbien verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert wurde. Am 22. November 2017 wurde er des Völkermords und in weiteren Anklagepunkten für schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt.

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Karadžić wurde am 21. Juli 2008 gefasst und ebenfalls nach Den Haag überstellt. Mit stark verändertem Äußeren und falschem Namen hatte er unbehelligt in Belgrad gelebt und als „Alternativmediziner“ gearbeitet. Das Tribunal warf dem heute 75-Jährigen vor, Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit befohlen zu haben. Im März 2019 wurde auch er zu lebenslanger Haft verurteilt.

Überlebende und Angehörige sind bis heute traumatisiert

Eine Mitschuld haben Richter im Juni 2017 zudem den Niederlanden zugesprochen – wegen der Passivität ihrer UN-Soldaten. Angehörige der Opfer hatten geklagt. Juristisch mag der Völkermord aufgearbeitet sein – aber die Wunden bleiben. Viele Überlebende und Angehörige der Opfer sind bis heute traumatisiert. Und noch immer gibt es Nationalisten in Serbien, die das Massaker relativieren oder sogar bestreiten.

Die Leugnung „dieses schrecklichen Genozids ist in weiten Teilen des ehemaligen Jugoslawien und weit darüber hinaus salonfähig geworden“, kritisiert auch Jasna Causevic, Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Srebrenica sei zudem „ein Beispiel dafür, wie die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen vor und während des Völkermordes von 1995 tragische Fehler gemacht haben“.