Mythos Ned KellyDas kurze Leben des kriminellen Volkshelden
Melbourne – Er stahl Pferde, raubte Banken aus und ermordete kaltblütig Polizisten. Ned Kelly, Australiens berühmtester Outlaw, der bereits während seines kurzen Lebens in seiner Heimat zum Mythos wurde.
Und auch 140 Jahre nach seinem Tod noch immer als Volksheld verehrt und gefeiert wird. Der als „Ironman“ in einer Rüstung gegen die verhassten britischen Kolonialherren kämpfte. Die meisten bewundern ihn als eine Art Robin Hood Australiens, mit dem sich bis heute gute Geschäfte machen lassen.
Ned Kelly litt unter der britischen Kolonialmacht
Der 1854 in Beveridge nördlich von Melbourne geborene Ned Kelly teilte das Schicksal vieler seiner Landsleute. Als Nachkomme irischer Katholiken, die von den Briten wie andere in Großbritannien verurteilte Strafgefangene auf den Fünften Kontinent verschifft wurden, litt seine Familie unter dem harten Regime der Kolonialmacht – und den Schikanen der Großgrundbesitzer. Armut und Perspektivlosigkeit bestimmte ihren Alltag.
Kelly geriet mit 14 Jahren auf die schiefe Bahn
Als Kelly elf ist, stirbt der Vater – und er muss sich als Ältester um seine sieben Geschwister und seine Mutter kümmern. Eine Aufgabe, an der der Junge scheitern muss. Mit 14 Jahren gerät Ned Kelly auf die schiefe Bahn, als er sich dem Räuber Harry Power anschließt – einer von vielen „Bushrangern“, wie die Gesetzlosen in Australien genannt werden.
Von da an häufen sich die Zusammenstöße mit der Polizei und der Justiz. Wiederholt zu Zwangsarbeit verurteilt, driftet Kelly immer mehr in die Kriminalität ab. Mit seinem Bruder Dan und Freunden gründet er eine Bande, die schnell mit ihren Diebeszügen von sich reden macht.
Feuergefecht mit Polizisten
Doch dann kommt der Tag, der alles verändert. Als im Oktober 1878 Polizisten die Bande in ihrem Versteck überraschen, kommt es zu einem Feuergefecht. Drei Polizisten sterben. Von da an wird Ned Kelly mit einem Steckbrief gejagt – und auf seine Ergreifung ist eine Belohnung von 500 Pfund ausgesetzt.
Doch anderes als die Ermittler hoffen, geht ihnen Kelly nicht ins Netz – wohl auch, weil er in der Bevölkerung inzwischen eine wachsende Zahl von Sympathisanten und Unterstützern hat, für die er kein Mörder und Strauchdieb, sondern ein Widerstandskämpfer ist.
Für dieses Bild sorgt er selbst, als er nach einem Banküberfall in Jerilderie an die Öffentlichkeit geht. In dem als „Jerilderie-Letter“ bekannten Manifest versucht er, seine Verbrechen mit der schlechten Behandlung seiner Familie und der irischen Katholiken durch die protestantischen Briten zu rechtfertigen.
Ned Kelly: Aufruf zum Aufstand
Von den Engländern, so der Outlaw, sei keine Gerechtigkeit zu erwarten. Um das zu ändern, müsse man auch an einen Aufstand denken. Dieser Aufruf trägt wesentlich zur Legendenbildung um Kelly bei – ebenso wie die Rüstungen, die er und seine Komplizen sich zulegen, um sich so besser vor Geschossen schützen zu können.
Es wird vermutet, dass das Eisen, das zum Schmieden der Rüstungen verwendet wird, aus dem Material von gestohlenen Pflügen stammt. Die Rüstungen bestehen aus Helm, Brustpanzer, Rückenpanzer, Schulterklappen, Oberschenkel- und sogar teilweise Genitalschutz.
Kelly verschanzte sich mit Geiseln
Retten kann der mittelalterlich anmutende skurrile Panzer Kelly allerdings nicht. Am 27. Juni 1880 kommt es zum Showdown, als die Ermittler ein Hotel in Glenrowan umstellen, wo sich Kelly und seine Kumpane mit Geiseln verschanzt haben.
Gegen das Trommelfeuer der Polizisten haben sie keine Chance. Sie lassen ihre Geiseln frei, als Feuer ausbricht. Dann spielt sich eine Szene ab, wie sie selbst die erfahrenen Ermittler noch nicht erlebt haben.
Polizisten schossen mehrfach auf Kelly
Plötzlich wankt eine Gestalt wie aus einer anderer Zeit aus der Tür. Es ist Kelly in seiner Eisenrüstung, wild um sich schießend. „Mich könnt ihr nicht erschießen“, brüllt er im Kugelhagel.
Doch es gibt kein Entrinnen mehr. Mit gezielten Schüssen auf die ungeschützten Arme und Beine setzen die Polizisten „Eisenmann Kelly“ außer Gefecht. Seine Komplizen überleben die Schießerei nicht.
Ned Kelly wurde zum Tode durch den Strang verurteilt
Es dauert nur wenige Monate, bis dem inzwischen von seinen Verletzungen genesenen Kelly in Melbourne der Prozess gemacht wird – er wird ein kurzer. Am 29. Oktober 1880 wird er nach 25 Minuten für schuldig befunden und zum Tode durch den Strang verurteilt. Vollstreckt wird das Urteil an dem Outlaw (26) am 11. November.
„Such is life“ („So ist das Leben“) sollen seine letzten Worte gewesen sein. Seine Leiche wurde in ein Massengrab geworfen. Die Rüstung kam in die State Library of Victoria in Melbourne, wo sie noch heute zu bewundern ist. Erst 2011 gelang es Forensikern, seine Überreste – mit Ausnahme des Kopfes – zu finden und eindeutig zu identifizieren.
Der Mythos lebt weiter
Doch da war Kelly in Australien längst unsterblich – mit Repliken seines Konterfeis auf Souvenirs oder Alltagsgegenständen und seiner Rüstung als Kinderspielzeug lassen sich gute Geschäfte machen.
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Auch touristische Touren zu den Orten seiner Schandtaten sind beliebt. Zig Bücher beschäftigen sich bis heute mit ihm – und tragen so dazu bei, dass der Mythos Kelly frisch bleibt. Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Sydney im Jahr 2000 trugen einige der Akteure sogar Kostüme, die an Kellys Rüstung erinnerten.
Kellys Leben wurde mehrfach verfilmt
Sein Leben bot auch immer wieder Stoff für Verfilmungen – unter anderem mit „Rolling Stone“ Mick Jagger in „Ned Kelly“ (1970), in „Gesetzlos“ (2003) mit Heath Ledger, Orlando Blum und Naomi Watts in den Hauptrollen oder zuletzt in „The True History of the Kelly Gang“ (2019) mit George MacKay in der Titelrolle. Und auch in Rocksongs lebt Ned Kelly weiter – ob von Original Iron Maiden, den Seekers oder Midnight Oil.